Dr. Peter Stiefelhagen, Hachenburg
Die am meisten gefürchtete Komplikation bei Patienten mit Vorhofflimmern ist der kardioembolische Insult. Jeder fünfte Schlaganfall wird durch Vorhofflimmern verursacht, und die Rhythmusstörung erhöht das Schlaganfallrisiko um das 5-Fache. Doch Vorhofflimmern ist vorwiegend eine Erkrankung des älteren Menschen, das heißt, die Prävalenz steigt mit zunehmendem Alter. Zwei Drittel der Patienten mit Vorhofflimmern sind 75 Jahre und älter. Gleichzeitig nimmt die Häufigkeit der Antikoagulation bei betagten Patienten aus Angst vor Blutungen ab. Im Rahmen des Berliner Vorhofflimmern-Registers wurden Daten von 279 Vorhofflimmern-Patienten mit einem Alter von >89 Jahren ausgewertet. Diese sehr alten Patienten hatten erwartungsgemäß einen relativ hohen CHA2DS2-VASc-Score von 5, aber überraschenderweise einen relativ niedrigen HAS-BLED-Score von 3,1 (Kasten). Bei einer Beobachtungszeit von bis zu 17 Monaten erlitt jeder Dritte dieser alten Patienten einen Insult/eine transitorische ischämische Attacke (TIA) und 14% eine systemische Embolie. Diese Zahlen belegen, dass in dieser Altersgruppe das Risiko für einen Schlaganfall sehr hoch ist, aber auch das Blutungsrisiko steigt.
Prophylaktische Antikoagulation bei Vorhofflimmern: Klinische Scores
- Der CHA2DS2-VASc-Score dient der Einschätzung des Schlaganfallrisikos (0 bis 9)
- Der HAS-BLED-Score hilft bei der Einschätzung des Blutungsrisikos (0 bis 9)
ENGAGE AF-TIMI 48-Studie: Edoxaban bietet mehr Sicherheit
Im Rahmen der Studie ENGAGE AF-TIMI 48 (Effective anticoagulation with faktor Xa next generation in atrial fibrillation) wurde der Faktor-Xa-Inhibitor Edoxaban (Lixiana®) in einem randomisierten ereignisgesteuerten Design mit dem Vitamin K-Antagonisten Warfarin bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit verglichen. Aufgenommen in diese multizentrische randomisierte Doppelblind-Studie – die größte und längste Studie zur Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern – wurden 21105 Patienten mit einem nicht-valvulären Vorhofflimmern (Tab. 1). Dabei wurde Edoxaban in einer Dosierung von 60 mg oder 30 mg gegeben. Die niedrigere Dosierung wurde dann gewählt, wenn eines der folgenden Kriterien zum Zeitpunkt der Randomisierung oder im Studienverlauf erfüllt war: Creatinin-Clearance 30–50 ml/min, Körpergewicht ≤60 kg oder eine Komedikation mit einem P-Glykoprotein-Inhibitor wie Chinidin, Verapamil oder Dronedaron. Als primärer Wirksamkeitsendpunkt wurde die Zeit bis zum Eintreten eines Schlaganfalls oder einer systemischen Embolie (SEE), als primärer Sicherheitsendpunkt eine schwere Blutung definiert. Die mediane Beobachtungsdauer betrug 2,8 Jahre.
Tab.1. Studiendesign von ENGAGE AF-TIMI 48 (Effective anticoagulation with factor Xa next generation in atrial fibrillation) [1]
Erkrankung |
Vorhofflimmern/Schlaganfallprävention |
Studienziel |
Wirksamkeit und Sicherheit von Edoxaban versus Warfarin |
Studientyp/Phase |
Interventionsstudie/Phase III |
Studiendesign |
Randomisiert, kontrolliert, doppelblind, doppel-Dummy, parallel, multizentrisch |
Patientenanzahl |
21105 |
Intervention |
|
Primärer Endpunkt |
Schlaganfälle und systemische embolische Ereignisse |
Sponsor |
Daiichi Sankyo |
Studienregisternummer |
NCT00781391 |
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Edoxaban bei der Verhinderung eines Schlaganfalls oder einer systemischen Embolie gleich wirksam ist wie Warfarin, aber ein günstigeres Sicherheitsprofil aufweist. Die jährliche Ereignisrate betrug unter 60 mg Edoxaban 1,18% im Vergleich zu 1,5% unter Warfarin (Hazard-Ratio [HR] 0,79; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,63–0,99; p<0,001 bezogen auf Nichtunterlegenheit) und unter 30 mg Edoxaban 1,61% im Vergleich zu 1,5% unter Warfarin (HR 1,07; 95%-KI 0,87–1,31; p=0,005 bezogen auf Nichtunterlegenheit). Das Risiko einer schweren Blutung wurde durch 60 mg Edoxaban im Vergleich zu Warfarin signifikant um relativ 20% (2,75% vs. 3,43% pro Jahr; HR 0,80; 95%-KI 0,71–0,91; p<0,001 bezogen auf Überlegenheit), durch 30 mg Edoxaban sogar signifikant um relativ 53% (1,61% vs. 3,43% pro Jahr; HR 0,47; 95%-KI 0,41–0,55; p<0,001 bezogen auf Überlegenheit) gesenkt [1].
