Akute myeloische Leukämie

Überlebensvorteil durch Gemtuzumab Ozogamicin?


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Dr. Susanne Heinzl, Reutlingen

Wird Gemtuzumab Ozogamicin zusätzlich zu einer konventionellen Induktionstherapie bei Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) ohne ungünstige zytogenetische Charakteristika eingesetzt, ergibt sich ein signifikanter Überlebensvorteil. Dies ergab eine Metaanalyse mit den Daten von 3325 erwachsenen Patienten aus fünf randomisierten Studien [1].

Als erstes Antikörper-Immuntoxin-Konjugat weltweit war Gemtuzumab Ozogamicin (GO) (Mylotarg®, Pfizer) im Jahr 2000 von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) für die Behandlung älterer Patienten mit einem AML-Rezidiv zugelassen worden, für die eine intensivierte Therapie nicht angezeigt war. Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Zulassungsbehörde (EMA) lehnte jedoch 2007/2008 die Zulassung von GO ab. Die Ablehnung wurde mit nicht überzeugenden Daten zur Wirksamkeit bei gleichzeitigem Vorliegen von schweren unerwünschten Wirkungen begründet.

Insbesondere die Daten der SWOG-S0106-Studie (South West Oncology Group) führten dann im Jahr 2010 zur Marktrücknahme von GO in den USA [2]. Diese Studie war vorzeitig abgebrochen worden, weil in der GO-Gruppe eine erhöhte frühe Sterblichkeit (6% vs. 1%) beobachtet wurde, die durch einen späteren erhöhten Nutzen nicht ausgeglichen werden konnte. Bemerkenswert war jedoch, dass die Frühsterblichkeit in der Kontrollgruppe mit Daunorubicin und Cytarabin sehr niedrig war, während sie in der GO-Gruppe plus Chemotherapie den Erwartungen bei konventioneller Therapie entsprach. Zudem war die Daunorubicin-Dosierung in der GO-Gruppe 25% niedriger als in der Kontrollgruppe, was retrospektiv als Nachteil für die Verum-Gruppe angesehen werden kann.

Metaanalyse aus fünf Studien

Weil nach wie vor unklar war, ob GO für AML-Patienten einen Nutzen bei gleichzeitig akzeptabler Frühsterblichkeit hat, wurde eine Metaanalyse durchgeführt, in der die individuellen Patientendaten aus fünf Studien mit Erwachsenen eingeschlossen waren, in denen GO in Kombination mit einer Standard-Induktionschemotherapie verwendet worden war. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben.

Die zusätzliche Gabe von GO zu einer Standard-Induktionstherapie führte zu einer signifikanten Verlängerung des Gesamtüberlebens nach fünf Jahren (Odds-Ratio [OR] 0,90; 95%-Konfidenzintervall 0,82–0,98; p=0,01). Dieser Effekt war von der Dosierung unabhängig. Nach sechs Jahren war der Überlebensvorteil vor allem bei den Patienten mit günstigem zytogenetischem Profil deutlich (OR 0,47; 0,31–0,73; p=0,0006), er war jedoch auch bei Patienten mit intermediärem zytogenetischem Risiko zu sehen (OR 0,84; 0,75–0,95; p=0,005). Bei Patienten mit ungünstigem zytogenetischem Profil ergab sich kein Nutzen von GO (OR 0,99; 0,83–1,18; p=0,9).

Die 30-Tage-Sterblichkeit stieg mit GO nicht signifikant an (OR 1,28; 0,97–1,70; p=0,08), wobei das Risiko bei höherer Dosierung von 6 mg/m² höher zu sein schien als bei einer Dosierung von 3 mg/m². Nur in der SWOG-S0106-Studie war die 30-Tage-Sterblichkeit mit GO signifikant höher als in der Kontrollgruppe. Wurden diese Daten bei der Analyse ausgeschlossen, war die 30-Tage-Sterblichkeit bei den verbleibenden 2728 Patienten nicht erhöht (OR 1,13; 0,84–1,54; p=0,4).

Ergebnis rechtfertigt erneute Überprüfung der Zulassung

Kharfan-Dabaja weist in einem begleitenden Kommentar zur Metaanalyse darauf hin, dass die AML eine sehr heterogene Erkrankung ist, deren klinische Charakteristika durch das Zusammenwirken genetischer und molekularer Faktoren bestimmt werden. Wenn man den in einzelnen Studien und in dieser Metaanalyse nachgewiesenen Überlebensvorteil bei Patienten mit günstigem und intermediärem zytogenetischen Profil ignoriere, würde dies dem Streben nach einer stärker individualisierten Therapie widersprechen [3].

Die Autoren der Metaanalyse sowie der Kommentator sind der Ansicht, dass diese Ergebnisse eine erneute Überprüfung der GO-Daten durch die Zulassungsbehörden rechtfertigen und die Substanz damit möglicherweise wieder für die Therapie verfügbar wird.

Literatur

1. Hills RK, et al. Addition of gemtuzumab ozogamicin to induction chemotherapy in adult patients with acute myeloid leukaemia: a meta-analysis of individual patient data from randomised controlled trials. Lancet Oncol 2014; https://dx.doi.org/10.1016/S1470-2045(14)70281-5.

2. Petersdorf SH, et al. A phase 3 study of gemtuzumab ozogamicin during induction and postconsolidation therapy in younger patients with acute myeloid leukemia. Blood 2013;121:4854–60, https://dx.doi.org/10.1182/blood-2013-01-466706.

3. Kharfan-Dabaja M. A new dawn for gemtuzumab ozogamicin? Lancet Oncol 2014, https://dx.doi.org/10.1016/S1470-2045(14)70289-X.

Arzneimitteltherapie 2014; 32(09)