Neupositionierung von Strontiumranelat in der Osteoporosetherapie


Professor Dr. Johann D. Ringe, Leverkusen

Strontiumranelat wurde im Jahr 2004 in der Europäischen Union zur Behandlung der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen zugelassen und 2012 wurde die Indikation auf Männer mit erhöhtem Frakturrisiko erweitert [14]. Im Rahmen eines routinemäßigen Periodic Safety Update Reports (PSUR) im September 2012 ergaben sich Hinweise auf kardiovaskuläre Nebenwirkungen einschließlich Myokardinfarkt. Gepoolte Daten aus randomisiert kontrollierten Studien an Frauen mit postmenopausaler Osteoporose zeigten eine signifikant höhere Myokardinfarkt-Inzidenz für Patienten unter Strontiumranelat im Vergleich zur Plazebo-Gruppe (1,7 % zu 1,1 %). In Studien an Männern mit Osteoporose und in einer Studie zur Therapie der Kniearthrose fand sich für Strontiumranelat-Patienten ein analoges Signal [2]. Die europäische Zulassungsbehörde (EMA) ordnete daraufhin zunächst Änderungen in der „Summary of Product Characteristics“ (SPC) an. Von einem zwischenzeitlichen Ruhen der Zulassung wurde in den zuständigen Gremien jedoch Abstand genommen. Im weiteren Verlauf wurde das Nutzen-Risiko-Verhältnis für Strontiumranelat auf der Basis der neuen Erkenntnisse reevaluiert und in die Fachinformation wurden kardiovaskuläre Nebenwirkungen sowie neue Gegenanzeigen neben dem bekannten leicht erhöhten thromboembolischen Risiko aufgenommen. 

In der aktuell gültigen SPC lautet gemäß der Auflage der EMA die Indikation für Strontiumranelat „Behandlung der schweren Osteoporose bei postmenopausalen Frauen und erwachsenen Männern mit hohem Frakturrisiko, für die eine Behandlung mit anderen für die Osteoporosetherapie zugelassenen Arzneimitteln nicht möglich ist, beispielsweise aufgrund von Kontraindikationen oder Unverträglichkeit“. Von Osteologie-Experten weltweit wurde die Entscheidung, Strontiumranelat als eine Option zur Therapie der Osteoporose bei Frauen und Männern zu erhalten, eindeutig begrüßt. Die verschiedenen anderen verfügbaren Osteoporose-Therapeutika haben ebenfalls Einschränkungen durch Kontraindikationen und potenzielle Nebenwirkungen. Nachfolgend soll zusammengefasst werden, aufgrund welcher Charakteristika und bei welchen Indikationen Strontiumranelat unter Berücksichtigung des Nutzen-Risiko-Profils eine Alternative bei der Bekämpfung der Volkskrankheit Osteoporose darstellt. 

Spezieller Wirkungsmechanismus von Strontiumranelat

Während die antiresorptiven und anabolen Substanzen entweder über eine Förderung oder eine Inhibition des Knochenumbaus (Remodelling) wirken, übt Strontiumranelat diesbezüglich auf das gesamte Remodelling einen Effekt aus, allerdings mit einem im Verhältnis geringeren Ausmaß. Es führt bei längerer Anwendung zu einer signifikanten Verbesserung der Materialeigenschaften des Knochens. Damit bestehen die möglichen Folgerisiken der „Over-Suppression“ wie bei langzeitiger Anwendung von Bisphosphonaten und Denosumab nicht. Die Strukturverbesserung unter der Strontiumranelat-Therapie wurde von einer deutschen Arbeitsgruppe durch eine knochenhistologische Untersuchung an wiederholten Beckenkammbiopsien unter Bisphosphonaten und nachfolgender Strontiumranelat Behandlung bestätigt [1]. Dieser wesentliche strukturelle Effekt wurde parallel auch mit hochauflösender peripherer QCT-Technik (quantitative Computertomographie) in einer kontrollierten Studie versus Alendronsäure nachgewiesen [16].

Therapeutische Charakteristika

Zwei umfangreiche, randomisierte, Plazebo-kontrollierte Zulassungsstudien für Strontiumranelat (SOTI und TROPOS) wurden 2004 bzw. 2005 publiziert und zeigten signifikante Effekte der Substanz auf axial und peripher gemessene Knochendichte sowie gegenüber Plazebo signifikante Reduktion der Inzidenz vertebraler und nichtvertebraler Frakturen [5, 9]. Der Verlauf verschiedener Umbaumarker während der dreijährigen Studien bestätigte den speziellen Wirkungsmechanismus. Eine Subgruppenanalyse zeigte, dass die Frakturrisikominderung unabhängig vom initialen Risikoprofil der Patienten erzielt wurde [18]. Andererseits ergab eine weitere Analyse den therapeutisch sehr interessanten Zusatzaspekt, dass der Grad der Gebrechlichkeit (Frailty) der Patienten offenbar eine Rolle spielt. Bei drei Gruppen mit relativ robuster Konstitution sowie leichter und ausgeprägter Frailty fand sich mit zunehmendem Grad der Gebrechlichkeit der Behandelten eine signifikante Zunahme der Frakturrisiko-senkenden Wirksamkeit des Arzneimittels [17].

