Ausschuss für Arzneimitteltherapiesicherheit des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) e.V.
Fallbeispiel 1
Eine Patientin mit Entzugssymptomatik bei Alkoholabhängigkeit erhält stationär unerkannt nur ein Viertel der verordneten Doxepin-Dosierung.
In der Folge ist sie sehr unruhig und agitiert, obwohl sie in den vergangenen Tagen gut auf die Medikation angesprochen hat. Diese Zustandsänderung kann sich (zunächst) niemand erklären.
Die seit Tagen der Patientin während des Alkoholentzugs verordnete Dosierung an Doxepin-neuraxpharm®-Lösung zum Einnehmen (40 mg/ml) beträgt laut Verordnung 25–25–25 Tropfen. Eine Einzeldosis von 25 Tropfen Doxepin-neuraxpharm®-Lösung zum Einnehmen (40 mg/ml) entspricht demnach 50 mg.
Diese werden, als der Vorrat zur Neige geht, auf Stationsbedarf von einer Pflegekraft in der hauseigenen Apotheke nachbestellt. Die Tropfen sind allerdings voraussichtlich für etwa sechs Wochen vom Hersteller defekt und auch vom Großhandel nicht mehr lieferbar. Stattdessen werden seitens der Apotheke die einzigen, alternativ weiter auf dem deutschen Markt erhältlichen Tropfen mit dem Wirkstoff Doxepin, Aponal®-Tropfen (10 mg/ml), bestellt und die Station mit diesen beliefert.
In der Lauer-Taxe ist keine Konzentrationsangabe in der Namensbezeichnung enthalten, die veränderte Konzentration (10 mg/ml anstatt 40 mg/ml) fällt bei der Bestellung in der Apotheke nicht auf. Es wird irrtümlich von der gleichen Konzentration ausgegangen und keinerlei sonst übliche Information bezüglich einer Äquivalenzdosis auf Station mitgegeben.
In der Patientenverordnung sind diese Tropfen nur mit generischem Namen und ohne Angabe der Konzentration oder eines Herstellers mit Doxepin-Tropfen 25–25–25 vermerkt. Auf diese Weise fällt auch der Pflegekraft, die die neuen Tropfen stellt, keine Abweichung auf. Sie stellt wie gewohnt 25 Tropfen der jetzt allerdings neuen Aponal®-Tropfen, was nun nur noch einer Einzeldosis von 12,5 mg, einem Viertel der eigentlich verordneten Dosierung, entspricht.
Dies führt zu einer Unterdosierung des Doxepins und in der Folge zu den oben beschriebenen Symptomen Unruhe und Agitation.
Fallbeispiel 2
Eine Patientin wird bei einem täglichen Bedarf von 1100 mg Doxepin, Tendenz weiter steigend, zum Entzug stationär in das Krankenhaus aufgenommen.
Durch einen Rabattvertragswechsel nahm die Patientin über Monate hinweg täglich 700 mg Aponal® 100-mg-Filmtabletten (7-mal 100 mg Doxepin) und zusätzlich 400 mg Doneurin® 100-mg-Filmtabletten (4-mal 100 mg Doxepin) gegen eine Angststörung ein. Ihr war die Umstellung des Präparats von Aponal® auf Doneurin® durch den Rabattvertragswechsel nicht bewusst bzw. sie hatte diesen trotz Erläuterung seitens ihrer Stammapotheke nicht richtig verstanden. Der Medikationsfehler fiel ihrem Hausarzt auf, den sie aufgrund schwerer Müdigkeit nach einigen Wochen konsultierte.
Es sind zwei Fehler aufgetreten, die die Patientinnen zwar erreicht, aber zu keinem bleibenden Schaden geführt haben.
Fehlervermeidungsstrategien
Für die Apotheke
Die Apotheke muss äußerte Sorgfalt bei der Arzneimittelsubstitution und auch beim Arzneimitteleinkauf walten lassen [1]. Eine Sensibilisierung und Aufklärung der Apothekenmitarbeiter, des Praxispersonals und der Kunden gegenüber der Problematik von Rabattvertrags-Arzneimitteln und deren Austausch bzw. Wechsel im ambulanten Bereich ist zwingend notwendig.
