Barbara Kreutzkamp, Hamburg
Die Langzeittherapie mit Opioid-haltigen Analgetika ist eine wichtige medikamentöse Therapieoption bei chronischen nicht tumorbedingten Schmerzen (CNTS) insbesondere des muskuloskelettalen Systems sowie bei neuropathischen Schmerzen. Dies sind die Haupteinsatzgebiete für eine Langzeitbehandlung mit Opioid-haltigen Analgetika – einer Behandlungsoption, die in den letzten Jahren deutlich mehr als bisher genutzt wurde. Allerdings existieren auch Hinweise für eine Zunahme von Fehlversorgungen zum Beispiel bei Patienten mit Schmerzen auf der Grundlage von funktionellen oder somatoformen Störungen, insbesondere beim Fibromyalgiesyndrom.
Diese Fehlentwicklung zusammen mit möglichen Unsicherheiten der nicht ganz unumstrittenen Opioid-Langzeittherapie sowie einige neue wichtige Studien zu diesem Thema waren Gründe für die Aktualisierung der vorliegenden S3-Leitlinie. Bezüglich des grundsätzlichen Stellenwerts von Opioid-Analgetika in der Behandlung chronischer Schmerzen bei den einzelnen Krankheitsbildern verweisen die Leitlinienautoren auf die entsprechenden deutschen S3-Leitlinien.
Begriffsbestimmungen und Methodik
Berücksichtigt wurden in der neuen Leitlinie selektive Opioidrezeptoragonisten, gegebenenfalls in Kombination mit Substanzen zur Reduktion von missbräuchlicher Anwendung und von Obstipation, sowie Substanzen mit gemischten opioidergen und nicht-opioidergen Wirkungsmechanismen (Buprenorphin, Tramadol und Tapentadol). Nicht berücksichtigt wurden weitere Substanzen mit gemischtem Rezeptorprofil wie Ketamin, die in der Opioid-Langzeittherapie in Deutschland keine Verwendung finden, der mittlerweile vom Markt genommene selektive Opioidrezeptoragonist Propoxyphen sowie Mischpräparate aus Opioiden und Nicht-Opioiden (z.B. Codein plus Paracetamol).
Als Langzeittherapie definierte man eine Behandlungsdauer von mehr als drei Monaten (inkl. Titrationsphase, ohne Ausschleichphase).
Für die Evidenzbewertung herangezogen wurden randomisierte, kontrollierte klinische Studien mit eventuell offenen Extensionsphasen sowie Kohortenstudien, daneben eine systematische Übersichtsarbeit zu Leitlinien für die Therapie mit Opioid-haltigen Analgetika bei CNTS sowie systematische Reviews und Metaanalysen. 75 Studien konnten ausgewertet werden (Abb. 1).

Abb. 1. Ergebnisse der systematischen Literaturrecherche [Häuser W, Bock F, Engeser P, et al. Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen. Dtsch Arztebl Int 2014;111:732–40.]; Weitere Details zur Methodik enthält der Methodenteil der Leitlinie [2]
Konsensusverfahren und Empfehlungsstärken
Die Schlüsselfragen und die entsprechenden Empfehlungen der Leitlinie erstellte eine Steuergruppe in insgesamt 14 Delphi-Runden. Über die daraus erarbeiteten Empfehlungsvorschläge stimmten die Vertreter der Konsensusgruppe (Experten aus 22 Fachgesellschaften sowie Patientenvertreter) online ab. Es folgten eine abschließende Konsensuskonferenz mit allen Vertretern der Konsensusgruppe sowie eine anschließende öffentliche Diskussion der Ergebnisse bis zum 31. August 2014.
