Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg
De polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) ist eine der häufigsten genetischen Erkrankungen und die vierthäufigste Ursache für ein chronisches Nierenversagen. Charakterisiert ist die Erkrankung durch die Entstehung von flüssigkeitsgefüllten Zysten, die sich ausdehnen und somit zu einer starken Vergrößerung der Nieren und zu einer fortschreitenden Nierenschädigung führen. Bei den meisten Betroffenen kommt es zwischen 50 und 60 Jahren zu einem terminalen Nierenversagen mit entsprechender Notwendigkeit für die Dialyse oder eine Nierentransplantation. Klinisch manifestiert sich die Erkrankung zunächst als Hypertonie, durch Flankenschmerzen, Hämaturie plus Proteinurie. Darüber hinaus kommt es zu rezidivierenden Zysteninfektionen. Nicht selten finden sich auch Zysten in der Leber, intrakranielle Aneurysmen und Herzklappenfehler.
Hochregulation der cAMP-Bildung
Bei 85% der Patienten liegt eine Mutation des Gens PKD1, bei den übrigen Fällen eine Mutation des PKD2-Gens vor. Diese Gen-Mutationen führen zu einer Hochregulation des zyklischen Adenosinmonophosphats (cAMP), was letztendlich für die Entstehung und Progression der Nierenzysten verantwortlich ist. Die vermehrte Bildung von cAMP wird durch Vasopressin verstärkt, das heißt, Vasopressin ist der entscheidende Faktor für die Progression der Erkrankung. Bisher gab es für die Behandlung der Erkrankung keine kausal orientierte Behandlungsmöglichkeit, die den Verlauf beeinflussen konnte.
Tolvaptan hemmt Vasopressin
Mit Tolvaptan (Jinarc®) steht jetzt erstmals ein pathogenetisch orientiertes Therapieprinzip zur Verfügung, das das Fortschreiten der Erkrankung aufhalten kann und somit die Zeit bis zur terminalen Niereninsuffizienz bzw. zur Nierenersatztherapie verlängert. Die Wirkung der Substanz beruht darauf, dass sie die Bindung von Vasopressin an den V2-Rezeptor des distalen Nephrons hemmt. In der Folge nimmt die cAMP-Produktion ab.

Abb. 1. Wirkungsmechanismus von Tolvaptan [mod. nach 3] AC6: Adenylatcyclase; AMP: Adenosinmonophosphat; cAMP: zyklisches Adenosinmonophosphat; CFTR: Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator; Gs: G-Proteinalpha-Untereinheit; PC: Proprotein-Konvertase; PKA: Proteinkinase A; V2R: Vasopressin-2-Rezeptor
Die Wirksamkeit und Sicherheit von Tolvaptan wurde im Rahmen eines umfangreichen klinischen Studienprogramms (TEMPO-Studien, Tolvaptan efficacy and safety in management of autosomal dominant polycystic kidney disease and its outcomes) untersucht. Die zulassungsrelevante TEMPO-3/4-Studie umfasst eine Behandlungsdauer von drei Jahren. Ihr schließt sich die Extensionsstudie TEMPO 4/4 an, die die Patienten über weitere drei Jahre bis 2016 nachverfolgt.
Ergebnisse der TEMPO-3/4-Studie
In diese multizentrische, doppelblinde, Placebo-kontrollierte, dreijährige Phase-III-Studie wurden 1445 ADPKD-Patienten in einem Alter von 18 bis 50 Jahren eingeschlossen. Die Patienten wurden 2:1 entweder für Tolvaptan (n=961) oder Placebo (n=484) randomisiert. Die Tolvaptan-Dosierung wurde, soweit verträglich, in wöchentlichen Schritten von 45 mg morgens und 15 mg nachmittgas auf 60 mg/30 mg und dann auf 90 mg/30 mg erhöht und dann ab der 4. Woche mit der höchst tolerierten Dosis als Erhaltungstherapie bis zum 36. Monat fortgeführt. Primärer Endpunkt war die jährliche Veränderung des Gesamtnierenvolumens (TKV, total kidney volume). Als wichtigster sekundärer Endpunkt wurde die klinische Progression festgelegt, eine Kombination aus Abnahme der Nierenfunktion gemessen anhand des reziproken Serum-Creatinin-Werts in (mg/ml)–1, behandlungsbedürftigen Nierenschmerzen, Hypertonie und Albuminurie.
