Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg
Das akute Koronarsyndrom gehört zu den häufigsten Erkrankungen unserer Zeit und ist trotz großer Fortschritte immer noch mit einer nicht unerheblichen Mortalität assoziiert. Auch wenn das Management dieser Erkrankung detailliert in offiziellen Leitlinien festgelegt ist, so gibt es doch Empfehlungen, die im Lichte neuer Erkenntnisse und innovativer Substanzen diskutiert werden. Dazu gehört die Vorbehandlung mit einem P2Y12-Rezeptor-Inhibitor ebenso wie die Verwendung der intraaortalen Ballonpumpe beim kardiogenen Schock.
Non-STEMI: Ist eine Vorbehandlung erforderlich?
Die offiziellen Leitlinien empfehlen bei Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom (acute coronary syndrome, ACS) die möglichst rasche Gabe von 600 mg Clopidogrel (z.B. Plavix®) als Vorbehandlung. Diese Empfehlung basiert auf den pharmakologischen Eigenschaften des Clopidogrels, das im Körper zunächst in den aktiven Metaboliten umgewandelt werden muss, sodass eine gewisse Zeit vergeht, bis die Substanz ihre volle Wirkung entfaltet. Daten aus prospektiven randomisierten Studien bezüglich Effektivität einer solchen Vorbehandlung gibt es allerdings nicht. In einer Metaanalyse konnte kein Vorteil einer Clopidogrel-Vortherapie dokumentiert werden [1].
Studiendaten zeigen Überlegenheit von Prasugrel
In der Studie TRITON-TIMI-38 (Trial to assess improvement in therapeutic outcomes by optimizing platelet inhibition with prasugrel – thrombolysis in myocardial infarction) erwies sich Prasugrel (Efient®) bei Patienten mit einem ACS dem Clopidogrel als überlegen [2]. Bei Patienten mit transitorischer ischämischer Attacke (TIA)/Schlaganfall in der Anamnese beziehungsweise bei einem Alter >75 Jahre oder bei einem Körpergewicht <60 kg sollte Prasugrel allerdings nicht eingesetzt werden, da für diese Patientengruppen kein Vorteil, aber ein erhöhtes Blutungsrisiko dokumentiert werden konnte.
Kein Zusatznutzen durch Vorbehandlung mit Prasugrel
In der Studie ACCOAST (A comparison of prasugrel at the time of percutaneous coronary intervention or as pre-treatment at the time of diagnosis in patients with non-ST-elevation myocardial infarction) konnte bei 4033 Patienten mit Non-STEMI (Non-ST-elevation myocardial infarction) gezeigt werden, dass eine Vorbehandlung mit 30 mg Prasugrel vier Stunden vor der invasiven Diagnostik gefolgt von der Gabe von 30 mg zum Zeitpunkt der Intervention keinen zusätzlichen Nutzen bringt im Vergleich zu der einmaligen Gabe von 60 mg Prasugrel zum Zeitpunkt der perkutanen Koronarintervention (percutaneous coronary intervention, PCI), allerdings das Risiko für nicht-CABG-bedingte (CABG: coronary artery bypass graft) Blutungsereignisse erhöht. Bei Einsatz von Prasugrel ist also eine Vorbehandlung nicht sinnvoll.
Vorbehandlung birgt auch Risiken
Grundsätzlich empfiehlt sich auch bei Non-STEMI-Patienten eine zeitnahe Durchführung der Koronarangiographie, zumal die klinische Diagnose eines ACS nicht immer invasiv bestätigt werden kann. Bei einer Vorbehandlung würde man solche Patienten mit einer Fehldiagnose unnötigerweise dem erhöhten Blutungsrisiko einer dualen Thrombozytenfunktionshemmung aussetzen. Eine möglichst frühe invasive Diagnostik verhindert Fehldiagnosen, senkt das Risiko einer erneuten Ischämie und dies dürfte sich auch positiv auf die Prognose auswirken.
STEMI: Time is muscle
Beim ST-Hebungsinfarkt ist die optimale Reperfusionstherapie die Sofort-PCI. Deshalb sollten diese Patienten sofort in eine Klinik mit 24-Stunden-Katheterbereitschaft gebracht werden. Durch eine solche Intervention, zusammen mit einer optimierten medikamentösen Begleittherapie, konnte die intrahospitale Mortalität beim STEMI in den letzten Jahren auf 4,5% gesenkt werden. Je früher die Reperfusion gelingt, umso besser ist die Prognose. In den ersten zwei bis drei Stunden bringt die Reperfusion den größten Nutzen. Eine PCI innerhalb von sechs Stunden führt zu einer deutlichen Reduktion der Mortalität. In dem Zeitfenster von 6 bis 12 Stunden wird nur noch ein minimaler Benefit erzielt. Deshalb sollte das Zeitintervall vom primären Arztkontakt bis zur Intervention nicht länger als 90 Minuten und die Door-to-Ballon-Zeit in der Klinik maximal 60 Minuten betragen. Eine primäre Fibrinolyse ist nur dann vertretbar, wenn durch die Verlegung in eine Klinik mit Katheterlabor mehr als 120 Minuten verloren gehen. Eine generelle pharmakoinvasive Therapie (Lyse mit anschließender PCI) verbessert nicht das Outcome, aber erhöht das Risiko für eine intrakranielle Blutung [4].