Eine AWMF-Leitlinie berücksichtigt als Kriterien für eine Empfehlung drei Punkte: Das Evidenzlevel gibt Auskunft über die Anzahl beziehungsweise die Qualität von kontrollierten klinischen Studien zu einer bestimmten Fragestellung im Rahmen der Behandlung. Ein Evidenzlevel von 1 oder 2 deutet auf eine durch Studien adäquater Methodik gesicherte Maßnahme hin. Für Indikationen, die nicht sehr häufig sind oder bei denen die Behandlung langjährig allgemein akzeptiert und praktiziert wird, sind nicht immer kontrollierte Studien vorhanden. Hier beurteilen die Experten aufgrund ihrer Erfahrungen die Interventionsmethode – das Evidenzlevel ist allerdings niedrig.
Abgleitet von den Evidenzgraden formulieren die AWMF-Leitlinien dann „Empfehlungsstärken“ für eine Maßnahme („Starke Empfehlung“, „Empfehlung“, „offene Empfehlung“, „negative Empfehlung“, „stark negative Empfehlung“). Je höher das Evidenzlevel, desto stärker ist in der Regel die Empfehlung. Die Experten berücksichtigen bei ihren Empfehlungen aber nicht nur die klinische Studienlage, sondern auch die Übertragbarkeit in die Praxis: Sind die Ergebnisse klinisch relevant und bei der Patientengruppe überhaupt ein- und durchsetzbar, sind die Methoden ethisch vertretbar? So kann es vorkommen, dass trotz hohem Evidenzlevel eine Methode eine geringere Empfehlungsstärke erhält als es das Evidenzlevel erwarten lässt. Das ist in dieser Leitlinie häufig geschehen. Die Gründe, die zu dieser Änderung führten, sind in der Langfassung der Leitlinie ausführlich dargestellt. Als weitere Empfehlungskategorie gibt es noch den klinischen Konsenspunkt (KKP). Er wird bei guter klinischer Praxis, aufgrund der klinischen Erfahrungen der Experten oder für ein etabliertes Standardverfahren vergeben, bei dem keine weitere Erforschung möglich oder angestrebt ist.
Die Stärke des Konsensus („starker Konsens“, „Konsens“, „mehrheitliche Zustimmung“, „kein Konsens“) wird auf der abschließenden Leitlinienkonferenz festgelegt.
Indikationen für eine Opioid-Langzeittherapie
Eine Übersicht über die verschiedenen konsentierten Indikationen gibt Infokasten 1. Die meisten der dort aufgeführten Indikationen mit chronischen Schmerzen erhielten die Konsensusstärke „starker Konsens“. Unterschiedlich waren dagegen die Evidenzlevel. Nicht für alle konsentierten Indikationen sind Studien vorhanden.
Infokasten 1 Konsensusgesicherte Indikationsempfehlungen
Mögliche Indikationen für eine vier- bis zwölfwöchige Schmerztherapie mit Opioid-haltigen Analgetika sind die folgenden chronischen Schmerzsyndrome:
- Chronische Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie*, Postzosterneuralgie* und Polyneuropathien anderer Ursache (z.B. alkoholtoxisch oder medikamentös bedingt)**
- Chronischer Phantomschmerz*
- Chronische Schmerzen nach Rückenmarksverletzung* und Radikulopathie* und bei Gehirnläsionen (z.B. multiple Sklerose, Zustand nach Thalamusinfarkt)**
- Chronische sekundäre Kopfschmerzen (z.B. nach Subarachnoidalblutung)**
- Chronische Schmerzen bei Arthrose* sowie chronische Rückenschmerzen*
- Chronische Schmerzen bei Osteoporose (Wirbelbruch)**
- Chronische Schmerzen beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom Typ I und II**
- Chronische Schmerzen bei rheumatoider Arthritis* und anderen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen wie z.B. systemischer Lupus erythematodes, seronegative Spondylarthritiden**
- Chronische postoperative Schmerzen**
- Chronische Schmerzen bei ischämischen und entzündlich arteriellen Verschlusskrankheiten**
- Chronische Schmerzen bei Dekubitus vom Grad 3 und 4**
- Chronische Schmerzen bei fixierten Kontrakturen bei pflegebedürftigen Patienten**
*Evidenzbasiert; **individueller Therapieversuch, keine Evidenz aus klinischen Studien
Studienbelegte Indikationen
1a-Evidenzen (Tab. 1) liegen für die Indikationen diabetische Polyneuropathie, Postzosterneuralgie, chronische Schmerzen bei Arthrose und chronischer Rückenschmerz vor. Allerdings erhielt nur die Indikation Chronische Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie von den Experten eine starke Empfehlung, es liegen in dieser Indikation Studien mit Oxycodon, Tapentadol und Tramadol vor.
