Dr. Claudia Bruhn, Schmölln
Im Rahmen von Behandlungskonzepten der multiplen Sklerose spielt die symptomatische Therapie eine wichtige Rolle. Zu den besonders belastenden Symptomen der Erkrankung zählt die Spastik, unter der Untersuchungen zufolge etwa 60 bis 80% der Patienten leiden. Sie erschwert den Alltag vieler Betroffener stark, da sie beispielsweise zu Schmerzen, verminderter Beweglichkeit, Erschöpfung, Blasenfunktions- und Schlafstörungen führt.
Spastik ohne Kognitionsverlust verbessern
Seit 2011 steht ein Cannabinoid-haltiges Oromukosalspray (Sativex®) zur Verfügung, das bei Patienten, die nicht auf andere antispastische Wirkstoffe ansprechen, eine mittelschwere bis schwere Spastik zu lindern vermag. Cannabinoide können jedoch auch einschränkend auf die Kognition wirken – ein unerwünschter Effekt, da etwa 50% der MS-Patienten bereits krankheitsbedingt unter kognitiven Beeinträchtigungen wie Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen leiden.
Ziel einer multizentrischen, randomisierten, Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudie war es daher zu prüfen, wie sich die Kognition der Teilnehmer unter der Behandlung mit Sativex® entwickelt [1]. Die Studie ist Teil eines von den Zulassungsbehörden geforderten Risikomanagement-Plans. Die 121 Teilnehmer wurden auf täglich bis zu 12 Sprühstöße der Zubereitung oder Plazebo randomisiert. Primärer Endpunkt war die Veränderung im PASAT(Paced auditory serial addition)-Test, bei dem unter Zeitdruck und mit geteilter Aufmerksamkeit Additionsaufgaben zu lösen sind. Nach 48 Wochen zeigte sich kein Unterschied im Anstieg des mittleren PASAT-Werts in beiden Gruppen (6,01 unter Verum, 7,49 unter Plazebo). Beim sekundären Endpunkt Stimmungslage (ermittelt mithilfe des Beck-Depressionsinventars II, BD II), waren die aktiv Behandelten den Kontrollpatienten nicht unterlegen. Gleichzeitig wurde die Spastik in der Verum-Gruppe wirksamer gemindert als unter Plazebo. Bei Auswertung mithilfe einer 7-Punkte-Skala (Global impression of change, GIC) berichteten in der Verum-Gruppe jeweils rund 70% der Patienten, Ärzte und Pflegepersonen von einer Verbesserung des Symptoms, jedoch nur etwa 40% in der Kontrollgruppe.
Fahrtüchtigkeit nicht eingeschränkt
In einer weiteren Studie [2] wurde die Fahrtüchtigkeit von MS-Patienten, die Sativex® anwendeten, untersucht (mittlere Therapiedauer 5,3 Wochen). Die 33 Teilnehmer, die im Alltag selbstständig und regelmäßig Auto fuhren, mussten sich fünf komplexen computergestützten Tests unterziehen, in denen die Konzentration, die Belastbarkeit, die Orientierungsleistung, die Reaktionsfähigkeit sowie das Vermögen, Verkehrssituationen rasch zu erfassen, bewertetet wurden (Schuhfried-Wiener-Testsystem). In vier von fünf Einzelscores zeigten sich keine signifikanten Veränderungen unter der Therapie. Beim Score Belastbarkeit war eine signifikante Verbesserung (p=0,026) zu beobachten.
Auch in dieser prospektiven Beobachtungsstudie besserte sich die Spastik durch die Cannabinoid-haltige Zubereitung. Auf der zehnstufigen numerischen Ratingskala (NRS) sank der durchschnittliche Symptomscore von 6,0 auf 3,6 Punkte (p<0,0001). Obwohl die Therapie gut vertragen wurde, kann in Einzelfällen nicht ausgeschlossen werden, dass es – insbesondere in der Titrationsphase – zu zentralnervösen Effekten wie Schwindel kommen kann, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen.
Quelle
Priv.-Doz. Dr. med. Karl Baum, Henningsdorf; Pressegespräch „Spastik bei MS – Vorstellung der aktuellen Studienlage zum Thema Sicherheit und Kognition“, Berlin, 18. März 2014, veranstaltet von Almirall.
Literatur
1. Wright S, et al. Mult Scler 2013;19(S1):572, data on file.
2. Freidel M, et al. Mult Scler 2013;19(S1):522, data on file.
Arzneimitteltherapie 2014; 32(09)