Dr. Tanja Saußele, Stuttgart
Erhöhte Cholesterolwerte sind ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse. Durch Lebensstiländerung und medikamentöse Behandlung kann der Cholesterolspiegel gesenkt werden. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2005 mit über 90000 Patienten, die eine Therapie mit CSE-Hemmern erhielten, ergab, dass durch eine Reduktion des LDL(Low density lipoprotein)-Cholesterolwerts um 1 mmol/l (39 mg/dl) die Rate kardialer Ereignisse um 23%, die Rate vaskulärer Ereignisse um 21% und die Gesamtmortalität um 12% gesenkt werden konnten [1]. In den Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) und der European Atherosclerosis Society (EAS) wird für Patienten mit einem sehr hohen Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse die Senkung des LDL-Cholesterolspiegels auf <70 mg/dl empfohlen [5]. Diese zielwertorientierte Therapie ist aber durchaus umstritten. Da in vielen Studien zwischen der Cholesterol-senkenden Behandlung und dem Mortalitätsrisiko durch Herzinfarkt keine lineare Beziehung bestand, wurde die Strategie der festgelegten CSE-Hemmer-Dosis („Fire and forget approach“) entwickelt. Mit 1629 Millionen DDD (daily drug doses) im Jahr 2012 gehören die CSE-Hemmer zu den am meisten verordneten und mittlerweile unumstritten wirksamsten lipidsenkenden Arzneimitteln [7]. Dennoch werden bei Patienten mit einem hohen kardiovaskulären Risiko, die entsprechend niedrige LDL-Cholesterolwerte haben sollen – beispielsweise bei Patienten mit familiärer Hypercholesterolämie –, die Zielwerte häufig nicht erreicht. In einer französischen Studie mit Daten von 1669 Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterolämie wurde ein LDL-Cholesterolwert von weniger als 100 mg/dl nur von 10,4% der Patienten erreicht [2]. Selbst bei Patienten mit maximaler Therapie (hochdosierter CSE-Hemmer plus einem weiteren lipidsenkenden Arzneistoff) wurde ein LDL-Cholesterolwert <100 mg/dl nur von 18,8% erreicht.
PCSK9-Inhibitoren
Einen neuen und sehr hoffnungsvollen Therapieansatz stellen die Inhibitoren der Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9) dar.
Die Aufnahme von LDL-Cholesterol aus dem Blut in die Leber erfolgt über LDL-Rezeptoren. LDL-Rezeptoren und daran gebundenes LDL-Cholesterol werden durch Endozytose in die Leberzelle aufgenommen. Die LDL-Rezeptoren werden danach zurück zur Plasmamembran transportiert und stehen für die erneute Cholesterol-Aufnahme bereit. Da die LDL-Rezeptoren ungefähr nach 10 Minuten wieder in der Plasmamembran zur Verfügung stehen und eine Lebensdauer von etwa 20 Stunden haben, kann dieser Vorgang, das sog. „Recycling“ des LDL-Rezeptors ungefähr 100- bis 150-mal stattfinden.
Die Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (proprotein convertase subtilisin/kexin type 9; PCSK9) reguliert den LDL-Cholesterolspiegel, indem sie das „Recycling“ von LDL-Rezeptoren beeinflusst: An PCSK9 gebundene LDL-Rezeptoren werden nicht wieder an die Zelloberfläche befördert und stehen somit nicht mehr für die LDL-Bindung zur Verfügung. Daraus resultiert ein Anstieg des LDL-Cholesterolspiegels. Entdeckt wurde die Bedeutung von PCSK9 durch Patienten, die Mutationen im PCSK9-Gen aufwiesen und sowohl erniedrigte LDL-Cholesterol-Werte als auch ein erniedrigtes kardiovaskuläres Risiko hatten [4]. Eine PCSK9-Inhibition würde die Expression von LDL-Rezeptoren erhöhen und zur Senkung des LDL-Cholesterols im Plasma führen. In einer Studie von Werner et al. stellte sich die PCSK9-Plasmakonzentration bei Patienten mit stabiler koronarer Herzerkrankung unter einer Therapie mit CSE-Hemmern sogar als Prädiktor für das Erleiden eines kardiovaskulären Ereignisses heraus [9].
In der klinischen Entwicklung am weitesten fortgeschritten sind momentan die PCSK9-Inhibitoren Alirocumab und Evolocumab, bei denen es sich um monoklonale Antikörper handelt.
Evolocumab
In der Phase-III-Studie LAPLACE-2 wurden die Wirksamkeit und Sicherheit von Evolocumab bei 2067 Patienten mit Hypercholesterolämie oder gemischter Dyslipidämie untersucht. Die Patienten erhielten bereits einen CSE-Hemmer oder Ezetimib. Die Patienten bekamen dann zusätzlich entweder Plazebo (n=558), alle zwei Wochen 140 mg Evolocumab (n=221) oder einmal pro Monat 420 mg Evolocumab (n=1117). Die LDL-Cholesterolspiegel waren nach 12 Wochen um 63% (140-mg-Gruppe) und 72% (420-mg-Gruppe) niedriger im Vergleich mit Plazebo.
