Multiple Sklerose

Peginterferon beta-1a alle zwei Wochen subkutan


Dr. Bettina Hellwig, Konstanz

Peginterferon beta-1a ist das erste pegylierte Interferon zur Basistherapie der multiplen Sklerose (MS). Die Pegylierung verlängert die Halbwertszeit des Interferons im Körper und ermöglicht eine niedrigere Applikationsfrequenz. Peginterferon beta-1a wird nur alle zwei Wochen subkutan mit einem Fertigpen in einer Dosis von 125 µg injiziert.

Der neue Wirkstoff wurde im Juli 2014 in der EU zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit einer schubförmig remittierenden Erkrankungsform (RRMS) zugelassen und im September in Deutschland eingeführt.

Alle bisher eingesetzten Beta-Interferone sind vergleichbar wirksam und verträglich. Sie sind auch in der Langzeitanwendung sicher und verlieren ihre Wirksamkeit in der Regel nicht. Nach dem aktuellen Stufenschema der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zur Diagnose und Therapie der MS stehen sie mit Glatirameracetat und den beiden Peroralia Dimethylfumarat und Teriflunomid auf einer Stufe zu Behandlungsbeginn. Hier hat auch das neue pegylierte Beta-Interferon (Plegridy®) seinen Platz.

Pegylierung verlängert die Halbwertszeit

Die bisher eingesetzten Beta-Interferone unterscheiden sich vor allem in Art und Frequenz der Injektion. Die Injektionsweise reicht von alle zwei Tage subkutan bis zu einmal wöchentlich intramuskulär.

Das neue Peginterferon beta-1a wird nach einer initialen Dosistitration über vier Wochen alle zwei Wochen in einer Dosierung von 125 μg mit einem automatischen Fertigpen subkutan appliziert. Dabei sollten die Patienten die Spritzstelle in Bauch, Arm und Oberschenkel regelmäßig wechseln.

Die Verringerung der Applikationsfrequenz wird durch die Pegylierung des Interferon-Moleküls möglich. Dabei ist der Wirkstoff kovalent an das Polymer Polyethylenglykol (PEG) gebunden.

Die pharmakologische Wirkung von Peginterferon beta-1a entspricht der von Interferon beta-1a. Weil die Pegylierung den Abbau und die renale Ausscheidung im Körper erschwert, ist die Halbwertszeit des pegylierten Moleküls im Serum deutlich länger als bei subkutan appliziertem Interferon beta-1a. Bei MS-Patienten lag sie im Steady-State bei 78±15 Stunden.

Phase-III-Studie ADVANCE

Getestet wurde Peginterferon beta-1a in der Phase-III-Zulassungsstudie ADVANCE, einer weltweiten, multizentrischen, randomisierten und doppelblinden Studie mit parallelen Studienarmen. Die Studie wurde 48 Wochen lang Placebo-kontrolliert durchgeführt. Eingeschlossen waren mehr als 1500 erwachsene Patienten mit einer schubförmig-remittierenden Erkrankung gemäß den McDonald-Kriterien von 2005.

Die Studienteilnehmer hatten mindestens zwei dokumentierte Schübe in den vergangenen drei Jahren, davon mindestens einen Schub innerhalb eines Jahres vor Studienbeginn. Die Patienten hatten bisher keine Therapie erhalten. Erlaubt war lediglich eine vorherige Behandlung mit einem Interferon für maximal vier Wochen, nicht jedoch innerhalb des letzten halben Jahres vor Studienbeginn.

Die Studienteilnehmer entsprachen dem typischen MS-Patienten zu Beginn der Erkrankung. 70% waren weiblich, das Durchschnittsalter lag bei 36,6 Jahren, die mediane Erkrankungsdauer bei 3,6 Jahren. Zu Studienbeginn wiesen sie einen mittleren Behinderungsgrad gemäß der Expanded Disability Status Scale (EDSS) von 2,5 auf; bei 38% waren im Kernspintomogramm rund 1,5 Gadolinium-aufnehmende (Gd+) Läsionen nachweisbar.

Die Studie diente dem Wirksamkeitsvergleich gegenüber Placebo, andere Beta-Interferone wurden nicht untersucht. Im Studienarm 1 erhielten 500 Patienten über ein Jahr ein Placebo, anschließend wurden sie erneut auf die Studienarme 2 und 3 randomisiert. Im Arm 2 erhielten 512 Patienten über zwei Jahre alle zwei Wochen Peginterferon beta-1a. Im dritten Arm erhielten 500 Patienten über zwei Jahre alle vier Wochen Peginterferon beta-1a. Die Wirksamkeit des pegylierten Interferons im Vergleich zu Placebo wurde so nur über den Zeitraum von 48 Wochen ermittelt. Die Therapieadhärenz lag in allen Behandlungsgruppen über 99%.

