Neuzulassung von Arzneimitteln in Deutschland


Wissenschaft versus Ökonomie

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Klinische Studien zum Beleg der Wirksamkeit und Sicherheit neuer Arzneimittel sind in der Zwischenzeit hochgradig reguliert. In einem typischen Entwicklungsprogramm eines neuen Arzneimittels werden zunächst Phase-II-Studien – in aller Regel im Vergleich zu Placebo – durchgeführt, wobei in diesen Studien die Dosierungen identifiziert werden, die in der Phase-III-Studie Verwendung finden. Für viele Erkrankungen, die nicht lebensbedrohlich sind oder zu schwerwiegenden Dauerschäden führen, verlangt die amerikanische Zulassungsbehörde im Moment zwei unabhängige Studien, in denen das neue Arzneimittel mit Placebo verglichen wird. Bei schweren Erkrankungen, für die eine wirksame Therapie zur Verfügung steht, wird dann in aller Regel das neue Arzneimittel gegen eine bestehende Standardtherapie verglichen oder das neue Arzneimittel beziehungsweise Placebo werden zusätzlich zu einer etablierten Therapie gegeben. Die europäische Zulassungsbehörde verlangt im Gegensatz dazu nicht nur eine Placebo-kontrollierte Studie, sondern auch immer eine Studie, in der das neue Arzneimittel mit der bestehenden Standardtherapie verglichen wird. Dies führt immer wieder zu unerfreulichen Konflikten zwischen den beiden Zulassungsbehörden und macht es Firmen, welche neue Arzneimittel entwickeln und zur Marktreife führen wollen, unnötig schwer.

In einigen europäischen Ländern und insbesondere in Deutschland kommt nun ein weiteres Problem hinzu: neu zugelassene Arzneimittel müssen sich einer ökonomischen Evaluation unterziehen. Diese unterscheidet sich häufig in ihrem Ansatz von den Kriterien, die für Zulassungsstudien Verwendung finden: Es muss ein Zusatznutzen gegenüber einer „zweckmäßigen Vergleichstherapie“ belegt werden. Für eine Reihe von Indikationen bedeutet dies, dass Pharmafirmen nicht nur randomisierte Studien zur Zulassung bei der europäischen Behörde durchführen müssen, sondern zusätzliche Studien. Können diese Daten nicht vorgelegt werden, wird das neue Arzneimittel einer – in der Regel niedrigen – Festbetragsgruppe für die Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen zugeordnet. Der Einsatz für zusätzliche Studiendaten verteuert natürlich die Entwicklung eines neuen Arzneimittels und macht dann Kosten-/Nutzen-Analysen sehr schwierig. Die Problematik soll am Beispiel der Entwicklung neuer Migräneprophylaktika verdeutlicht werden.

Patienten mit häufiger Migräne benötigen nicht nur eine wirksame Akuttherapie zur Behandlung der akuten Attacken, sondern häufig auch eine medikamentöse Migräneprophylaxe. Verfügbar und zugelassen hierfür sind Betablocker (Propranolol, Metoprolol), Flunarizin sowie die beiden Antiepileptika Valproinsäure und Topiramat. Bezüglich der Wirksamkeit unterscheiden sich diese Arzneistoffe nicht, sehr wohl aber bezüglich ihrer Nebenwirkungen. Hauptproblem der medikamentösen Prophylaxe ist die schlechte Compliance, die meist durch die nicht unerheblichen Nebenwirkungen dieser Arzneistoffe bedingt ist. Daher bestand die dringende Notwendigkeit, neue Arzneistoffe zu entwickeln, die ein deutlich geringeres Ausmaß an unerwünschten Arzneimittelwirkungen haben. Diese befinden sich jetzt in der klinischen Entwicklung. Es handelt sich um monoklonale humanisierte Antikörper gegen das Calcitonin Gene-related Peptide. Für die Phase III der Entwicklung stehen die Firmen jetzt vor einem schwierigen Problem. Sie müssen neue Migräneprophylaktika entwickeln, die wahrscheinlich nicht wirksamer sind als bestehende Migräneprophylaktika, aber deutlich weniger Nebenwirkungen haben. Das bedeutet, ein Zusatznutzen kann nur über die Nebenwirkungen belegt werden.

Da es sich im konkreten Fall bei der „zweckmäßigen Vergleichstherapie“ um sehr günstige Generika handelt, wird es sehr schwer werden, einen Preis zu erzielen, der den Aufwand der Studien deckt. Selbst wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) einen gewissen Zusatznutzen feststellt und in den folgenden Verhandlungen mit den Krankenkassen ein höherer Preis erzielt wird, ist es immer noch fraglich, ob sich der Aufwand für die Firmen lohnt. In anderen Indikationsgebieten wurde, insbesondere bei Zuordnung des Arzneimittels zu einer Festbetragsgruppe, das Präparat wieder durch den Hersteller vom Markt genommen.

Für die Durchführung einer zusätzlichen Studie nach der Zulassung kommt noch hinzu, dass die neuen und zwangsläufig sehr viel teureren Migräneprophylaktika zu Beginn sicher nur bei Patientinnen und Patienten zum Einsatz kommen, bei denen die bisherigen Prophylaktika entweder kontraindiziert sind, nicht wirksam waren oder nicht vertragen wurden. Es stellt sich die Frage, wie man diese Patienten in eine randomisierte Studie einschließen will, ohne sie einer kontraindizierten, unwirksamen oder nicht verträglichen Vergleichstherapie auszusetzen.

Diese Problematik macht verständlich, warum immer mehr große Pharmakonzerne ernsthaft überlegen, ob sie angesichts der Erstattungssituation überhaupt noch klinische Studie in Deutschland durchführen und neue Arzneimittel in Deutschland zulassen. Wenn dies um sich greift, wäre es eine Katastrophe für die klinische Forschung in Deutschland.

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