Dr. Bettina Hellwig, Konstanz
Eribulin (Halaven®) ist der erste synthetische Vertreter der neuen Substanzklasse der Halichondrine, die als Naturprodukte im Meeresschwamm Halichondria okadai (Abb. 1) vorkommen. Der neue Wirkstoff ist in Deutschland seit Mai 2011 zur Monotherapie des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinoms nach Vorbehandlung mit einem Anthracyclin und einem Taxan auf dem Markt, wenn nach mindestens zwei Chemotherapien eine weitere Progression eingetreten ist.

Abb. 1. Halichondria okadai [Eisai GmbH]
Hemmung der Mikrotubuli
Eribulin wirkt, indem es in der Wachstumsphase der Krebszellen die Funktion der Mikrotubuli stört und somit die Zellteilung verhindert, ähnlich wie Taxane und Vincaalkaloide. Eribulin bindet jedoch an einer anderen Stelle an die Mikrotubuli als Taxane und Vincaalkaloide, sodass dadurch wahrscheinlich Resistenzen der Krebszellen überwunden werden können.
Im Gegensatz zu Vinblastin und Paclitaxel hemmt Eribulin das Wachstum der Mikrotubuli, ohne dass die Verkürzungsphase beeinträchtigt wird. Unter Eribulin wird Tubulin in nichtproduktive Aggregate abgekapselt (Sequestrierung). Als Folge kommt es zu einer Zerstörung der mitotischen Spindeln, zur Blockade des Zellzyklus und nach längerer Mitoseblockade zum apoptotischen Zelltod.
Therapieoption für Patienten mit fortgeschrittenem Brustkrebs
Eribulin wurde bereits vor seiner offiziellen Zulassung in die Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) aufgenommen. Derzeit empfehlen sowohl die S3-Leitlinie Brustkrebs der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) als auch die aktuellen Leitlinien der AGO und der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) den Einsatz von Eribulin als Therapie der Wahl bei Patienten mit fortgeschrittenem Mammakarzinom, die mit Anthracyclinen und Taxanen vorbehandelt wurden.
Seit Anfang Juli 2014 ist Eribulin zur Behandlung von Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs zugelassen, bei denen nach Anwendung mindestens eines Chemotherapieschemas zur Behandlung der fortgeschrittenen Erkrankung eine weitere Progression eingetreten ist. Die adjuvant oder nach einer Metastasierung angewendeten Vortherapien sollten ein Anthracyclin und ein Taxan enthalten haben, es sei denn, diese Behandlungen waren für den Patienten ungeeignet.
Gepoolte Analyse von zwei Studien
Die Zulassung der EMA stützt sich auf die gepoolte Analyse der Daten von zwei Phase-III-Studien (EMBRACE und 301) mit insgesamt mehr als 1800 Studienteilnehmerinnen. In der Analyse wurde das Gesamtüberleben in der Intent-to-treat(ITT)-Gesamtgruppe und in den nach HER2 und Hormonrezeptorstatus unterschiedenen Untergruppen bewertet. Die Auswertung lieferte weitere Belege für eine Verlängerung des Gesamtüberlebens (overall survival, OS) durch Eribulin bei Frauen mit fortgeschrittenem Brustkrebs, verglichen mit anderen Standardtherapien.
Vor allem bei Brustkrebspatientinnen mit negativem Status des humanen epidermalen Wachstumsfaktorrezeptors 2 (HER2) verlängerte sich durch die Behandlung mit Eribulin das Gesamtüberleben signifikant (15,2 vs. 12,3 Monate; p=0,002). Dieser Untertyp betrifft schätzungsweise 85% der Brustkrebspatientinnen. Eine Verlängerung des Gesamtüberlebens zeigte sich aber auch bei Patientinnen mit tripelnegativem Brustkrebs (TNBC) (12,9 vs. 8,2 Monate, p=0,006), nicht jedoch bei Patientinnen mit HER2-positivem Brustkrebs (13,5 vs. 12,2 Monate; p=0,135).
EMBRACE: Längere Gesamtüberlebensdauer
Die Phase-III-Zulassungsstudie EMBRACE (Eisai metastatic breast cancer study assessing treatment of physicians choice [TPC] versus eribulin E7389) ist eine offene, randomisierte, weltweite, multizentrische Parallelgruppenstudie mit zwei Behandlungsarmen, in der die Gesamtüberlebenszeit von 762 Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom verglichen wurde. Die Patientinnen waren zwischen 27 und 85 Jahre alt. Sie hatten zuvor mindestens zwei und höchstens fünf Chemotherapien, darunter ein Anthracyclin und ein Taxan, erhalten und galten als austherapiert; ihr Tumor war innerhalb von sechs Monaten nach der letzten Chemotherapie progredient geworden.