Tab. 1. Klassifizierung der Evidenzgrade [2, 4]
Klasse |
Therapie |
1a |
Systematische Übersicht von randomisierten kontrollierten klinischen Studien |
1b |
Einzelne randomisierte kontrollierte klinische Studie |
1c |
Alles-oder-Nichts* |
2a |
Systematische Übersicht von Kohortenstudien |
2b |
Einzelne Kohortenstudie oder randomisierte kontrollierte klinische Studie mäßiger Qualität |
2c |
„Outcomes“-Research-Studien, Ökologische Studien** |
3a |
Systematische Übersicht von Fall-Kontrollstudien |
3b |
Einzelne Fall-Kontrollstudie |
4 |
Fallserien |
5 |
Expertenmeinung ohne explizite Bewertung der Evidenz oder, basierend auf physiologischen Modellen, Laborforschung oder Definitionen |
* trifft zu, wenn vor der Behandlung alle Patienten starben, jetzt aber einige überleben oder umgekehrt **Risikofaktoren bzw. Parameter werden populationsbezogen (geographisch/temporal) untersucht
Die drei anderen Indikationen erhielten eine „offene“ Empfehlungsstärke. Gründe dafür waren bei der Postzosterneuralgie u.a. eine zu geringe Patientenzahl in den Studien, außerdem waren kaum praxisrelevante Parameter überprüft worden und eine deutsche Leitlinie zu diesem Krankheitsbild fehlt bisher.
Der chronische Arthroseschmerz erhielt trotz exzellentem Evidenzlevel ebenfalls eine Abwertung des Empfehlungsgrades um zwei Stufen. Ein praxisrelevanter Grund war ein ungünstigeres Nutzen-Risiko-Verhältnis im Vergleich zu nichtsteroidalen Antirheumatika. Eine vergleichbare Herunterstufung auf eine offene Empfehlung erhielt der chronische Rückenschmerz. Hier ergab sich ein günstigeres Nutzen-Risiko-Verhältnis für nichtmedikamentöse Verfahren wie Physiotherapie und körperliche Bewegung. Außerdem hatten die Effektstärken einiger klinischer Studien nur eine beschränkte klinische Relevanz.
2b-Evidenzen für die Langzeittherapie mit Opioiden (Tab. 1) gibt es für weitere neuropathische Schmerzsyndrome wie Phantomschmerz, Schmerz nach Rückenmarksverletzung und schmerzhafte Radikolopathie. Auch für diese Indikationen wurde allerdings nur eine offene Empfehlung für die jeweilige Indikation ausgesprochen, da die Studien zu klein oder von zu kurzer Dauer waren oder keine überzeugende klinisch relevante Besserung bei zu hoher Nebenwirkungsrate ergeben hatten.
Das 2b-Evidenzlevel der rheumatoiden Arthritis konnte die Experten ebenfalls nicht überzeugen, da die mit Tilidin durchgeführte Studie lediglich mit 20 Patienten über sechs Wochen durchgeführt wurde, fünf Patienten brachen die Studie ab. Die deutsche S3-Leitlinie zur rheumatoiden Arthritis empfiehlt Opioid-Analgetika nur in Ausnahmefällen, wenn alle anderen Therapieverfahren ausgeschöpft sind.
