Die Onkologie auf der Suche nach dem „Perfektonib“


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Der onkologischen Forschung ist es in den letzten zehn Jahren gelungen, bei zahlreichen Tumoren die entscheidenden Signalkaskaden der Kanzerogenese zu entschlüsseln und dies auch therapeutisch nutzbar zu machen. Von solchen zielgerichteten und individualisierten Therapiestrategien mit Tyrosinkinase- bzw. Angiokinase-Inhibitoren und monoklonalen Antikörpern profitieren zahlreiche Tumorpatienten. So können heute beispielsweise Patienten mit einem metastasierten kolorektalen Karzinom dank innovativer Therapiestrategien noch etwa drei Jahre leben und Frauen mit einem metastasierten Mammakarzinom erreichen im Durchschnitt sogar fast fünf Jahre. Diese Erfolge basieren nicht nur, aber vorrangig auf dem Einsatz humanisierter monoklonaler Antikörper, nämlich den „mabs“, und der Small Molecules, den „nibs“. 

Wer den letzten Kongress der European Society of Medical Oncology (ESMO, September 2014 in Madrid) besuchte, wurde dort mit zahlreichen neuen „mabs“ und „nibs“ konfrontiert, die in entsprechenden Studien mit der konventionellen Chemotherapie oder aber mit bereits etablierten „Targeted Therapies“ verglichen werden, und zwar in der kurativen und adjuvanten Situation ebenso wie in der palliativen. Mit anderen Worten, die Suche nach dem „Perfektonib“ bzw. „Perfektomab“ geht weiter. Doch bei aller Freude über noch so kleine Fortschritte, bei fortgeschrittenen Malignomen hat die Medizin den Wettlauf mit dem Tod letztendlich (noch) nicht gewonnen.

Molekulare Heterogenität

Ein besonderes Problem der neuen Therapiestrategien ist sicherlich die Resistenz. Die entscheidende Ursache für ein primäres oder sekundäres Therapieversagen ist, dass das molekulare Profil eines Tumors eine Dynamik zeigt und auch nicht alle Zellen eines Primärtumors, geschweige denn die der Metastasen, ein identisches Genmuster aufweisen. Man spricht von molekularer Heterogenität, die umso ausgeprägter ist, je weiter die Tumorerkrankung fortgeschritten ist.

Wenn ein Signalweg durch eine bestimmte Substanz blockiert ist, können Tumorzellen andere Mechanismen aktivieren und das Arzneimittel verliert seine Wirksamkeit. Um Resistenzen zu vermeiden, benötigt man zum einen neue prädiktive Biomarker im Blut und im Tumorgewebe, die zuverlässig das Ansprechen auf ein bestimmtes Arzneimittel voraussagen. Zum anderen scheint es sinnvoll, bei erstmals aufgetretenen Metastasen das Genmuster der Absiedlungen erneut zu analysieren. Eine Vision ist, das molekulare Profil von Rezidiven bzw. Metastasen nichtinvasiv mittels bildgebender Diagnostik visualisieren oder in Blutproben vorhersagen zu können. Bezüglich der Therapie hofft man – durch primäre Kombinationen von Substanzen mit unterschiedlichem Angriffspunkt und somit komplementärem Wirkungsmechanismus – Resistenzen umgehen zu können und eine erste Studie (CLEOPATRA) beim Mammakarzinom zeigt, dass dieses Konzept der dualen Therapie durchaus erfolgreich sein kann. Aber es gibt auch Gründe für eine sequenzielle Vorgehensweise, gerade in der palliativen Situation, also nicht „alles Pulver direkt zu verschießen“, sondern noch eine Option in Reserve zu haben.