Geringere Schubrate, weniger Läsionen im Kernspintomogramm

Im Vergleich zu Placebo war das pegylierte Interferon genauso gut wirksam wie die bisher eingesetzten Beta-Interferone. Dabei war die Injektion alle zwei Wochen effektiver als alle vier Wochen. Nach einem Jahr verringerte sich bei einer zweiwöchigen Applikationsfrequenz die Schubrate signifikant um 36% (p=0,0007; primärer Endpunkt). Über 80% der Patienten blieben im ersten Behandlungsjahr unter Peginterferon beta-1a (alle zwei Wochen) schubfrei. Zugleich war das Risiko einer nach 24 Wochen bestätigten Behinderungsprogression, das anhand eines EDSS-Anstiegs bestimmt wurde, unter der Therapie mit Peginterferon beta-1a im Vergleich zu Placebo signifikant um 54% reduziert (p=0,0069).

Peginterferon beta-1a senkte zudem die kernspintomographisch nachweisbare Krankheitsaktivität signifikant. Im Vergleich zu Placebo reduzierte es die durchschnittliche Anzahl der Gadolinium-anreichernden Läsionen um 86% (p<0,0001), die Anzahl neuer T1-Läsionen um 53% (p<0,0001) und neuer oder sich neu vergrößernder T2-Läsionen um 67% (p<0,0001) bei einer Injektion alle zwei Wochen.

Insgesamt blieben 34% der Patienten unter der Behandlung mit Peginterferon beta-1a im ersten Therapiejahr frei von messbarer Krankheitsaktivität, hatten also weder Schübe oder Behinderungsprogression noch neue kernspintomographische Läsionen (Gd+-Läsionen, neue bzw. sich neu vergrößernde hyperintense T2-Läsionen). In der Placebo-Gruppe waren dies mit 15% (p<0,0001) weniger als halb so viele. Auch nach der Auswertung der 2-Jahres-Daten hatte Peginterferon beta-1a eine anhaltende Wirksamkeit sowohl auf die klinischen als auch auf die kernspintomographisch messbaren Endpunkte.

Nach Abschluss der zweijährigen ADVANCE-Studie erhielten die Patienten die Möglichkeit, an der offenen zweijährigen Erweiterungsstudie ATTAIN (Long-term safety and efficacy study of pegylated interferon beta-1a) teilzunehmen, sodass eine Gesamtbeobachtungsdauer von bis zu vier Jahren möglich ist.

Grippeartige Nebenwirkungen

Die unerwünschten Wirkungen von Peginterferon beta-1a entsprachen denen der anderen Beta-Interferone. In der ADVANCE-Studie waren das häufigste unerwünschte Ereignis Rötungen an der Injektionsstelle (62% der Patienten).

Die für Beta-Interferone typischen grippeähnlichen Symptome (Fieber, Kopf-, Gelenk- und Muskelschmerzen, Schüttelfrost, Asthenie) traten bei knapp der Hälfte (47%) der Patienten auf. Um diese Symptome abzumildern ist eine Auftitration sinnvoll: Als Anfangsdosis werden 63 µg, beim zweiten Mal 94 μg und ab der dritten Gabe die Erhaltungsdosis von 125 μg empfohlen.

Kontraindiziert ist das neue Interferon bei Menschen mit einer schweren Depression oder Suizidgedanken sowie während der Schwangerschaft. Frauen im gebärfähigen Alter müssen zuverlässig verhüten.

Quelle

Boudewijn van Bochove und Dr. med. Matthias Meergans, Biogen Idec GmbH, Prof. Dr. med. Bernd C. Kieseier, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Prof. Dr. med. Ralf Linker, Universitätsklinikum Erlangen, Priv.-Doz. Dr. med. Til Menge, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf; Wissenschaftliches Launch-Symposium PLEGRIDY®, München, 16. September 2014, veranstaltet von Biogen Idec GmbH.

Literatur

Calabresi PA, et al. Pegylated interferon β-1a for relapsing-remitting multiple sclerosis (ADVANCE): a randomised, phase 3, double-blind study. Lancet Neurol 2014;13:657–65.

Fachinformation zu Plegridy®, Stand Juli 2014.

Arzneimitteltherapie 2015; 33(04)