Zwischenfazit
Opioid-haltige Analgetika für die Langzeittherapie über drei Monate können bei Patienten mit chronischem Rückenschmerz, chronischem Arthroseschmerz und chronischen neuropathischen Schmerzen wie diabetischen Polyneuropathien evidenzbasiert angeboten werden. Von einer Langzeitbehandlung profitieren Studien zufolge etwa 25% der Patienten.
Indikationen mit Empfehlung „individueller Therapieversuch“
Es gibt noch eine Reihe weiterer Erkrankungen, die mit schweren chronischen Schmerzen einhergehen. Allerdings existiert zu keiner dieser Erkrankungen eine Placebo-kontrollierte Studie mit einer Studiendauer von mehr als vier Wochen und ausreichend hoher Patientenzahl. Zu diesem Erkrankungen gehören sekundäre Kopfschmerzen (z.B. nach Subarachnoidalblutung), chronische Schmerzen bei manifester Osteoporose mit Wirbelkörperfrakturen, chronische Schmerzen bei anderen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen (außer rheumatoider Arthritis), z.B. systemischer Lupus erythematodes, Spondylarthrititiden, chronische postoperative Schmerzen, chronischer Extremitätenschmerz bei ischämischen und entzündlichen arteriellen Verschlusskrankheiten, chronischen Schmerzen bei Dekubitus Grad 3/4, chronische Schmerzen bei fixierten Kontrakturen bei pflegebedürftigen Patienten, zentrale neuropathische Schmerzen z.B. nach Thalamusinfarkt, multipler Sklerose sowie chronisches CRPS (komplexes regionales Schmerzsyndrom) Typ I und II.
In der Praxis hat sich eine Opioid-Langzeittherapie bei diesen Indikationen jedoch bewährt. Hinweise auf negative Effekte liegen nicht vor und die entsprechenden S3-Leitlinien zu den einzelnen Krankheitsbildern raten von einem Einsatz nicht ab. Die S3-Leitlinie empfiehlt deshalb für die genannten Indikationen einen individuellen Therapieversuch – bei praktisch allen Indikationen mit starkem Konsens, lediglich die Opioid-Behandlung bei fixierten Kontrakturen und sekundäre Kopfschmerzen erhielt die zweitbeste Konsensusstärke, nämlich „Konsens“.
Zwischenfazit
Für einige weitere Krankheitsbilder liegen zwar keine aussagekräftigen, kontrollierten Studien vor, trotzdem sprechen sich die Experten mit starkem Konsens für eine Behandlung als „individuellen Therapieversuch“ aus.
Kontraindikationen für eine Opioid-Langzeittherapie
Eine Übersicht über die praktisch alle mit starkem Konsens konsentierten Kontraindikationen für eine Opioid-Langzeittherapie ist in Infokasten 2 enthalten.
Infokasten 2 Konsensusgesicherte Kontraindikationen
Keine Indikation für eine Schmerztherapie mit Opioid-haltigen Analgetika bestehen bei folgenden Schmerzsyndromen:
- primäre Kopfschmerzen und Migräne
- funktionelle Störungen, z.B. Fibromyalgiesyndrom
- chronische Pankreatitis, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
- chronischer Schmerz als Symptom psychischer Störungen: z.B. atypische Depression, generalisierte Angststörungen, somatoforme Schmerzstörungen
- komorbide schwere affektive Störung und/oder Suizidalität
- aktueller Missbrauch oder Weitergabe der Arzneimittel an andere Personen
- geplante oder bestehende Schwangerschaft
Die Begründungen:
- Primäre Kopfschmerzen und Migräne: negatives Nutzen-Schadensverhältnis, ethische Verpflichtungen, hohes Abhängigkeitspotenzial
- Schmerzen bei funktionellen/somatoformen Schmerzen: Die krankheitsspezifischen S3-Leitlinien geben für Opioide eine negative Empfehlung. Als Alternativen bieten sich meist Antidepressiva an
- Fibromyalgiesyndrom: Eine Wirksamkeit für Opioide wurde bis auf Tramadol nicht nachgewiesen. Tramadol und eine Tramadol-Paracetamol-Kombination können deshalb zeitlich befristet über vier bis zwölf Wochen gegeben werden. Alternativen zur medikamentösen Behandlung sind z.B. körperliche Bewegung und kognitive Verhaltenstherapie
- Chronischer Schmerz als Leitsymptom psychischer Störungen: Analgetika überdecken nur die psychische Störung als Ursache der chronischen Schmerzen, die Patienten sollten im Rahmen einer vertieften Exploration fachärztlich betreut werden
- Chronische Pankreatitis und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen: Die deutschen S3-Leitlinien sprechen sich gegen den langfristigen Opioid-Einsatz in diesen Indikationen aus
Zwischenfazit
Kontraindikationen für eine Opioid-Therapie sind vor allem primäre Kopfschmerzen sowie funktionelle und psychische Störungen mit dem Leitsymptom Schmerz.