Zur unverzichtbaren Basistherapie des STEMI gehört die duale Thrombozytenfunktionshemmung mit ASS und einem P2Y12-Inhibitor. Für den Erfolg der Sofort-PCI und somit auch für die Prognose des Patienten ist es vorteilhaft, wenn zum Zeitpunkt der Intervention das infarktbezogene Gefäß offen ist.
Dies der Hintergrund für eine Vorbehandlung mit Clopidogrel. Daten aus prospektiven randomisierten Studien, die diese Strategie stützen, gibt es zwar nicht, aber in einer österreichischen Registerstudie zeigte sich, dass eine solche Vorbehandlung sowohl die Rate an Reinfarkten und Schlaganfällen senkt als auch die intrahospitale Mortalität günstig beeinflusst (3,4% mit Clopidogrel-Vorbehandlung vs. 10,2% ohne Clopidogrel-Vorbehandlung, p<0,01) [5].
Bei der Gabe von Prasugrel, das nach den Ergebnissen der TRITON-TIMI-38-Studie dem Clopidogrel auch beim STEMI überlegen ist, wird eine Vorbehandlung nicht empfohlen. Bei einer hohen Thrombuslast ist die zusätzliche Gabe von Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor-Inhibitoren sinnvoll.
Therapie des kardiogenen Schocks
Eine der gefürchtetsten Komplikationen des ACS ist der kardiogene Schock. Dank moderner Therapiestrategien konnte die intrahospitale Mortalität dieses Ereignisses in den letzten 15 Jahren von rund 80% auf 40 bis 45% gesenkt werden. Entscheidend für diese Verbesserung der Prognose ist die Sofort-PCI, die heute bei fast 90% der betroffenen Patienten durchgeführt wird. Im Vergleich zu Infarkt-Patienten ohne kardiogenen Schock, deren intrahospitale Mortalität heute bei nur 3 bis 4% liegt, handelt es sich aber weiterhin um ein Krankheitsbild mit sehr ernster Prognose.
Aber auch bei der Wahl der Catecholamine hat es Fortschritte gegeben. Nach den offiziellen Leitlinien sollte Dopamin heute nicht mehr eingesetzt werden. Für die inotrope Unterstützung wird stattdessen Dobutamin empfohlen. Noradrenalin sollte insbesondere in der Initialphase, wenn noch kein erweitertes hämodynamisches Monitoring vorliegt, in Kombination mit Dobutamin eingesetzt werden, wenn mit Dobutamin allein kein ausreichender Perfusionsdruck erzielt werden kann. Bei Catecholamin-Refraktärität sollte initial der Calciumsensitizer Levosimendan (Simdax®) gegenüber dem Phosphodiesterase-III-Inhibitor Enoximon (Perfan®) bevorzugt werden.
Bezüglich der intraaortalen Ballonpumpe (IABP) konnte in einer neueren Studie (IABP-Shock) kein signifikanter Benefit weder bezüglich der 30-Tage- noch der Einjahresmortalität dokumentiert werden [6]. Sie dürfte deshalb bei der nächsten Aktualisierung der Leitlinie nicht mehr empfohlen werden. Ein neuer interventioneller Therapieansatz sind linksventrikuläre Assist-Devices, deren Implantation in therapierefraktären Einzelfällen durchaus erwogen werden sollte.
Fazit
Für Patienten mit Non-STEMI existieren keine Daten, die eine Vortherapie mit Clopidogrel rechtfertigen. Für Prasugrel ist belegt, dass eine Vortherapie nicht sinnvoll ist.
Bei Patienten mit STEMI gibt es überzeugenden Ergebnisse, die eine Vortherapie beim Einsatz von Clopidogrel nahe legen. Eine Vorbehandlung mit dem überlegenen Prasugrel wird auch hier nicht empfohlen.
Quelle
Prof. Andreas Schäfer, Hannover, Prof. Franz Weidinger, Wien, Prof. Holger Thiele, Lübeck; Satellitensymposium „Interventionelle Therapie des akuten Koronarsyndroms (ACS) – Aspekte aus Sicht der Notfall- und Intensivmediziner“, veranstaltet von Daiichi Sankyo Deutschland GmbH und Lilly Deutschland GmbH im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin (DGIIN), Salzburg, 12. Juni 2014.
Literatur
1. Bellemain-Appaix A, et al. Association of clopidogrel pre-treatment with mortality, cardiovascular events and major bleeding among patients undergoing coronary intervention: a systematic review and meta-analysis. JAMA 2012;308:2507–17.
2. Montalescot G, et al. Prasugrel compared with clopidogrel in patients with acute coronary syndromes. N Engl J Med 2007:357:2001–15.
3. Montalescot G, et al. Pretreatment with prasugrel in non-ST-segment elevation acute coronary syndromes. N Engl J Med 2013; 369:999–1010.
4. www.escardio.org/guidelines; Eur Heart J 2012;33:2569–619; doi:10.1093/eurheartj/ehs215.
5. Dörler J, et al. Clopidogrel pre-treatment is associated with reduced in-hospital mortality in primary percutaneous coronary intervention for acute ST-elevation myocardial infarction. Eur Heart J 2011;32:2954–61.
6. Thiele H, et al. Intraaortic balloon support for myocardial infarction with cardiogenic shock. N Engl J Med 2012;367:1287–96; doi:10.1056/NEJMoal1208410.
Arzneimitteltherapie 2014; 32(11)