Diabetes mellitus

Pankreatitis-Risiko bei Inkretin-basierten Therapien evaluiert


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Iris Hinneburg, Halle (Saale)

Zwei aktuelle Studien haben kein erhöhtes Risiko für eine akute Pankreatitis beim Einsatz von Agonisten am Glucagon-like-Peptide-1(GLP-1)-Rezeptor und Inhibitoren der Dipeptidylpeptidase 4 (DPP-4) bei Diabetes mellitus Typ 2 feststellen können. Für eine umfassende Entwarnung reichen die Daten vermutlich aber nicht aus.

GLP-1-Agonisten (etwa Exenatid) und DPP-4-Inhibitoren (wie Sitagliptin) zur Behandlung des Typ-2-Diabetes, die die Wirkung von Inkretinen nachahmen oder verlängern, wurden in der Vergangenheit in Fallberichten und Spontanmeldungen an das Pharmakovigilanz-Register mit einem erhöhten Risiko für Entzündungen der Bauchspeicheldrüse in Verbindung gebracht. Ein kausaler Zusammenhang könnte plausibel sein, da in einigen Tierversuchen Zellveränderungen im Pankreas beobachtet wurden. Die Ergebnisse sind jedoch nicht konsistent, außerdem ist Diabetes mellitus ebenfalls ein Risikofaktor für die Entwicklung einer akuten Pankreatitis. Zwei aktuelle Studien [1, 2] untersuchten die Frage, ob und in welchem Ausmaß Inkretin-basierte Therapien das Risiko für eine Pankreatitis erhöhen.

Studiendesign

Im Rahmen einer systematischen Übersichtsarbeit [1] wurden die Ergebnisse von randomisierten kontrollierten Studien (RCT), retrospektiven Kohorten- und Fall-Kontroll-Studien an Patienten mit Typ-2-Diabetes ausgewertet, die mit GLP-1-Agonisten oder DPP-4-Inhibitoren behandelt und über mindestens 12 Wochen nachbeobachtet wurden.

Außerdem mussten die Studien explizit über das Auftreten oder Fehlen von Fällen einer Pankreatitis berichten. Die Daten aus 55 RCT mit insgesamt 33350 Patienten (Beobachtungszeit zwischen 12 und 234 Wochen) wurden in einer Metaanalyse zusammengefasst (Berechnung der Peto-Odds-Ratio, OR). Für die fünf Beobachtungsstudien mit insgesamt 320289 Patienten nahmen die Autoren wegen des heterogenen Studiendesigns keine kumulative quantitative Auswertung vor.

Die Autoren einer bevölkerungsbezogenen Kohortenstudie [2] auf der Basis von britischen Registerdaten aus allgemeinmedizinischen Praxen der Jahre 2007 bis 2013 verglichen das Risiko für eine Pankreatitis bei Patienten unter Inkretin-basierten Therapien (20748 Teilnehmer) mit dem von Patienten, die mit Sulfonylharnstoffen behandelt wurden (51712 Teilnehmer). Berechnet wurde das Hazard-Ratio (HR) mithilfe einer Cox-Regression. Die Autoren adjustierten die Ergebnisse durch Propensity-Score-Matching (Ausgleich bestimmter Merkmale zwischen zwei Studiengruppen) für eine Reihe von möglichen Störfaktoren, etwa Alkoholkonsum, Diabetesdauer und Stoffwechseleinstellung.

Studienergebnisse

Die Autoren der Metaanalyse [1] ermittelten in den RCT bei 0,11% der Probanden eine Pankreatitis. Die Analyse der Daten ergab jedoch keine Risikoerhöhung im Vergleich zu den Kontrollgruppen (OR 1,11; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,57–2,17). Verschiedene Subgruppen- und Sensitivitätsanalysen zeigten ebenfalls keine Unterschiede. Ein erhöhtes Risiko für eine Pankreatitis fand sich nur in einer der fünf eingeschlossenen Beobachtungsstudien (bei Anwendung innerhalb der letzten zwei Jahre OR 2,07; 95%-KI 1,36–3,13), insgesamt trat bei 0,47% der Probanden eine Pankreatitis auf.