Praxis der Opioid-Therapie
Um die Qualität und Akzeptanz der konsentierten Empfehlungen zu steigern, werden in der neuen S3-Leitlinie zur Opioid-Langzeittherapie neben den Therapieempfehlungen auch praktische Hinweise zur Durchführung der Behandlung sowie Hinweise auf Arbeitsmaterialen gegeben (Infokasten 3).
Infokasten 3 Praxis der Opioid-Langzeittherapie
- Eine Opioid-Therapie sollte nie als Monotherapie, sondern immer eingebunden in ein multimodales Behandlungskonzept erfolgen; hierzu gehören Selbsthilfeangebote, physikalische und/oder physiotherapeutische Verfahren z.B. mit Physiotherapie und psychotherapeutischen Verfahren und Patientenedukation
- Zusammen mit dem Patienten sollten individuelle und realistische Therapieziele erarbeitet werden
- Bei der Arzneimittelauswahl sind neben Indikation, Kontraindikationen, Begleiterkrankungen und Patientenpräferenzen auch Kontraindikationen für transdermale Systeme oder eine orale Einnahme zu berücksichtigen; eingesetzt werden Präparate mit langer Wirkdauer oder Retard-Galenik
- Die Einnahme erfolgt nach einem festen Zeitschema
- Während der Titrationsphase oder bei Dosisänderungen sollten die Patienten nicht Auto fahren
- Die optimale Dosis ist bei Eintritt der zuvor definierten individuellen Therapieziele bei geringen bzw. tolerablen Nebenwirkungen erreicht
- Das Überschreiten einer Dosis von 120 mg/Tag orales Morphinäquivalent ist Ausnahmefällen vorbehalten
- Eine länger als drei monatige Therapie ist nur bei individuellem Ansprechen bzw. Erreichen individueller Therapieziele sinnvoll
- Nach sechs Monaten sollte bei Therapieresponse mit dem Patienten die Möglichkeit einer Dosisreduktion oder eines Auslassversuchs besprochen werden
In den neuen Empfehlungen sind Hinweise zu finden, wie sie prinzipiell für alle Arzneimitteltherapien gelten – z.B. die partizipative Entscheidungsfindung, individuelle Auswahl der Pharmakotherapie anhand von Wirksamkeit, Nebenwirkungen, Erfahrungen des Patienten und Patientenpräferenzen. Weiterhin sollten eine ausführliche medizinische und psychosoziale Anamnese insbesondere auf Hinweise psychischer Erkrankungen sowie einer Sucht-Disposition erfolgen. Patientenvereinbarungen sowie Hinweise auf die Verkehrstüchtigkeit und arbeitsplatzrelevante Aspekte werden am besten schriftlich fixiert.
