Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg
Die Polycythaemia vera zählt neben der primären Myelofibrose und der essenziellen Thrombozythämie zu den Philadelphia-Chromosom-negativen (BCR-ABL–) myeloproliferativen Neoplasien. Die genetische Mutation im Januskinase-2-Gen (JAK 2) führt zu einer Dysregulation des JAK-STAT-Signalwegs, der beim Zellwachstum und der Zelldifferenzierung eine wichtige Rolle spielt. Die mutationsbedingte Überaktivierung der Tyrosinkinase JAK 2 bewirkt eine unkontrollierte Proliferation myeloischer Stammzellen. Folge ist eine vermehrte Bildung von Erythrozyten mit konsekutivem Anstieg des Hämatokritwerts. Daraus resultiert eine gesteigerte Blutviskosität, die wiederum das Auftreten thromboembolischer Ereignisse begünstigt. Dazu gehören makrovaskuläre Komplikationen wie Myokardinfarkt und Schlaganfall ebenso wie mikrovaskuläre Symptome wie Erythromelalgie und Parästhesien. Dazu kommen allgemeine Symptome wie Fatigue, Pruritus, Nachtschweiß, Kachexie, Fieber und Splenomegalie.
Hydroxycarbamid ist die Standardtherapie
Die bisherige Standardtherapie der Polycythaemia vera umfasst die Senkung des Hämatokritwerts mit Aderlässen und die Zytoreduktion mit Hydroxycarbamid. Zusätzlich wird ASS in einer Dosierung von 100 mg empfohlen, um thromboembolische Ereignisse zu verhindern. Doch alle diese Therapiestrategien sind mit Problemen und Limitationen assoziiert. So zeigt Hydroxycarbamid bei einem Teil der Patienten keine ausreichende Wirkung und nicht wenige Patienten vertragen diese Substanz nicht. Auch eine Therapie mit Interferon alfa zeigt eine hohe Abbruchrate wegen Unverträglichkeit.
Die Entdeckung der JAK-2-Mutation hat zu Studien mit einer neuen Therapieoption geführt, nämlich dem Tyrosinkinase-Inhibitor Ruxolitinib (Jakavi®), der regulierend in den JAK-STAT-Signalweg eingreift. Diese Substanz wurde bisher zur Therapie der Myelofibrose eingesetzt und ist seit April 2015 auch zugelassen bei Polycythaemia-vera-Patienten mit einer Hydroxycarbamid-Resistenz oder -Intoleranz. Sie ermöglicht eine Kontrolle der gesteigerten Hämatopoese.
RESPONSE-Studie
Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Ruxolitinib wurde im Rahmen einer randomisierten, kontrollierten, offenen Phase-III-Studie untersucht (RESPONSE: Randomized, open label, multicenterphase III study of efficacy and safety in polycythemia vera subjects who are resistant to or intolerant of hydroxyurea: JAK inhibitor INC424 tablets versus best available care) [1].
Eingeschlossen in diese Studie wurden 224 Patienten, die entweder eine Hydroxycarbamid-Resistenz oder -Intoleranz zeigten. Sie erhielten Ruxolitinib (2-mal 10 mg täglich oral) oder die beste verfügbare Therapie (BAT). Primärer Studienendpunkt war die Kontrolle des Hämatokritwerts <45% und die Reduktion des Milzvolumens um mindestens 35% nach 32 Wochen.
Studienergebnisse
Diesen kombinierten primären Endpunkt erreichten 20,9% in der Ruxolitinib-Gruppe und nur 0,9% in der BAT-Gruppe (Odds-Ratio [OR] 28,6; 95%-KI 4,5–1,206; p<0,001). Bezüglich Einzelkomponenten fand sich eine entsprechende Reduktion des Milzvolumens bei 38,2% unter Ruxolitinib vs. 0,9% unter BAT, bei der Hämatokrit-Kontrolle waren die Vergleichswerte 60% vs. 19,6%. Von den auf Ruxolitinib randomisierten Patienten erreichten 77% mindestens eine Komponente des primären Endpunkts. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Ansprechen bis zur 48. Woche bestehen blieb, lag bei 94%.Thromboembolische Ereignisse traten unter Ruxolitinib bei 0,9%, unter BAT dagegen bei 5,4% auf. Auch bezüglich der subjektiven Symptome fand sich eine deutliche Besserung unter Ruxolitinib.
Die Abbruchrate betrug in der BAT-Gruppe 96,4% im Vergleich zu 15,5% in der Ruxolitinib-Gruppe, wobei die häufigste Ursache in der BAT-Gruppe ein fehlendes Ansprechen war. In der Ruxolitinib-Gruppe traten etwas häufiger Anämien und Thrombozytopenien auf als unter der BAT (Schweregrad 3/4:2% bzw. 5% vs. 0% bzw. 4%). Ein unerwünschtes Ereignis vom Schweregrad 3/4 trat unter Ruxolitinib mit einer Rate von 28,8 pro 100 Patientenjahre auf; unter BAT mit 44,0.
Fazit
Die Polycythaemia vera ist eine myeloproliferative Erkrankung, der eine Mutation im Januskinase-2(JAK-2)-Gen zugrunde liegt, was zu einer unkontrollierten Proliferation von Erythrozyten mit konsekutiver Hyperviskosität führt. Das Arzneimittel der Wahl ist Hydroxycarbamid, was jedoch nicht immer ausreichend wirkt und auch häufig wegen Nebenwirkungen abgesetzt werden muss. Für solche Hydroxycarbamid-resistenten bzw. -intoleranten Patienten steht jetzt der JAK-2-Inhibitor Ruxolitinib (Jakavi®) zur Verfügung. Im Rahmen der RESPONSE-Studie zeigte diese neue Substanz im Vergleich mit der bestmöglichen Therapie eine stärkere Wirkung bezüglich Hämatokrit-Kontrolle, Reduktion der Milzgröße und Verbesserung der Symptomatik.
Quelle
Prof. Dr. Eva Lengenfelder, Mannheim, Prof. Dr. Martin Grießhammer, Minden, Prof. Konstanze Döhner, Ulm; Pressekonferenz „Jakavi® – die neue therapeutische Option bei Polycythaemia vera“, Frankfurt a. M., 17. April 2015, veranstaltet von Novartis Pharma GmbH.
Literatur
1. Vannucchi AM, et al. Ruxolitinib versus standard therapy for the treatment of polycythemia vera. N Engl J Med 2015;372:426–35.
Arzneimitteltherapie 2015; 33(09)