Enzalutamid


Aus Expertensicht

Johannes Huber und Manfred P. Wirth, Dresden

Arzneimitteltherapie 2014;32:334–5.

Enzalutamid (Xtandi®) ist seit über einem Jahr für die palliative Behandlung des kastrationsresistenten Prostatakarzinoms zugelassen. Ganz aktuell konnte seine Wirksamkeit auch in der Chemotherapie-naiven Situation belegt werden [1], sodass nun mit Abirateronacetat und Enzalutamid zwei Vertreter einer „neuen Generation“ der Hormontherapie vor oder nach einer Docetaxel-Chemotherapie zur Verfügung stehen.

Die aus den Phase-III-Studien zu erwartende gute Verträglichkeit von Enzalutamid hat sich seit seiner Verfügbarkeit im klinischen Alltag bestätigt. Aufgrund der deutlich früheren Zulassung von Abirateronacetat (Zytiga®) in derselben Indikation wird Enzalutamid momentan allerdings überwiegend in der zweiten oder dritten Linie eingesetzt. Damit weisen die Patienten tendenziell einen schlechteren Allgemeinzustand auf und sind insgesamt anfälliger. Dadurch ist eine Differenzierung von Symptomen durch einen Erkrankungsprogress gegenüber unerwünschten Arzneimittelwirkungen deutlich erschwert. Dies trifft vor allem für unspezifische Symptome wie die Fatigue zu.

Optionen bei kastrationsresistentem Prostatakarzinom

Seit der Einführung der Docetaxel-Chemotherapie 2004 wurden neben Abirateronacetat und Enzalutamid drei weitere Substanzen zur Systemtherapie beim kastrationsresistenten Prostatakarzinom zugelassen, die einen Vorteil im Gesamtüberleben nachweisen konnten. Als Zweitlinien-Chemotherapie zeigte Cabazitaxel (Jevtana®) Wirksamkeit. Sipuleucel-T ist eine Tumorvakzine, die bei asymptomatischen oder minimal symptomatischen Patienten in der Erstlinie zum Einsatz kommen kann. Die Radionuklidtherapie mit Radium-223-Dichlorid (Alpharadin, Xofigo®) konnte in der Zweitliniensituation nach Chemotherapie bei Patienten mit ossären Metastasen eine gute Verträglichkeit und Wirksamkeit nachweisen.

Problematisch bleibt dabei die Festlegung auf einen klaren Therapiealgorithmus, da bislang keine direkten Vergleichsdaten der neuen Substanzen und auch keine belastbaren Sequenzdaten vorliegen. In die Entscheidungsfindung zu Art und Zeitpunkt einer weiteren medikamentösen Therapie sollen neben der Patientenpräferenz vor allem die Symptomatik, die Dynamik des Krankheitsprogresses, die Metastasenlokalisation, die Tumorlast, das Nebenwirkungsspektrum der Therapieoptionen, Komorbiditäten sowie Lebenserwartung und Lebensqualität mit eingehen [4].

Entsprechend gibt die deutsche S3-Leitlinie keine Empfehlung zu einer bestimmten Therapiesequenz, misst aber der umfassenden Aufklärung des Patienten bei der Therapieentscheidung eine besonders hohe Bedeutung zu [4]. Insbesondere soll darüber aufgeklärt werden, dass es sich um eine palliative Behandlungssituation handelt, in der eine Heilung nicht zu erreichen ist. Alle möglichen Therapiemaßnahmen sind mit Nebenwirkungen verbunden und ihre Auswirkungen auf die Lebensqualität sind letztlich nur unzureichend untersucht.

Mit zunehmender Verfügbarkeit deutlich besser verträglicher Therapieoptionen mit nachweislichem Effekt auf das Gesamtüberleben und die Symptomatik wird die prinzipielle Entscheidung zur Durchführung einer Systemtherapie jedoch in den meisten Fällen deutlich leichter fallen. Hier haben die Vertreter einer „neuen Generation“ der Hormontherapie den großen psychologischen Vorteil, dass sie nicht von den Vorbehalten gegen eine Chemotherapie betroffen sind. Dieser Aspekt ist in den Beratungsgesprächen mit Betroffenen häufig sehr deutlich zu spüren und auch nicht mit dem Verweis auf eine vergleichsweise gute Verträglichkeit von Docetaxel zu entkräften.

