Dr. Peter Stiefelhagen, Hachenburg
Unter dem Oberbegriff Kopf-Hals-Tumoren werden maligne Erkrankungen des Mund-Rachen-Raums und des Kehlkopfs zusammengefasst. In über 90% der Fälle handelt es sich hierbei um Plattenepithelkarzinome. Bei etwa 80% der Betroffenen wird die Erkrankung erst in einem lokal fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert, was die Prognose deutlich verschlechtert. Mehr als die Hälfte der Patienten erleidet nach der Primärtherapie ein Tumorrezidiv. Bei Vorliegen von Metastasen beträgt das mediane Überleben nur sechs bis neun Monate. In Deutschland muss man mit 15500 Neuerkrankungen und 8800 Todesfällen jährlich rechnen. Die wichtigsten Risikofaktoren sind Rauchen, Genuss von hochprozentigen Spirituosen und humane Papillomviren (HPV). Für die Therapie stehen verschiedene Strategien zur Verfügung: chirurgische Resektion, Radiotherapie, Chemotherapie und eine zielgerichtete Therapie mit dem EGFR-Antikörper Cetuximab (Erbitux®).
Cetuximab in Kombination mit Strahlen- oder Chemotherapie
Cetuximab ist ein monoklonaler Antikörper, der gegen den Epidermal-Growth-Factor-Rezeptor (EGFR) gerichtet ist. Cetuximab verhindert, dass Wachstumsfaktoren an den EGFR binden können und blockiert somit den Signalweg. Daraus ergibt sich seine antitumoröse Wirkung. Indiziert ist Cetuximab bei Plattenepithelkarzinomen im Kopf-Hals-Bereich in Kombination mit einer Strahlentherapie bei Patienten mit einer lokal fortgeschrittenen Erkrankung und in Kombination mit einer Platin-basierten Chemotherapie (Cis- oder Carboplatin+Fluorouracil) bei Patienten mit einer rezidivierenden und/oder metastasierenden Erkrankung.
Ergebnisse der Bonner-Studie
Im Rahmen einer multinationalen, randomisierten Phase-III-Studie (Bonner-Studie, Tab. 1) wurden bei 424 Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen Plattenepithelkarzinom im Stadium III und IV die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Cetuximab in Kombination mit einer Radiotherapie im Vergleich mit einer alleinigen Radiotherapie untersucht. Durch Cetuximab konnte die lokoregionäre Tumorkontrolle im Median um 9,5 Monate (24,4 vs. 14,9 Monate) verlängert werden. Hieraus ergab sich eine signifikante Reduktion des lokoregionären Progressionsrisikos um 32% (Hazard-Ratio [HR] 0,68; p=0,005). Nach einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 54 Monaten zeigte sich unter der Kombinationstherapie ein verlängertes Gesamtüberleben (49,0 vs. 29,3 Monate), was mit einer signifikanten Senkung des Sterberisikos um 27% einherging (HR 0,73; p=0,018). Die 3-Jahres-Überlebensrate betrug im Kombinationsarm 55% gegenüber 45% unter der alleinigen Radiotherapie. Der Vorteil im Gesamtüberleben für den Cetuximab-Arm bestand auch noch nach fünf Jahren (45,6% vs. 36,4%) [1].
Tab. 1. Bonner-Studie [www.clinicaltrials.gov, 1]
Erkrankung |
Lokal fortgeschrittenes Plattenepithelkarzinom im Stadium III und IV |
Studienziel |
Wirksamkeit einer Radiotherapie mit oder ohne Cetuximab |
Studientyp |
Interventionsstudie |
Studienphase |
Phase III |
Studiendesign |
Randomisiert, parallel, open-Label |
Intervention |
|
Primärer Endpunkt |
Lokoregionäre Tumorkontrolle |
Sponsor |
University of Alabama at Birmingham |
Studienregisternummer |
NCT00004227 |
Benefit unabhängig vom p16-Status
In einer retrospektiven Analyse wurden die Studienergebnisse in Abhängigkeit vom HPV-Status analysiert. Insgesamt konnten Tumorbiopsien von 72% der Studienteilnehmer mit Oropharynxkarzinom (182/253) auf ihren p16-Status ausgewertet werden. 41% der Proben waren positiv. Die Zugabe von Cetuximab zur Radiotherapie verbesserte unabhängig vom p16-Status, also sowohl bei p16-positiven als auch bei p16-negativen Patienten, die lokoregionäre Kontrolle, das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben. Der Vorteil von Cetuximab war bei p16-positiven Patienten mit Oropharynxkarzinom ausgeprägter als bei p16-negativen Patienten. Der p16-Status erwies sich bei Patienten mit einem Oropharynxkarzinom als starker positiver prognostischer Faktor [2].
