Simone Reisdorf, Erfurt, Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Ein häufiges Problem von Patienten mit Restless-Legs-Syndrom (RLS) ist die Augmentation: Nach längerer Einnahme ihrer Arzneimittel werden diese nicht nur wirkungslos, sondern die Erkrankungssymptome werden sogar stärker als zuvor. So setzt etwa der quälende Bewegungsdrang in den Beinen nicht erst am späten Abend, sondern schon am Nachmittag ein. Ebenfalls können sich Parästhesien, Schmerz und Zuckungen verstärken und/oder die Arme sind nun zusätzlich betroffen.
Die übliche Behandlung für das RLS sind niedrig dosierte Parkinson-Therapeutika wie Levodopa (z.B. Restex®) und Dopaminagonisten (z.B. Sifrol® mit dem Wirkstoff Pramipexol). Aber gerade sie stehen in dem Verdacht, gelegentlich die Verstärkung der RLS-Symptome auszulösen.
Studie über ein Jahr – Plazebo nur für zwölf Wochen
In einer doppelblinden, randomisierten, kontrollierten Studie wurden nun gleich mehrere Aspekte dieses Problems untersucht:
Erstens wollten Allen und Kollegen herausfinden, ob das sonst gegen neuropathischen Schmerz, Epilepsie und Angststörungen eingesetzte Pregabalin (Lyrica®) ebenfalls wirksam ist gegen die RLS-Symptomatik.
Zweitens wurde die Augmentation der Symptome unter Pregabalin mit der Augmentation unter zwei verschiedenen Dosen von Pramipexol verglichen.
Drittens wollte man der grundsätzlichen Frage nachgehen, ob die Augmentation tatsächlich ein iatrogener Effekt oder doch ein Teil des natürlichen Krankheitsprogresses bei RLS ist.
Insgesamt 719 erwachsene Patienten wurden eingeschlossen. Sie litten seit mindestens sechs Monaten an moderatem bis schwerem RLS und hatten in mindestens 15 Nächten im letzten Monat Symptome erlebt. Die Studie dauerte ein Jahr.
Die Therapie erfolgte in den vier Studienarmen zunächst für zwölf Wochen mit
- 300 mg/Tag Pregabalin
- 0,25 mg oder 0,5 mg/Tag Pramipexol oder
- Plazebo.
Die Scheinbehandlung wurde den Patienten aber nur für diese ersten drei Monate zugemutet – anschließend wurden sie auf die aktiven Therapien randomisiert. Somit wurden letztlich alle Patienten über 40 oder 52 Wochen mit Pregabalin oder Pramipexol behandelt.
Studienergebnisse
Pregabalin wirkt
Der Vergleich von Pregabalin und Plazebo nach zwölf Wochen zeigt: Pregabalin wirkt auch bei RLS. So sank der Score auf der International RLS (IRLS) Study Group Rating Scale bei Pregabalin-Therapie auf durchschnittlich 10,9 von 40 Punkten, bei den Kontrollpatienten waren es dagegen 15,5 Punkte (p<0,001 zugunsten von Pregabalin).
Zudem hatten nach Einschätzung der Untersucher 71,4% der Patienten unter Pregabalin eine starke oder sehr starke Verbesserung erreicht, in der Kontrollgruppe waren es 46,8%.
Erwartungsgemäß wirkte auch Pramipexol signifikant besser als Plazebo – allerdings nur in der Dosis von 0,5 mg/Tag (IRLS 12,0 Punkte; p<0,001). Bei einer Untersuchung der Nichtunterlegenheit von Pregabalin gegenüber Pramipexol zeigte sich eine stärkere Reduktion auf der IRLS-Skala unter Pregabalin, auch gegenüber der höheren Dosierung von Pramipexol (p<0,001).
Weniger Augmentationen
Augmentationen traten in allen Gruppen meist erst im zweiten Halbjahr der Behandlung auf.