Einen sehr klar strukturierten Therapiealgorithmus bietet die US-amerikanische Leitlinie [2], die anhand von sechs klinischen Situationen die Behandlungsoptionen bei Kastrationsresistenz darstellt. Allerdings ist die Indikationsausweitung von Enzalutamid auf die Chemotherapie-naive Situation [1] hier noch nicht berücksichtigt; diese Option wurde im Folgenden ergänzt:

  • Im nichtmetastasierten Stadium sind Verlaufskontrollen unter fortgeführter Androgendeprivation indiziert, alternativ eine sekundäre Hormonmanipulation.
  • Im Chemotherapie-naiven metastasierten Stadium sind bei geringer Symptomatik Abirateronacetat, Enzalutamid, Docetaxel oder Sipuleucel-T möglich, alternativ bei Patientenwunsch auch eine sekundäre Hormonmanipulation oder Verlaufskontrollen unter fortgeführter Androgendeprivation.
  • Bei Chemotherapie-naiven, symptomatischen Patienten mit gutem Performance-Status empfiehlt die US-Leitlinie Docetaxel, alternativ Abirateronacetat, Enzalutamid, Ketoconazol mit Glucocorticoid (z.B. Hydrocortison), Mitoxantron oder eine Radionuklidtherapie mit Radium-223-Dichlorid.
  • Bei Chemotherapie-naiven, symptomatischen Patienten mit schlechtem Performance-Status werden Abirateronacetat und Enzalutamid empfohlen. Alternativen sind Ketoconazol mit Glucocorticoid oder eine Radionuklidtherapie mit Radium-223-Dichlorid. Auch Docetaxel oder Mitoxantron sind in ausgewählten Fällen möglich.
  • Nach Docetaxel und bei gutem Performance-Status werden Abirateronacetat, Enzalutamid und Cabazitaxel empfohlen. Bei fehlender Verfügbarkeit dieser neueren Substanzen ist Ketoconazol mit Glucocorticoid eine Alternative; ebenso eine Docetaxel-Rechallenge bei zuletzt gutem Ansprechen.
  • Schließlich empfiehlt die US-Leitlinie nach Docetaxel und bei schlechtem Performance-Status primär das Angebot einer bestmöglichen Supportivtherapie. Alternativ sind Abirateronacetat, Enzalutamid, Ketoconazol mit Glucocorticoid oder eine Radionuklidtherapie mit Radium-223-Dichlorid möglich.

Aus der doch komplexeren Indikationsstellung und der Vielzahl an Alternativen ist leicht ersichtlich, dass konkurrierende Therapieoptionen den Marktanteil von Enzalutamid begrenzen. Insbesondere Abirateronacetat hat sich aufgrund der früheren Verfügbarkeit vorerst als „De-facto-Erstlinientherapie“ etabliert, wenngleich es für eine Priorisierung einer der beiden neuen Substanzen medizinisch bislang keine Evidenz gibt.

Comeback von Docetaxel?

Äußerst spannend ist außerdem der Stellenwert der Chemotherapie. Aufgrund der guten Verträglichkeit und Wirksamkeit der „neuen Generation“ der Hormontherapie wurde Docetaxel zuletzt bei fehlender bis milder Symptomatik im kastrationsresistenten Stadium in die hinteren Behandlungslinien verdrängt. Zum diesjährigen Kongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) wurde die Bedeutung einer frühzeitigen Docetaxel-Therapie jedoch neu definiert [3]: Bei insgesamt 790 Patienten mit neu diagnostiziertem hormonsensitivem Prostatakarzinom verbesserte eine sofortige kombinierte Hormon-Chemotherapie das Gesamtüberleben um mehr als 13 Monate im Vergleich zur alleinigen Hormontherapie; bei hoher Tumorlast war dieser Überlebensvorteil sogar noch ausgeprägter. Mit diesem bemerkenswerten Ergebnis dürfte sich die Docetaxel-Chemotherapie als wichtige Therapieoption möglicherweise bereits in der hormonsensitiven Phase etablieren – damit könnte dann auch ein relevanter Anteil der Sequenzfrage in der kastrationsresistenten Situation beantwortet werden. Voraussetzung ist jedoch zunächst, dass diese Studie vollständig publiziert wird und die Ergebnisse einer Überprüfung standhalten.

Interessenkonflikterklärung

JH gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

MW ist Mitglied im wissenschaftlichen Beratergremium der Janssen-Cilag GmbH.

Literatur

1. Beer TM, Armstrong AJ, Rathkopf DE, et al. Enzalutamide in metastatic prostate cancer before chemotherapy. N Engl J Med 2014;371:424–33.

2. Cookson MS, Roth BJ, Dahm P, et al. Castration-resistant prostate cancer: AUA Guideline. J Urol 2013;190:429–38.

3. Sweeney C, Chen Y-H, Carducci MA, et al. Impact on overall survival with chemohormonal therapy versus hormonal therapy for hormone-sensitive newly metastatic prostate cancer: an ECOG-led phase III randomized trial. J Clin Oncol 2014;32:5s (suppl; abstr LBA2),

4. Wirth M et al. (2011) Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms.

Priv.-Doz. Dr. med. Dr. phil. Johannes Huber, Prof. Dr. med. Dr. h.c. Manfred Wirth, Klinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden, Fetscherstraße 74, 01307 Dresden, E-Mail: Johannes.Huber@uniklinikum-dresden.de

Arzneimitteltherapie 2014; 32(11)