Neue Therapie des akuten Koronarsyndroms

Thrombozyten- plus Gerinnungshemmung


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Die bisherige antithrombotische Standardtherapie des akuten Koronarsyndroms (ACS) ist die duale Thrombozytenfunktionshemmung. Nach den Ergebnissen der ATLAS-ACS-TIMI-51-Studie kann durch eine zusätzliche Gerinnungshemmung mit dem Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban in niedriger Dosierung die Prognose weiter verbessert werden. Die Ergebnisse dieser Studie wurden im Rahmen einer von Bayer HealthCare veranstalteten Pressekonferenz im Juni 2014 in Frankfurt a. M. diskutiert.

Das akute Koronarsyndrom (ACS) ist mit über 280000 Fällen jährlich eine der häufigsten Ursachen für eine notfallmäßige Krankenhausaufnahme. Trotz gewisser Fortschritte handelt es sich dabei weiterhin um ein Krankheitsbild mit ernster Prognose; denn pro Jahr versterben noch 52000 Patienten an einem Myokardinfarkt. Dieser ist somit die dritthäufigste Todesursache bei beiden Geschlechtern. Besonders gefährdet sind Patienten mit einem kardiogenen Schock, der auch im Zeitalter der Sofort-PCI (percutaneous coronary intervention), die heute bei 88% dieser Patienten durchgeführt wird, immer noch mit einer Mortalität von fast 40% belegt ist.

Leitlinien-Empfehlungen

Nach den aktuellen Leitlinien sollte heute jeder Patient mit einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) sofort einer PCI zugeführt werden. Nur wenn dies nicht innerhalb von zwei Stunden möglich ist, sollte eine medikamentöse Fibrinolyse diskutiert werden.

Beim Nicht-ST-Hebungsinfarkt (Non-STEMI) steht zunächst die Einleitung einer optimalen medikamentösen Therapie im Vordergrund, wobei die betroffenen Patienten nach einer individuellen Risikostratifizierung innerhalb von 72 Stunden einer invasiven Diagnostik zugeführt werden sollten [1]. Entsprechend der Pathogenese, in deren Mittelpunkt ein frischer Thrombus auf einer rupturierten Plaque steht, erfordern alle Patienten mit einem ACS unabhängig davon, ob es sich um einen STEMI oder Non-STEMI handelt, eine rasch einsetzende maximale duale Thrombozytenfunktionshemmung, wobei heute Acetylsalicylsäure (ASS, z.B. Aspirin®) mit Clopigogrel (z.B. Plavix®), Ticagrelor (Brilique®) oder Prasugrel (Efient®) kombiniert wird. Diese duale Thrombozytenfunktionshemmung sollte im Rahmen der Sekundärprävention über ein Jahr fortgeführt werden, gefolgt von einer lebenslangen ASS-Monotherapie.

ATLAS-ACS-TIMI-51-Studie

Auch nach einem überstandenen kardiovaskulären Ereignis finden sich bei Patienten mit einem ACS weiterhin erhöhte Thrombinwerte als Hinweis auf eine weiterbestehende Hyperkoagulabilität. Dies ist der Hintergrund für eine zusätzliche Hemmung der plasmatischen Gerinnung bei Patienten mit einem ACS. Schon in früheren Studien konnte gezeigt werden, dass ein Vitamin-K-Antagonist nach einem ACS ebenso effektiv ist wie ASS. Dieses Therapiekonzept konnte sich aber wegen der schwierigen Handhabung nicht durchsetzen.

Ein neuer Therapieansatz bei Patienten mit einem ACS ist der Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban (Xarelto®). In einer Phase-II-Dosisfindungsstudie mit 3500 Patienten wurde als eine auch unter Sicherheitsaspekten optimale Dosierung für Patienten mit ACS in der Sekundärprävention zweimal täglich 2,5 mg Rivaroxaban ermittelt, wobei der Faktor-Xa-Inhibitor zusätzlich zu ASS bzw. ASS plus Clopidogrel gegeben wird. In der Phase-III-Studie ATLAS ACS – TIMI 51 (Anti-Xa therapy to lower cardiovascular events in addition to standard therapy in subjects with acute coronary syndrome – thrombolysis in myocardial infarction) wurde die Substanz in einer Dosierung von zweimal 2,5 mg/Tag und zweimal 5,0 mg/Tag Plazebo-kontrolliert bei 15526 Patienten mit STEMI, Non-STEMI oder instabiler Angina pectoris, die zunächst ASS plus Clopidogrel oder Ticlopidin erhielten, bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit überprüft. Primärer Wirksamkeitsendpunkt war die Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall. Primärer Sicherheitsendpunkt waren schwere Blutungen mit Ausnahme von Blutungen im Rahmen einer Bypass-Operation.

Zusätzliche Thrombinhemmung verbessert die Prognose

Durch die Gabe von zweimal 2,5 mg Rivaroxaban konnte der primäre Endpunkt um relativ 16% (9,1 vs. 10,7%; p=0,007 bei der Intention-to-treat-Analyse) gesenkt werden. Die Risikoreduktion für den kardiovaskulären Tod betrug 34% (2,7 vs. 4,1%; p=0,005) und für die Gesamtmortalität 32% (2,9 vs. 4,5%; p=0,004). Die Gesamtzahl der Stentthrombosen lag unter Rivaroxaban bei 2,3% im Vergleich zu 2,9% unter Plazebo.

Schwere nicht CABG(coronary-artery bypass grafting)-assoziierte Blutungen traten unter Rivaroxaban häufiger auf als unter Plazebo (1,8 vs. 0,6%; p<0,001), ebenso intrakranielle Blutungen (0,4 vs. 0,2%; p=0,04). Tödliche Blutungskomplikationen wurden unter Rivaroxaban bei 0,1% im Vergleich zu 0,2% unter Plazebo beobachtet. Besonders vorteilhaft erwies sich Rivaroxaban bei Patienten mit erhöhten kardialen Biomarkern [2].

Fazit

Angesichts dieser Studienergebnisse wurde Rivaroxaban in einer Dosierung von zweimal 2,5 mg zur Sekundärprophylaxe bei ACS-Patienten mit einem hohen kardiovaskulären Risiko, das heißt mit erhöhten kardialen Biomarkern und geringem Blutungsrisiko, in Europa, aber nicht in den USA zugelassen und zwar zusätzlich zur Kombination ASS plus Clopidogrel. Eine Kombination mit Prasugrel oder Ticagrelor ist nicht zu empfehlen, da solche Kombinationen bisher nicht untersucht wurden. Die Therapie sollte so schnell wie möglich nach Stabilisierung des Patienten begonnen werden, in der Regel innerhalb der ersten sieben Tage, frühestens 24 Stunden nach der Krankenhausaufnahme.

Quelle

Prof. Dr. Uwe Zeymer, Ludwigshafen, Prof. Dr. Christoph Bode, Freiburg i.Br.; Pressekonferenz „Xarelto® – die neue Perspektive beim akuten Koronarsyndrom (ACS)“, Frankfurt a. M., 5. Juni 2014, veranstaltet von Bayer HealthCare.

Literatur

1. Achenbach S, et al. Kommentar zu den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zur Diagnostik und Therapie des akuten Koronarsyndroms ohne ST-Streckenhebung. Kardiologie 2012;6:283–301.

2. Mega JL, et al. Rivaroxaban in patients with a recent acute coronary syndrome. N Engl J Med 2012;366:9–19.

Arzneimitteltherapie 2014; 32(11)