235 Patienten erhielten für 40 oder 52 Wochen Pregabalin; davon erlebten 5 (2,1%) eine Augmentation. In den Pramipexol-Gruppen waren es 12 von 225 (5,3%; 0,25 mg) und 18 von 235 (7,7%; 0,5 mg). Der Vorteil für Pregabalin im Vergleich zur höheren Dosis Pramipexol war mit einem p-Wert von 0,001 signifikant.
Betrachtet man nur die Patienten, die über die vollen 52 Wochen eine aktive Therapie bekamen, so betraf die Augmentation 3 von 176 Pregabalin-Patienten (1,7%), 11 von 167 Patienten, die 0,25 mg/Tag Pramipexol erhielten (6,6%) und 16 von 178 Patienten mit 0,5 mg/Tag Pramipexol (9,0%); auch hier waren also die Augmentationen unter Pregabalin seltener.
Augmentation bei RLS ist iatrogen
Weiterhin folgern die Studienautoren aus den vorliegenden Daten, dass die Augmentation bei RLS kein Teil der Krankheitsprogression, sondern tatsächlich iatrogen bedingt ist. Sie begründen dies mit der ungleichen Verteilung der Augmentationsrate unter den verschiedenen Arzneimitteln sowie mit der höheren Augmentationsrate bei höherer Pramipexol-Dosis und längerer Therapiedauer.
Denn wäre die Symptomverschlechterung immanenter Teil der Erkrankung, so müsste eine höher dosierte und damit wirksamere Therapie sie stärker bekämpfen, die Beschwerden müssten dann unter der höheren Dosis seltener auftreten – das Gegenteil war aber der Fall.
Mehr suizidale Gedanken
Ein Nachteil von Pregabalin zeigt sich allerdings bei den unerwünschten Ereignissen (UE). So brachen 27,5% der Pregabalin-, aber nur 18,5% bzw. 23,9% der Pramipexol-Patienten die Studie wegen UE ab.
Häufigste UE unter Pregabalin waren Schwindel, Schläfrigkeit, Fatigue und Kopfschmerz. Unter Pramipexol waren es Kopfschmerz, Übelkeit und Fatigue. Es wurde gezielt nach suizidalen Gedanken gefahndet; sie fanden sich bei sechs Pregabalin-Patienten sowie bei drei Patienten mit 0,25 mg und zwei Patienten mit 0,5 mg Pramipexol.
Fazit
Zusammenfassend zeigte sich in der Studie eine gleich starke Wirksamkeit von 300 mg/Tag Pregabalin und 0,5 mg/Tag Pramipexol bei moderatem bis schwerem RLS – bei deutlich weniger Augmentation in der Pregabalin-Gruppe.
Quelle
Allen RP, et al. Comparison of pregabalin with pramipexole for restless legs syndrome. N Engl J Med 2014;370:621–31.
Kommentar
Diese sehr große und gut durchgeführte randomisierte Plazebo-kontrollierte Studie mit langer Beobachtungszeit belegt eindeutig, dass Pregabalin mindestens genauso wirksam ist, wie eine Behandlung mit Pramipexol 0,5 mg/Tag. Bezüglich der sekundären Zielparameter war Pregabalin sogar Pramipexol überlegen. Bemerkenswert ist die niedrige Rate des Auftretens einer Augmentation unter Pregabalin. Mit Pregabalin steht daher eine weitere Therapie-Option für Patienten mit Restless-Legs-Syndrom zur Verfügung, bei denen Levodopa oder Dopaminagonisten nicht wirksam sind, wegen Nebenwirkungen nicht toleriert werden oder bei denen es zu einer Augmentation kommt. Da Pregabalin im Moment in Deutschland für diese Indikation noch nicht zugelassen ist, handelt es sich bis zur Zulassung um eine Off-Label-Therapie.
Arzneimitteltherapie 2014; 32(06)