Ein weiteres wichtiges Charakteristikum einer Substanz für die Behandlung einer chronischen Erkrankung, wie es die Osteoporose zweifelsfrei ist, ist ihre Langzeitwirksamkeit. Für Strontiumranelat wurden Fünf- und Zehnjahres-Daten veröffentlicht, die eine fortbestehende Risikominderung sowohl für vertebrale als auch nichtvertebrale Frakturen unter Einschluss der proximalen Femurfrakturen bestätigten [8, 10]. Um die therapeutische Wirksamkeit verschiedener Substanzen darzustellen, wird auch bei der Osteoporose oft als ein weiterer Parameter herangezogen, wie viele Patienten behandelt werden müssen, um ein Frakturereignis zu vermeiden (Number needed to treat = NNT) [11]. In einer eigenen Arbeit über zugelassene Osteoporose-Arzneimittel fanden wir zur Vermeidung einer vertebralen Fraktur einen NNT-Bereich von 9 bis 21, für nichtvertebrale Frakturen von 48 bis 91, wobei dem Strontiumranelat jeweils die niedrigste NNT zuzuordnen war [12].

Mehrwert in der Therapie

Ein zusätzlicher Schmerz-senkender Effekt, insbesondere auf die chronischen Rückenschmerzen, ist bei Osteoporose sehr willkommen und steigert Akzeptanz und Compliance. Dies wurde teilweise schon für die Bisphosphonat-Therapie beschrieben, war aber auch das signifikante Ergebnis einer eigenen Studie mit Männern und das der Zulassungsstudien zugunsten von Strontiumranelat [13]. Diese Beobachtungen wurden auch in Post-Marketing-Surveillance Studien in Deutschland bestätigt bzw. wurden auch als Verbesserung der Quality of Life erfasst [3, 15].

Einen sehr bedeutsamen Zusatznutzen ergab eine kürzlich publizierte, internationale randomisiert-kontrollierte Studie mit Strontiumranelat versus Plazebo mit 1683 Patienten mit Kniearthrose. Es wurden signifikante Effekte auf Gelenkstruktur und -beschwerden verifiziert [7].

Indikationen

Strontiumranelat kann eingesetzt werden zur Behandlung der schweren Osteoporose bei postmenopausalen Frauen und erwachsenen Männern mit hohem Frakturrisiko, für die eine Behandlung mit anderen für die Osteoporosetherapie zugelassenen Arzneimitteln nicht möglich ist. Der Begriff schwere Osteoporose ist nicht einheitlich definiert. Die Situation, dass verfügbare Arzneimittel zur individuellen Therapie nicht infrage kommen, ist nach unserer täglichen Praxiserfahrung relativ häufig. Die in der Anwendungshäufigkeit führenden oralen oder intravenösen Bisphosponate kommen z. B. wegen signifikanter Nebenwirkungen nicht infrage, oder noch häufiger sind sie bereits fünf oder mehr Jahre verordnet worden mit der Folge eines Low Bone Turnover und steigendem Risiko für u. a. Kiefernekrosen und atypische Femurfrakturen. Studien zeigten nach einer Umstellung auf Strontiumranelat gute Therapieergebnisse [4, 6]. Da es eine sehr große und ständig weiter steigende Zahl von Patienten unter einer Langzeit-Bisphosphonattherapie gibt, ist dies wohl zurzeit die wichtigste Indikation für Strontiumranelat, sofern die Patienten keine eindeutigen kardiovaskulären Risiken und Gegenanzeigen aufweisen.

Literatur

1. Busse B, et al. Acta Biomaterialia 2010;6:4513–21.

2. Compston J. Maturitas 2014;78:75–6.

3. Felsenberg D, et al. Osteologie 2012: 21;15–21.

4. Jobke B, et al. PLoS ONE. 2011;6:e23638.

5. Meunier PJ, et al. N Engl J Med 2004;350:459–68.

6. Middleton ET, et al. Osteoporos Int 2012;23:295–303.

7. Reginster JY, et al. Ann Rheum Dis 2013;72:179–86.

8. Reginster JY, et al. Arthritis Rheum 2008;58:1687–95.

9. Reginster JY, et al. J Clin Endocrinol Metab 2005;90:2816–22.

10. Reginster JY, et al. Osteoporos Int 2012;23:1115–22.

11. Reginster JY. Drugs 2011;71:65–78.

12. Ringe JD, Doherty JG. Rheumatol Int 2010;30:863–9.

13. Ringe JD, et al. Drug Research 2010;60:267–72.

14. Ringe JD. Arzneimitteltherapie 2013;31:11–5. 

15. Ringe JD. Osteologie 2010;2:157–64.

16. Rizzoli R, et al. Osteoporos Int 2012;23:305–15.

17. Rolland Y, et al. Bone 2011;48:332–8.

18. Roux C, et al. J Bone Miner Res 2006;21:536–42.

Arzneimitteltherapie 2014; 32(12)