Höherer absoluter Benefit
Mehr als 40% der Studienpatienten waren älter als 75 Jahre. Im Hinblick auf Wirksamkeit und Sicherheit profitierten diese älteren Patienten relativ gesehen in gleichem Maße von Edoxaban wie die bis zu 75-Jährigen. Da bei älteren Patienten das absolute Blutungsrisiko deutlich höher ist, war auch der absolute Benefit ausgeprägter. So konnte mit 60 mg Edoxaban das absolute Risiko einer größeren Blutung bei über 75-Jährigen um 2,6% reduziert werden, bei unter 65-Jährigen waren es absolut 1,1%. Die Risikoreduktion bei intrakraniellen Blutungen lag absolut bei 0,9% bei über 75-Jährigen im Vergleich zu 0,1% bei unter 65-Jährigen. Angesichts dieser Daten wird auch von geriatrischer Seite bei einem CHA2DS2-VASc-Score ≥2 selbst bei hohem Sturzrisiko eine Antikoagulation empfohlen. Wenn sowohl das Risiko für Blutungen als auch für Schlaganfälle hoch ist, so scheinen NOAKs wie Edoxaban einen größeren klinischen Nutzen zu haben als Warfarin. Bei Edoxaban ist eine Dosisreduktion in Abhängigkeit vom Alter nicht erforderlich.
PREFER-Register
Register-Studien sollen Einblicke in die aktuelle Behandlungssituation und auch eventuelle Veränderungen bei Patienten mit einer thromboembolischen Erkrankung ermöglichen. Für Patienten mit Vorhofflimmern wurde eine solche Registerstudie in sieben Ländern initiiert (PREFER in AF; Prevention of thromboembolic events – European registry in atrial fibrillation). Von den 8395 Patienten, die von 2014 bis 2015 in das Register aufgenommen wurden, erhielten 38% der Patienten mit einem Alter zwischen 65 und 74 Jahren und 44% der über 75-jährigen Patienten ein NOAK. Insgesamt nahm der Anteil der Patienten, die trotz bestehender Indikation keine orale Antikoagulation erhielten, ab. Er liegt aber weiterhin bei rund 20%.
Fazit
Zwei Drittel der Patienten mit Vorhofflimmern sind 75 Jahre und älter. Bei diesen älteren Patienten ist das Risiko für thromboembolische Komplikationen und bedeutsame Therapie-assoziierte Blutungskomplikationen höher als bei Patienten<75 Jahre. Ältere Patienten scheinen sowohl hinsichtlich Wirksamkeit als auch Sicherheit besonders von den neuen oralen Antikoagulanzien wie Edoxaban zu profitieren. Eine altersabhängige Dosisreduktion ist bei Edoxaban nicht erforderlich.
Quelle
Prof. Viola Hach-Wunderle, Frankfurt a.M., Prof. Wilhelm Haverkamp, Berlin, Prof. Dietmar Trenk, Bad Krozingen, Prof. Paulus Kirchhof, Birmingham, Prof. Wolfgang Korte, St. Gallen; Satellitensymposium „Einfache und sichere Antikoagulation: Geht das?“ veranstaltet von Daiichi Sankyo im Rahmen der 60. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH), Münster, 17.–20. Februar 2016.
Literatur
1. Giugliano R, et al. Edoxaban versus warfarin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2013;369:2093–104.
Arzneimitteltherapie 2016; 34(05)