Wie bei anderen Schmerztherapien ist natürlich auch bei chronischen Schmerzen ein multimodales Behandlungskonzept anzustreben. An erster Stelle stehen Selbsthilfeangebote sowie physikalische und/oder physiotherapeutische Verfahren, darüber hinaus Psychotherapie und Patientenedukation. Nur in diesem Kontext sollte eine Opioid-Therapie eingeleitet werden. Selbstverständlich sind auch eine regelmäßige, mindestens einmal im Quartal stattfindende Therapieüberwachung, vor allem hinsichtlich Wirksamkeit und Nebenwirkungen wie Libidoverlust bei Jüngeren, Interessenverlust, Störungen der Merkfähigkeit und Stürze bei Älteren. Auch Hinweisen für eine missbräuchliche Anwendung sowie einer möglichen Verschlechterung des Krankheitsbildes durch die Opioide muss nachgegangen werden.
Therapieziele, Präparateauswahl und Dosierung
Ein wichtiger Konsensuspunkt speziell in der Opioid-Langzeittherapie ist die Erarbeitung von individuellen und realistischen Therapiezielen. Die zumeist hohen Erwartungen der Patienten an die medikamentöse Analgesie müssen auf ein realistisches Maß reduziert werden. Sinnvolle Ziele sind eine mindestens 30%ige Schmerzreduktion und/oder eine individuell angemessene Funktionsverbesserung im Alltag, z.B. die Wiederaufnahme einer Arbeit oder sich selbst wieder besser versorgen zu können.
Wird dann mit der Opioid-Therapie mit langsam sich steigernden Dosen begonnen, sollten die Patienten auf eine meist nur zu Beginn der Behandlung eintretende mögliche Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit und eine mögliche Gefährdung am Arbeitsplatz hingewiesen werden. Andere zentralwirksame Substanzen wie Hypnotika oder Tranquilizer sind vor Therapiebeginn mit Opioiden zu reduzieren oder abzusetzen.
Die optimale Dosis ist bei Eintritt der formulierten Therapieziele bei gleichzeitig guter Verträglichkeit erreicht. Eine Dosis von mehr als 120 mg/Tag orales Morphin-Äquivalent darf nur in Ausnahmefällen und die Therapiedauer von mehr als drei Monaten nur bei Therapierespondern überschritten werden.
Empfohlen werden für die Langzeit-Opioid-Therapie Präparate mit retardierter Galenik oder langer Wirkdauer und die Einnahme nach festem Zeitplan. Die langjährige klinische Erfahrung zeigt bei diesem Vorgehen eine bessere Schmerzkontrolle und Therapieadhärenz und ein niedrigeres Sturz- und Suchtrisiko als bei Verordnung kurzwirksamer Substanzen.
Eine Empfehlung hinsichtlich der Bevorzugung des oralen bzw. transdermalen Applikationsweges Opioid-haltiger Analgetika kann nicht gegeben werden (Evidenzgrad 1a, starker Konsens)
Vorgehen gegen Übelkeit und Obstipation
Übelkeit und Erbrechen als häufige Opioid-Nebenwirkungen können mit Beginn der Behandlung durch Antiemetika wirksam kontrolliert werden. Nach zwei bis vier Wochen sollte ein Absetzversuch erfolgen, da die meisten Patienten innerhalb dieser Zeit eine Toleranz gegenüber der emetischen Wirkung entwickeln. Die Obstipation begleitet viele Patienten allerdings über den gesamten Therapiezeitraum hinweg. Patienten mit Obstipationsneigung sollten am besten schon prophylaktisch mit Laxanzien behandelt werden. Es sind noch keine Informationen darüber verfügbar, welche Laxanzien in der Opioid-Therapie am wirksamsten sind.
Zwischenfazit
Wirksamkeit und Nebenwirkungen einer Opioid-Therapie müssen regelmäßig überwacht sowie Hinweisen auf missbräuchliche Anwendung nachgegangen werden. So lassen sich die Risiken der Behandlung minimieren.