In einer Vielzahl weiterer Studien konnte die Wirksamkeit von Evolocumab gezeigt werden. Beispielweise bei Patienten, die nicht mit CSE-Hemmern vorbehandelt waren (MENDEL-2), die CSE-Hemmer nicht vertragen haben (GAUSS-2) oder bei Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterolämie (RUTHERFORD-2).
Studie DESCARTES. In der doppelblinden und Plazebo-kontrollierten 52-wöchigen Studie DESCARTES (Durable effect of PCSK9 antibody compared with placebo study) wurden 901 Patienten mit Hyperlipidämie eingeschlossen [3]. Die Patienten erhielten zu Beginn der Studie eine lipidsenkende Therapie, die entweder aus einer Diät bestand oder aus einer medikamentösen Behandlung (Atorvastatin 10 mg/Tag, Atorvastatin 80 mg/Tag oder Atorvastatin 80 mg/Tag + Ezetimib 10 mg/Tag). Patienten mit einem LDL-Cholesterolwert von mindestens 75 mg/dl erhielten dann alle vier Wochen entweder Plazebo oder Evolocumab (s.c. 420 mg). Der primäre Endpunkt war die prozentuale Änderung des LDL-Cholesterolwerts nach 52 Wochen. Sekundäre Endpunkte waren unter anderem die absolute LDL-Cholesterol-Reduktion, der Anteil der Patienten mit einem LDL-Cholesterolwert <70 mg/dl, die prozentuale Änderung des HDL- und VLDL-Cholesterolwerts sowie des Apolipoprotein-B-Werts.
Von den 901 eingeschlossenen Patienten beendeten 88,4% (n=800) die 52-wöchige Studie.
Nach 52 Wochen Behandlung betrug die mittlere Reduktion des LDL-Cholesterolwerts in der Evolocumab-Gruppe, unter Berücksichtigung der Änderung in der Plazebo-Gruppe, 57% (Tab. 1). Die Änderung des LDL-Cholesterolwerts war in allen Subgruppen mit unterschiedlichen Zusatztherapien in der Evolocumab-Gruppe signifikant höher als in der Plazebo-Gruppe (p<0,001 in jeder Gruppe, Tab. 1).
Tab. 1. LDL-Cholesterolwerte zu Studienbeginn und nach 52 Wochen in der Studie DESCARTES [3]
Nur Diät |
Diät |
Diät |
Diät + 80 mg Atorvastatin + 10 mg Ezetimib |
Alle Patienten |
||||||
Plazebo (n=37) |
Evolocumab (n=74) |
Plazebo (n=129) |
Evolocumab (n=254) |
Plazebo (n=73) |
Evolocumab (n=145) |
Plazebo (n=63) |
Evolocumab (n=126) |
Plazebo (n=302) |
Evolocumab (n=599) |
|
Mittlerer LDL-C-Wert (± SD) zu Studienbeginn [mg/dl] |
112,3 |
111,6 |
98,4 |
101,3 |
96,2 |
94,6 |
119,8 |
116,8 |
104,0 |
104,2 |
Mittlerer LDL-C-Wert (± SD) nach 52 Wochen [mg/dl] |
117,3 |
53,5 |
103,9 |
44,7 |
104,6 |
49,6 |
115,0 |
63,9 |
107,9 |
50,9 |
%uale Änderung des LDL-Werts nach 52 Wochen1 |
4,2 |
–51,5 |
6,9 |
–54,7 |
10,1 |
–46,7 |
1,7 |
–46,8 |
6,8 |
–50,1 |
LDL-C: LDL-Cholesterol, 1: bestimmt mit der Methode der kleinsten Quadrate (least-squares mean)
Auch die Werte für Apolipoprotein B, Lipoprotein(a) und Triglyceride sanken unter der Evolocumab-Therapie im Vergleich mit Plazebo signifikant. Der HDL-Cholesterol-Wert stieg bei den Patienten, die mit Evolocumab behandelt wurden signifikant um 5,4±1,1% gegenüber Plazebo (p<0,001). Die Plasmaspiegel von ungebundenem PCSK9 waren eine Woche nach der Evolocumab-Behandlung in allen Subgruppen um etwa 90% gesunken. Nach vier Wochen war der PCSK9-Spiegel bei den Patienten, die zusätzlich nur eine Diät erhielten am niedrigsten, bei den Patienten mit der Atorvastatin/Ezetemib-Therapie am höchsten.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen traten in der Evolocumab- und Plazebo-Gruppe mit einer ähnlichen Häufigkeit auf (74,8% vs. 72,2%). Die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen in der Evolocumab-Gruppe waren Nasopharyngitis, Infektionen des oberen Respirationstrakts, Influenza und Rückenschmerzen.
Schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen traten bei 33 Patienten der Evolocumab-Gruppe (5,5%) und bei 13 Patienten (4,3%) der Plazebo-Gruppe auf.