In der Studie wurden sie entweder mit Eribulin (1,4 mg/m2 i.v.) oder mit einem vom Prüfarzt gewählten Therapieschema (treatment of physician’s choice, TPC) behandelt. TPC war definiert als geeignete Monochemo-, Hormon- oder Biologika-Therapie oder palliative Behandlung oder Strahlentherapie. 96% der Patientinnen in der TPC-Behandlungsgruppe erhielt eine Chemotherapie.
In dieser Studie verlängerte Eribulin das Gesamtüberleben bei stark vorbehandelten Patientinnen mit metastasiertem Brustkrebs im Vergleich zu Patientinnen, die TPC erhielten, um 2,7 Monate (13,2 vs. 10,5 Monate; nominaler p-Wert: p=0,014), was einer Steigerung der Gesamtüberlebenszeit von rund 20% entspricht. Außerdem wurde auch das progressionsfreie Überleben verlängert. Von dem positiven Effekt auf das Gesamtüberleben und das progressionsfreie Überleben profitierten sowohl die Patientinnen mit einem refraktären als auch die mit einem nichtrefraktären Tumor gegenüber Taxanen.
Globale Phase-III-Studie 301
In der zweiten Studie der gepoolten Analyse (Studie 301) wurde Eribulin mit Capecitabin verglichen. Die Studie war offen, randomisiert und multizentrisch und wurde in zwei parallelen Behandlungsarmen durchgeführt. Sie umfasste 1102 Frauen mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs, die zuvor bis zu zwei Chemotherapien erhalten hatten. Sie waren mit Anthracyclinen und Taxanen behandelt worden, entweder im Rahmen der (neo)adjuvanten Therapie oder bei lokal fortgeschrittener oder metastasierter Erkrankung.
Die Patientinnen wurden im Verhältnis 1:1 randomisiert und erhielten entweder Eribulin (Dosierungsschema wie in der EMBRACE-Studie; 1,4 mg/m2) oder Capecitabin (2,5 g/m2). Eribulin wurde alle 21 Tage an den Tagen 1 und 8 über zwei bis fünf Minuten intravenös verabreicht, Capecitabin alle 21 Tage an den Tagen 1 bis 14 zweimal täglich oral in zwei gleichen Dosen.
Bei den Frauen, die mit Eribulin behandelt wurden, betrug das Gesamtüberleben durchschnittlich 15,9 Monate im Vergleich zu 14,5 Monaten unter der Therapie mit Capecitabin. Diese Verbesserung war statistisch nicht signifikant. Der vorgegebene Endpunkt, eine Überlegenheit in Bezug auf das progressionsfreie Überleben, wurde bisher nicht erreicht.
Unerwünschte Wirkungen
Zu den häufigsten unerwünschten Ereignissen, die im Rahmen von fünf Phase-II-Studien und den beiden Phase-III-Studien unter Eribulin-Therapie erfasst wurden, gehörten Fatigue/Asthenie (47,9%), Neutropenie (57%), Alopezie (sehr häufig), eine periphere Neuropathie (35,6%) sowie Übelkeit (33,8%) und Verstopfung (19,6%). In der EMBRACE-Studie waren in der Eribulin-Behandlungsgruppe Todesfälle durch schwere Nebenwirkungen seltener als in der TPC-Gruppe. Auch war es unter Eribulin seltener als in der TPC-Gruppe notwendig, den Wirkstoff abzusetzen und die Behandlung zu unterbrechen.
Der häufigste Grund für den vorzeitigen Abbruch der Eribulin-Therapie war eine periphere Neuropathie, die bei 5% aller Patientinnen auftrat.
Bei Patientinnen mit febriler Neutropenie, schwerer Neutropenie oder Thrombozytopenie sowie anderen Toxizitäten 3. oder 4. Grades sollte die Gabe von Eribulin an den Tagen 1 oder 8 verschoben und bei der Weiterbehandlung die Dosis auf 0,97 bis 0,62 mg/m2 reduziert werden. Kommt es dennoch zu schweren Unverträglichkeiten, ist ein Absetzen der Behandlung zu erwägen. Wenn die Eribulin-Dosis einmal gesenkt wurde, darf sie nicht wieder erhöht werden.
Quelle
Prof. Dr. Christian Jackisch, Offenbach; Meet-the-Expert „Neue Daten zum Einsatz von Halaven® (Eribulin) in der frühen Therapie des metastasierten Mammakarzinoms“, veranstaltet von Eisai GmbH im Rahmen des Senologiekongresses, Berlin, 19. Juni 2014.
Arzneimitteltherapie 2014; 32(10)