Prof. Dr. Egid Strehl, Freiburg
Eine antiretrovirale Therapie (ART) verfolgt bei HIV-negativen Personen mit Risikokontakt als Prä- bzw. Postexpositionsprophylaxe das Ziel, eine Infektion zu verhüten, bei HIV-positiven Patienten dagegen als Dauertherapie durch eine kontinuierliche Virussuppression (möglichst unter 50 Kopien/ml Blut) die von diesen ausgehende Infektiosität zu unterdrücken.
Schweiz als Vorreiter?
Bereits im Januar 2008 postulierte die Eidgenössische Kommission für AIDS-Fragen (EKAF) im sogenannten „Swiss Statement“ in der Schweizerischen Ärztezeitung: „HIV-infizierte Menschen ohne andere Sexualerkrankungen sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös!“ Das Statement löste international heftige Diskussionen aus. Die HPTN-052-Studie, die im Jahr 2011 in Rom vorgestellt wurde, bestätigte schließlich, dass eine früh angesetzte ART vor HIV-Ansteckung schützt. Mit hoher Signifikanz (p<0,001) konnte bei 1763 HIV-diskordanten Paaren gezeigt werden, dass im Studienarm mit sofortiger Behandlung nur eine einzige Partneransteckung zu verzeichnen war, während es im Arm mit der verzögerten Therapie immerhin zu 27 Transmissionen kam. Dies entspricht einer 96%igen Risikoreduktion [1].
Von der Mutter zum Kind
Connor und Mitarbeiter [2] hatten bereits 1994 die sogenannte Milestone-Studie PACTG 076 („ALL in one“) publiziert, in der Schwangere, Gebärende und Neugeborene mit unterschiedlichen Dosierungen von Zidovudin (AZT) behandelt wurden. Dies führte zu einer 67%igen Risikoreduktion für eine vertikale HIV-Übertragung auf das Baby. Konkret kam es unter der AZT-Medikation bei 8,3% der Mutter-Kind-Paare zur Ansteckung, im Placebo-Arm jedoch bei 25,5%. Dabei führte die präventive Therapie zu einer Unterdrückung der mütterlichen Viruslast. AZT hatte dabei den gleichzeitigen Vorzug der Plazentagängigkeit. Die AZT-Behandlung des exponierten Neugeborenen nach der Geburt folgte der Intention einer postexpositionellen Prophylaxe.
HIV-diskordante Paare
Aktuelle Erkenntnisse zur präventiven Therapie entstammen auch der PARTNER-Studie: HIV-diskordante Paare (nur einer der Partner ist HIV-infiziert) können Sex ohne Kondome praktizieren, sofern der infizierte Partner unter einer erfolgreichen ART mit der Folge einer niedrigen Viruslast (in der PARTNER-Studie <200 Viruskopien/ml Blut) steht. Zwischenresultate daraus waren im März 2014 auf der CROI (Conference on retroviruses and opportunistic infections) vorgestellt worden: Eingeschlossen waren zum Zeitpunkt der Interimsanalyse 285 MSM-Paare (Männer, die Sex mit Männern haben) und 445 heterosexuelle Paare. Die mittlere Beobachtungszeit betrug 1,5 Jahre (für MSM etwa 1,1 Jahre). Bei den MSM-Paaren hatten 34% der Teilnehmer auch Geschlechtsverkehr mit anderen Partnern und 16% neben HIV auch andere sexuell übertragbare Krankheiten (STI). Die HIV-Transmissionsrate in den diskordanten Partnerschaften liegt bis jetzt bei 0%. Ob die Studie aber den wissenschaftlichen Beweis erbringen kann, dass eine ART eine sexuelle HIV-Übertragung mit Sicherheit ausschließt, wird selbst von den Studienleitern bezweifelt.
Versorgungssituation
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang jedenfalls auch die US-amerikanische „HIV-Treatment-Cascade“: Von allen HIV-Infizierten sind etwa 82% diagnostiziert, jedoch lediglich 66% einer Behandlung zugeführt, 37% haben eine ausreichende Therapietreue, nur einem Drittel der Patienten wird eine ART verordnet. 25% zeigen tatsächlich auch die zu erwartende vollständige Virussuppression.
Die Situation in Deutschland stellt sich demgegenüber wie folgt dar: Während zwischen 1984 bis 1986 knapp 6000 neue HIV-Infektionen pro Jahr gezählt wurden, liegt diese Zahl inzwischen bei nur noch gut der Hälfte. Allerdings blieb der Prozentsatz der Nichtdiagnostizierten in den letzten Jahren wahrscheinlich gleich. Für entscheidende zukünftige Erfolge gegen HIV/AIDS wird es auf eine frühe Diagnosestellung und eine rechtzeitige Therapie ebenso ankommen wie auf den Abbau von Barrieren zur HIV-Testung (Migranten, ältere Menschen) und auf eine befriedigende Versorgung von STI-Patienten auch außerhalb von HIV-Schwerpunktzentren.
Quelle
Dr. A. Haberl, Frankfurt, Vortrag „HIV-Therapie als Prävention“ gehalten auf dem Symposium der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG) anlässlich des 12. KIT (Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin), Köln, 25. bis 28. Juni 2014.
Literatur
1. Cohen MS, et al. Prevention of HIV-1 infection with early antiretroviral therapy. N Engl J Med 2011;365:493–505.
2. Connor EM, et al. Reduction of maternal-infant transmission of human immunodeficiency virus type 1 with zidovudine treatment. Pediatric AIDS Clinical Trials Group Protocol 076 Study Group. N Engl J Med 1994;331:1173–80.
Arzneimitteltherapie 2015; 33(01)