Erhöhte Werte der Creatinkinase (5-fach über Norm) sowie der Aminotransferase (3-fach über Norm) traten bei sieben und fünf Patienten der Evolocumab-Gruppe auf (vs. 1 und 3 Patienten in der Plazebo-Gruppe).
Reaktionen an der Einstichstelle hatten 34 Patienten der Evolocumab-Gruppe und 15 Patienten in der Plazebo-Gruppe. Evolocumab-neutralisierende Antikörper konnten bei keinem Patienten nachgewiesen werden.
Kommentar
Die Therapie der Hyperlipidämie hat sich geändert; die Intensität der Therapie soll sich nach dem kardiovaskulären Risiko und nicht nach den LDL-Cholesterol-Zielwerten richten. Dennoch sind LDL-Cholesterolwerte von unter 70 mg/dl für Patienten mit einem hohen kardiovaskulären Risiko nach wie vor ein Behandlungsziel.
In der Studie DECARTES konnte dieses Ziel bei über 80% der Patienten erreicht werden, die mit einer Injektion von 420 mg Evolocumab alle vier Wochen behandelt wurden.
Die PCSK9-Antikörper sind eine sehr vielversprechende Therapieoption. Auch in der Phase-III-Studie GAUSS-2 mit Patienten, die aufgrund einer Unverträglichkeit keine CSE-Hemmer einnahmen, konnte der LDL-Cholesterolwert signifikant gesenkt werden [8]. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen, die sich auf den Muskel bezogen, waren allerdings sehr häufig. Das Auftreten unerwünschter Ereignisse, beispielsweise die Erhöhung der Creatinkinase-Werte muss in Langzeitstudien untersucht werden. Eine solche Studie ist FOURIER (Further cardiovascular outcomes research with PCSK9 inhibition in subjects with elevated risk), in der untersucht wird, ob die zusätzliche Behandlung mit Evolocumab (alle zwei Wochen oder alle vier Wochen) zu einer bestehenden Therapie mit CSE-Hemmern das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse reduzieren kann [6]. Die Studie soll bis Anfang 2018 laufen und 22500 Patienten einschließen.
Alirocumab ist ein weiterer monoklonaler Anti-PCSK9-Antikörper der derzeit in einem großen Studienprogramm (ODYSSEY) mit 18000 Patienten geprüft wird.
Eine bei der Indikation Hypercholesterolämie noch ungewohnte Applikationsart ist die subkutane Gabe eines Arzneistoffs, die sich bei anderen chronischen Erkrankungen wie multipler Sklerose, rheumatoider Arthritis oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen bereits etabliert hat. Wie die Akzeptanz bei den Patienten im klinischen Alltag aussehen wird, bleibt abzuwarten, denn eine Hypercholesterolämie geht nicht mit akuten Beschwerden einher, sondern erst das kardiovaskuläre Ereignis wie der Herzinfarkt, der mit der Senkung des Cholesterolwerts zu verhindern ist.
Quelle
Prof. Dr. Wolfgang König, Ulm, Prof. Dr. Ioana Gouni-Berthold, Köln, Prof. Dr. Ulrich Laufs, Homburg (Saar); Symposium der Firma Amgen „Neue Horizonte in der Therapie der Hyperlipidämie?“ im Rahmen der 80. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), München, 24. April 2014.
Literaur
1. Baigent C, et al. Efficacy and safety of cholesterol-lowering treatment: prospective meta-analysis of data from 90056 participants in 14 randomised trials of statins. Lancet 2005366;1267–78.
2. Béliard S et al. Improvement in LDL-cholesterol levels of patients with familial hypercholesterolemia: Can we do better? Analysis of results obtained during the past two decades in 1669 French subjects. Atherosclerosis 2014;234:136–41.
3. Blom DJ, et al. A 52-week placebo-controlled trial of evolocumab in hyperlipidemia. N Engl J Med 2014;370:1809–19.
4. Cohen JC et al. Sequence variations in PCSK9, low LDL, and protection against coronary heart disease. N Engl J Med 2006;354:1264–72.
5. ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias. The task force for the management of dyslipidaemias of the European Society of Cardiology (ESC) and the European Atherosclerosis Society (EAS). European Heart Journal 2011;32:1769–818. doi: 10.1093/eurheartj/ehr158.
6. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01764633 (Zugriff am 14. Mai 2014).
7. Klose G, Schwabe U. Lipidsenkende Mittel. In: Schwabe U, Paffrath P (Hrsg.). Arzneiverordnungsreport 2003. Berlin: Springer Verlag, 2013:687–702.
8. Stroes E et al. Anti-PCSK9 antibody effectively lowers cholesterol in patients with statin intolerance: The GAUSS-2 randomized, placebo-controlled phase 3 clinical trial of evolocumab. J Am Coll Cardiol 2014:S0735–1097.
9. Werner C et al. Risk prediction with proprotein convertase subtilisin/kexin type 9 (PCSK9) in patients with stable coronary disease on statin treatment. Vascul Pharmacol 2014:S1537–1891. doi: 10.1016/j.vph.2014.03.004 [Epub ahead of print].
Arzneimitteltherapie 2014; 32(09)