Unter Tolvaptan kam es im Vergleich mit Placebo zu einer signifikanten relativen Reduktion des jährlichen Nierenfunktionsverlusts um 31,6% (–2,61 [mg/ml]–1 vs. –3,81 [mg/ml]–1; p<0,001). Auch die jährliche Zunahme des TKV war unter Tolvaptan mit 2,8% niedriger als unter Placebo mit 5,5% (p<0,001). Über die gesamte Studiendauer hinweg führte Tolvaptan zu einer relativen Reduktion der Nierenvolumenzunahmen um 49% im Vergleich zu Placebo (p<0,0001).
Auch die klinische Progression wurde mit Tolvaptan signifikant verbessert, das heißt, die ADPKD-bezogene Ereignisrate pro 100 Patientenjahre (PJ) wurde von 50 auf 44 gesenkt (Hazard-Ratio 0,87; p=0,01). Bei der Verschlechterung der Nierenfunktion standen 2/100 PJ unter Tolvaptan 5/100 PJ unter Placebo gegenüber, bei behandlungspflichtigen Nierenschmerzen waren die Vergleichszahlen 5/100 PJ vs. 7/100 PJ (p=0,007). Kein Unterschied ergab sich im Hinblick auf Hypertonie und Albuminurie. Insgesamt führte Tolvaptan zu einer Verringerung der Ereignisrate beim kombinierten Endpunkt um relativ 13,5% [1].
Vertretbares Sicherheitsprofil
Die Häufigkeit unerwünschter Begleiterscheinungen war in beiden Studienarmen ähnlich hoch (Tolvaptan 97,9% vs. Placebo 97,1%). Unter Tolvaptan kam es erwartungsgemäß zu einer vermehrten Aquarese mit Durst, Polydipsie, Polyurie, Nykturie. Auch die Rate an schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen war in beiden Gruppen ähnlich (18,4% unter Tolvaptan vs. 19,7% unter Placebo). Brust- und Thoraxschmerzen, Hämaturie und Erhöhungen der Leberwerte (4,9% vs. 1,2%) traten unter Tolvaptan, renale Zysteninfektionen und Pyelonephritiden unter Placebo häufiger auf.
Fazit
Mit Tolvaptan, das die cAMP-Bildung hemmt, steht erstmals ein pathogenetisch orientiertes Therapiekonzept für die Behandlung von Patienten mit einer genetisch bedingten polyzystischen Nierenerkrankung zur Verfügung. Im Rahmen der TEMPO-3/4-Studie konnte anhand verschiedener Endpunkte gezeigt werden, dass die Substanz die Progression der Erkrankung verzögert, und dies mit einem vertretbaren Sicherheitsprofil.
Quelle
Prof. Nicholas Obermüller, Frankfurt a. M., Prof. Peter Gross, Dresden, Prof. Werner Riegel, Darmstadt; Launch-Pressekonferenz „JINARC® (Tolvaptan) – erste zielgerichtete Therapie der ADPKD“, Frankfurt am Main, 16. Juni 2015, veranstaltet von Otsuka Pharma GmbH.
Literatur
1. Torres VE, et al. Tolvaptan in patients with autosomal dominant polycystic kidney disease. N Engl J Med 2012;367:2407–18.
2. Jinarc® Fachinformation; Stand Mai 2015.
3. Ibraghimov-Beskrovnaya O, Natoli TA. mTOR signaling in polycystic kidney disease. Trends Mol Med 2011;17:625–33.
Arzneimitteltherapie 2015; 33(11)