Eine Checkliste oder SOP (Standard operating procedure) zur kurzfristigen Arzneimittelsubstitution nicht lieferbarer Arzneimittel kann hierfür sehr hilfreich sein:
Zunächst muss mithilfe der Computersoftware geprüft werden, ob ein Aut-idem-Präparat verfügbar ist; falls ja wird dieses Präparat des alternativen Anbieters beschafft. Je nachdem, um welches Arzneimittel es sich handelt, kann ein Außendienstmitarbeiter des Herstellers involviert werden und dieser kann nach Erläutern des Engpasses versuchen, eine überbrückende Lieferung aus einer anderen Apotheke oder aus einem anderen Lager zu klären. Apotheken, die vorübergehend nicht lieferbare Arzneimittel direkt vom Hersteller beziehen, können versuchen, Restbestände über ihre Großhändler dazuzukaufen, um den Lieferengpass zu überbrücken. Je nach Gewichtung des Lieferengpasses muss dieser in der Lieferantenbewertung Eingang finden.
Beim Austausch flüssiger Darreichungsformen muss immer eine Überprüfung der Konzentration stattfinden und die Mitgabe einer schriftlichen Information zur Dosisäquivalenz für die Station/Pflegeeinrichtung oder den Patienten, zum Beispiel hier in Form eines gut sichtbaren Aufklebers auf dem Medikamentenumkarton und/oder auf der Primärverpackung, kann angebracht sein [2].
Krankenhausapotheken und krankenhausversorgende Apotheken können ihre Lagerbestände für die zu versorgenden Bereiche aufstocken, um mögliche Lieferengpässe wie im Fallbeispiel 1 beschrieben zeitlich abzufangen.
Für die Station, Pflegeeinrichtung bzw. den Arzt
Am relevantesten ist die korrekte Verordnung eines Arzneimittels unter Angabe des Wirkstoffs, Präparats, der Menge und Dosierung bzw. im ambulanten Bereich der vollständige vom Arzt ausgegebene Medikationsplan. In diesen muss die Anordnung von Tropfen konsequent unter Angabe der Konzentration (idealerweise auch des Herstellernamens) erfolgen. Eine eindeutige Verordnung ist beispielsweise „Doxepin-40 mg/ml-Tropfen 25–25–25“.
Eine Pflegekraft ist immer in der Rückfragepflicht an den behandelnden Arzt bzw. die versorgende Apotheke, wenn ein für sie neuer Arzneimittelname, eine andere Deklaration oder eine abgeänderte Verpackungen beim Stellen eines Arzneimittels nicht selbstständig zufriedenstellend geklärt werden kann. Die beliefernde Apotheke kann die Bereiche unterstützen, indem die Konzentration bzw. Dosierung eindeutig gekennzeichnet ist oder auf das Austauschpräparat gut sichtbar ein Hinweis auf der Primärverpackung angebracht ist [2].
Für den Hersteller
Bei allen Darreichungsformen muss die Wirkstoffkonzentration/-menge ein Bestandteil des Präparatenamens sein. Alternativ kann die Angabe der Konzentration bzw. Menge zumindest deutlich auf der Packung als Eyecatcher aufgebracht sein.
Auch sollte der Hersteller Lieferengpässe vermeiden, indem er zum Beispiel die Lagerhaltung/-bestände deutlich aufstockt.
Fazit
Durch deutliche Konzentrationsangaben und Wirkstoffnamen auf der Arzneimittelverpackung (Primär- und Sekundär-, gegebenenfalls über Eyecatcher) und in der Patientenverordnung sowie durch größtmögliche Sorgfalt bei der Arzneimittelsubstitution inklusive schriftlicher Information über die Substitution über unterschiedliche Wahrnehmungswege – Anruf, E-Mail, Informationszettel in der Packung, Aufkleber auf der Primärverpackung beispielsweise mit dem Text „Doxepin-neuraxpharm®-Lösung zum Einnehmen (40 mg/ml); 1 ml entspricht Aponal®-Tropfen (10 mg/ml) 4 ml“ – können Dosierungsfehler sowohl auf Station, im Pflegeheim als auch beim Patienten bei allen Arzneiformen vermieden werden.
Literatur
1. Kantelhardt P, Picksak G. Sicherer Arzneimitteleinkauf für das Krankenhaus. Krankenhauspharmazie 2014;1:8–9.
2. Kantelhardt P, Picksak G. Doppelt hält besser? Was an der Schnittstelle stationär – ambulant schiefgehen kann. DAZ 2014;10:10–2.
Ausschuss für Arzneimitteltherapiesicherheit des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) e.V. (Dr. Christian Degenhardt, Dr. Torsten Hoppe-Tichy, Pamela Kantelhardt, Dr. Gesine Picksak, Dr. Jochen U. Schnurrer, Prof. Dr. Katja Taxis), Dorothee Langenbahn
Arzneimitteltherapie 2014; 32(07)