In der Kohortenstudie [2] berechneten die Autoren für das Auftreten einer Pankreatitis eine rohe Inzidenzrate von 1,45 Fällen (95%-KI 0,99–2,11) pro 1000 Patientenjahren bei Anwendern von Inkretin-basierten Therapien und von 1,47 Fällen (95%-KI 1,23–1,76) pro 1000 Patientenjahren für Patienten mit Sulfonylharnstoff-Therapie. Die gefundenen Unterschiede waren nicht signifikant (adjustiertes HR 1,00; 95%-KI 0,59–1,70).

Diskussion

Auch wenn sich in der Metaanalyse keine klaren Signale für eine Risikoerhöhung fanden, warnen die Autoren vor vorschnellen Schlussfolgerungen. Sie weisen darauf hin, dass die RCT für die Testung der Wirksamkeit angelegt waren und mit relativ kleinen Fallzahlen sowie kurzen Nachbeobachtungszeiten bei seltenen Ereignissen wie einer Pankreatitis möglicherweise keine ausreichende statistische Trennschärfe für die Entdeckung der Nebenwirkung aufwiesen. Die niedrigere Inzidenz von Pankreatiden in den RCT im Vergleich zu den Beobachtungsstudien deutet auch darauf hin, dass die Probanden in den RCT im Hinblick auf das Pankreatitis-Risiko möglicherweise nicht repräsentativ für die in der Praxis behandelten Patienten waren (etwa weniger Komorbiditäten). Auch sei es nicht gewährleistet, dass in den Studien Fälle von subklinischer Pankreatitis (etwa Anstieg der Pankreasenzyme) entdeckt worden wären. Gleiches gilt für die Beobachtungsstudien, bei denen das Risiko für systematische Verzerrungen von den Autoren als mittel bis hoch eingeschätzt wurde. Damit könnte sich – neben Unterschieden im Studiendesign – möglicherweise auch das in einer Fall-Kontroll-Studie gefundene erhöhte Risiko erklären lassen.

Die Autoren der Kohortenstudie [2] argumentieren ebenfalls, dass das in Fall-Kontroll-Studien gefundene erhöhte Risiko möglicherweise hauptsächlich das bereits erhöhte Basisrisiko der untersuchten Patienten widerspiegelt, da eine Inkretin-basierte Therapie in der Regel erst als zweite oder dritte Behandlungsoption bei einem Typ-2-Diabetes eingesetzt wird (confounding by indication). Im Hinblick auf ihre eigenen Daten können die Autoren – mit Blick auf die oberen Grenzen für das berechnete Konfidenzintervall – eine mögliche mäßige Risikoerhöhung jedoch nicht vollständig ausschließen.

Ein begleitender Kommentar schätzt, dass durch GLP-1-Agonisten und DPP-4-Inhibitoren höchstens ein Fall einer akuten Pankreatitis mehr pro 10000 Patienten auftreten könnte. Das Risiko könnte weiter gesenkt werden, wenn die Inkretin-basierten Therapien nur bei Patienten eingesetzt werden, die keine Risikofaktoren für eine Pankreatitis aufweisen (fortgeschrittenes Alter, Übergewicht, lange Diabetesdauer sowie Pankreatitis, Gallensteine oder Alkoholmissbrauch in der Anamnese) [3]. Neue Erkenntnisse, die möglicherweise auch Therapieentscheidungen beeinflussen, erwarten Experten aus einer derzeit durchgeführten europäischen Studie zur Sicherheit von Antidiabetika bei Typ-2-Diabetes.

Fazit

Bei der Auswahl von Antidiabetika wird bei Inkretin-basierten Therapien ein erhöhtes Risiko für eine Pankreatitis diskutiert. Insgesamt ist das Risiko jedoch sehr niedrig und wird durch die Anwendung Inkretin-basierter Antidiabetika – wenn überhaupt – vermutlich nur in geringem Maß erhöht.

Literatur

1. Ling L, et al. Incretin treatment and risk of pancreatitis in patients with type 2 diabetes mellitus: systematic review and meta-analysis of randomised and non-randomised studies. BMJ 2014;348:g2366.

2. Faillie J-L et al. Incretin based drugs and risk of acute pancreatitis in patients with type 2 diabetes: cohort study. BMJ 2014;348:g2780.

3. Montori VM. The safety of incretin based drugs. BMJ 2014;348:g2779.

Arzneimitteltherapie 2014; 32(09)