„Similar“ heißt nicht „identisch“

Ein aktuelles, auch beim Kongress am Beispiel Trastuzumab intensiv diskutiertes Thema ist die Wirksamkeit und Sicherheit von Biosimilars in der Onkologie. Biosimilars sind keine Generika und „similar“ heißt auch nicht „identisch“. Während Generika mittels chemischer Prozesse hergestellt werden, erfordern Biosimilars eine Produktion in lebenden Organismen. Dieser komplexe Herstellungsprozess ist störanfällig für produktionstechnische Veränderungen und dies bedingt wiederum eine intrinsische Heterogenität des Produkts. Während für Generika der Ersetzbarkeitsstatus gilt, wird für Biosimilars nur der Vergleichbarkeitsstatus gefordert. Vorausetzung für die Zulassung eines Biosimilar ist deshalb ein eigenes umfangreiches Studienprogramm, wobei aber das Studiendossier verkürzt ist. Doch gerade bei Tumorpatienten, für die es nur ein zeitlich schmales therapeutisches Fenster gibt, stellt sich die Frage: Auf wie viel an therapeutische Sicherheit ist man bereit zu verzichten, um eine bestimmte Menge an Geld zu sparen? Hier stehen individualethischen Überlegungen sozialethische gegenüber.

Immuno-Onkotherapie: Ein neues Therapiekonzept

Zwischen Immunsystem und Tumorzellen besteht ein komplexes Zusammenspiel. So gehört die Bekämpfung von entarteten Zellen zur Kernkompetenz der körpereigenen Abwehr. Doch Krebszellen können sich einem solchen Angriff entziehen. Ein Paradebeispiel für die Bedeutung der Immunpathogenese ist das maligne Melanom. Aber auch bei der Manifestation urogenitaler Tumoren, des Bronchialkarzinoms und kolorektaler Karzinome dürften immunogene Faktoren eine Rolle spielen. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich neue, vielversprechende Therapieansätze ableiten, die sich die Fähigkeiten des Immunsystems zu Nutze machen. Sie unterscheiden sich grundlegend von den herkömmlichen Methoden der Tumorbekämpfung.

Der Angriff des Immunsystems auf den Tumor beginnt damit, dass Antigen-präsentierende Zellen Tumor-assoziierte Antigene einsammeln und diese dann den T-Effektorzellen präsentieren und so eine antitumoröse protektive Antwort induzieren. Die T-Zellstimulation erfolgt über eine Reihe von Rezeptoren, auch Checkpoints des Immunsystems genannt, die eine aktivierende oder aber eine inhibitorische Wirkung entfalten können. Die inhibitorischen Rezeptoren schützen den Körper physiologischerweise vor überschießenden Immunreaktionen. Tumorzellen sind in der Lage, über solche Rezeptoren die T-Zellen zu blockieren, sodass diese ihre antitumoröse Kompetenz verlieren. Mit immuntherapeutisch wirksamen Substanzen, die inhibitorische Rezeptoren blockieren, kann die antitumoröse T-Zell-Antwort gezielt „entfesselt“ werden. 

Dass dieses Therapiekonzept wirksam ist, konnte beim malignen Melanom gezeigt werden. Patienten, die in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung mit dem humanisierten Antikörper Ipilimumab, der den inhibitorischen CTLA-4-Rezeptor der T-Zelle blockiert, behandelt wurden, zeigten eine deutliche Verbesserung der Prognose, das heißt, nach drei Jahren lebten noch über 20 % der betroffenen Patienten. In der klinischen Entwicklung ist jetzt eine Reihe anderer immuntherapeutisch wirksamer Substanzen, die an anderen Checkpoints der Immunkontrolle angreifen. Dazu gehören Substanzen wie Nivolumab, die den inhibitorischen PD-L-Rezeptor an der T-Zelle ausschalten, und solche, die den entsprechenden Liganden auf der Tumorzelle, mit dem diese an den PD-L-Rezeptor der T-Zelle andockt, blockieren. Erste Ergebnisse sprechen dafür, dass die Immuno-Onkotherapie, die auf die eigene immunologische Kompetenz des Patienten gerichtet ist, eine sinnvolle Ergänzung zielgerichteter Therapien darstellen könnte.

Arzneimitteltherapie 2014; 32(12)