Beendigung der Therapie, Arzneimittelpause
Die Behandlung sollte beendet werden, wenn im Rahmen der maximal zwölfwöchigen Einstellungsphase als auch während der Langzeit-Erhaltungsphase die individuell vereinbarten Therapieziele aus Sicht des Patienten und/oder des Arztes nicht erreicht werden oder sich nicht ausreichend therapierbare oder tolerierbare unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) oder Anzeichen für einen Missbrauch ergeben. In diesen Fällen wird die Behandlung schrittweise beendet. Das Gleiche gilt, wenn durch andere medizinische Maßnahmen wie eine Operation oder eine andere Behandlung des Grundleidens die Schmerzen reduziert werden konnten.
Bei erfolgreicher Langzeittherapie über sechs Monate sollte mit dem Patienten über die Möglichkeit einer Dosisreduktion oder eines Auslassversuchs gesprochen werden. Die Schmerzen könnten sich spontan oder durch die multimodale Therapie gebessert haben.
Zwischenfazit
Die Therapie wird schrittweise beendet bei unzureichender Wirksamkeit und/oder zu starken UAW, bei Verdacht auf Missbrauch sowie bei Anwendung anderer schmerzlindernder Maßnahmen (z.B. Operation). Nach sechs Monaten sollte eine Dosisreduktion bzw. ein Auslassversuch erfolgen.
Die Empfehlungen der Leitlinie werden in Abbildung 2 zusammengefasst.

Abb 2. Algorithmus der Therapie mit opioidhaltigen Analgetika bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (CNTS) [1]
Interessenkonflikterklärung
BK gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Quellen
1. Empfehlungen der S3-Leitlinie „Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen – LONTS“, AWMF-Register Nr. 145/003, federführende Fachgesellschaft Deutsche Schmerzgesellschaft e.V., September 2014.
2. Methodenreport der S3-Leitlinie „Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen – LONTS“, AWMF-Register Nr. 145/003, September 2014.
3. Häuser W et al. Langzeitanwendung von Opioden bei nichttumorbedingten Schmerzen. Dtsch Arztebl Int 2014;111:732–40.
4. Oxford Centre for Evidence-based Medicine – Levels of Evidence (March 2009) www.cebm.net/oxford-centre-evidence-based-medicine-levels-evidence-march-2009/. (Zugriff am 18.03.2015).

Dr. Barbara Kreutzkamp promovierte nach ihrer Approbation als Apothekerin in Hamburg zunächst an der Ludwig-Maximilians Universität München über ein Thema zu immunstimulierenden Wirkungen von Heilpflanzen. Es folgten von 1984 bis 1999 Tätigkeiten als Redakteurin bzw. Chefredakteurin verschiedener Facharzttitel in den Verlagen Reed-Elsevier sowie Bertelsmann/Springer Medizin in München. 1999 wechselte sie in die Freiberuflichkeit und arbeitet seitdem als Medizinjournalistin und -Redakteurin sowie Vortragsreferentin zunächst in München und jetzt in Hamburg. Themenschwerpunkte sind medikamentöse Behandlungsoptionen in allen Indikationen sowie neue Erkenntnisse aus Medizin, Biochemie und verwandten Wissenschaften. Für die Zeitschrift Arzneimitteltherapie (AMT) schreibt Barbara Kreutzkamp seit 2003.
Dr. Barbara Kreutzkamp, Nagelshof 15, 22559 Hamburg, E-Mail: barkreutz@t-online.de
Opioids for non-tumor pain: new S3-guideline for long-term use
Managed by the German Pain Society (Deutsche Schmerzgesellschaft e. V.) the AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) revised the S3-guideline for long-term use of opioids for non-tumor pain (LONTS). Therefore, up-to-date evidence-based risk-benefit recommendations for the treatment of severe chronic pain are available
Key words: Pain, S3 guideline, opioids
Arzneimitteltherapie 2015; 33(05)