Ergebnisse der EXTREME-Studie
Im Rahmen der EXTREME-Studie (Erbitux in the 1st line treatment of recurrent or metastatic head and neck cancer, Tab. 2) wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit von Cetuximab bei 442 Patienten mit einem bisher unbehandelten rezidivierten und/oder metastasierten Plattenepithelkarzinom untersucht, wobei die Kombination Cetuximab plus Platin-basierte Chemotherapie (Cis- oder Carboplatin+Fluorouracil) mit der alleinigen Chemotherapie verglichen wurde.
Tab. 2. EXTREME-Studie [www.clinicaltrials.gov, 3]
Erkrankung |
Unbehandeltes rezidiviertes und/oder metastasiertes Plattenepithelkarzinom |
Studienziel |
Wirksamkeit und Verträglichkeit von Cetuximab |
Studientyp |
Interventionsstudie |
Studienphase |
Phase III |
Studiendesign |
Randomisiert, parallel, open-Label |
Intervention |
|
Primärer Endpunkt |
Gesamtüberleben |
Sponsor |
Merck KGaA |
Studienregisternummer |
NCT00122460 |
Das mediane Gesamtüberleben wurde mit Cetuximab um 2,7 Monate (10,1 vs. 7,4 Monate), das progressionsfreie Überleben um 2,3 Monate (5,6 vs. 3,3 Monate) verlängert und das Sterberisiko um 20% reduziert (HR 0,80; p=0,04). Die 5-Jahres-Daten zeigen, dass die Erhaltungstherapie mit Cetuximab im Median über 29,2 Wochen fortgesetzt werden konnte, wobei die Toxizität von Cetuximab während der Erhaltungstherapie abnahm.
14% der Patienten im Cetuximab-Arm und 11% der Patienten im Chemotherapie-Arm überlebten länger als zwei Jahre [3].
Wie in der Bonner-Studie profitierten alle Patienten unabhängig vom p16-Status von Cetuximab und die p16-Expression erwies sich als positiver prognostischer Faktor [4].
Im Rahmen einer Phase-II-Studie (TPExtreme) wird jetzt überprüft, ob durch eine Modifikation der Chemotherapie, nämlich der Gabe von Docetaxel statt Fluorouracil, die Prognose weiter verbessert werden kann.
Fazit
Der monoklonale Antikörper Cetuximab führt bei Patienten mit einem fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumor sowohl in Kombination mit einer Platin-basierten Chemotherapie als auch mit einer Strahlentherapie zu einer Verlängerung des progressionsfeien und des Gesamtüberlebens. Der Benefit ist unabhängig vom HPV-Status. Jetzt versucht man mit einer Modifikation der Chemotherapie die Prognose weiter zu verbessern.
Quelle
Prof. Ulrich Keilholz, Berlin, Prof. Jens Peter Klußmann, Gießen, Prof. Frederik Wenz, Mannheim; Satellitensymposium „10 Jahre zielgerichtet Therapie von Kopf-Hals-Tumoren – Bedeutung und Erfahrung aus der Klinik“, veranstaltet von Merck Serono im Rahmen des 32. Deutschen Krebskongresses, Berlin, 25. Februar 2016.
Literatur
1. Bonner JA, et al. Radiotherapy plus cetuximab für locoregionally advanced head and neck cancer: 5-year survival data from a phase 3 randomised trial, and relation between cetuximab-induces rash and survival. Lancet Oncol 2010;11:21–8.
2. Rosenthal DI, et al. Association of human papillomavirus and p16 status with outcomes in the IMCL-9815 phase III registration trial for patients with locoregionally advanced oropharyngeal squamous cell carcinoma of the head and neck treated with radiotherapy with or without cetuximab. J Clin Oncol 2015. pii: JCO625970. [Epub ahead of print].
3. Vermorken JB, et al. Platinum-based chemotherapy plus cetuximab in recurrent or metastatic squamous cell carcinoma of the head and neck cancer (R/M-SCCHN): 5-year follow-up data for the extreme trial. J Clin Oncol 2014;32(Suppl):5, Abstract 6021.
4. Vermorken JB, et al. Impact of tumor HPV status on outcome in patients with recurrent and/or metastatic squamous cell carcinoma of the head and neck receiving chemotherapy with or without Cetuximab: retropspective analysis of the phase III EXTREME trial. Ann Oncol 2014;25:801–7.
Arzneimitteltherapie 2016; 34(05)