Reimund Freye, Baden-Baden
Bei der Behandlung der Hämophilie A steht in erster Linie die Vermeidung von Blutungen im Vordergrund. Vor allem Gelenk-Arthropathien sollte vorgebeugt werden. Diese sind das kumulierte Gedächtnis der Qualität der Hämophilie-Behandlung. Die Gelenkarthropathie ist mit einer – relativ – schlecht kontrollierten Erkrankung assoziiert. Die Einblutungen in den Gelenkspalt werden nicht bemerkt. Durch eine verbesserte Therapie, auch bereits in der Vergangenheit, läuft die Gelenkdegeneration heutzutage meist über viele Dekaden ab.
Die annualisierte Blutungsrate (annualised bleeding rate, ABR) ist letztlich das probateste Mittel, eine Behandlung in der klinischen Praxis unmittelbar zu kontrollieren, weil andere Messverfahren aufwendiger oder unpraktikabel sein können, wie etwa MRT-Bildgebungen. Somit sind für den behandelnden Arzt, der einen Hämophilie-Patienten oft nur für eine bestimmte Zeit betreut, Gelenkveränderungen nur sehr schwer detektierbar – zumal sich diese trotz prophylaktischer Behandlung, wie sich in einer Langzeitstudie zeigt, erst über einen längeren Zeitraum offenbaren: Frühestens nach zehn Jahren, oft aber erst nach 20 bis 30 Jahren, manifestieren sich bei einem optimierten prophylaktischen Behandlungsregime pathologische Gelenkveränderungen [5].
Prophylaxe ist Gabe bei Bedarf mehrfach überlegen
Es gibt vier prospektive, randomisierte Studien, von denen drei seitens des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) herangezogen wurden, um eine prophylaktische Behandlungsstrategie – im Vergleich zu einer Bedarfsbehandlung – als Goldstandard zu beurteilen. Die JOS-Studie (Joint Outcome Study) an Kindern fand für eine regelmäßige, dreimal wöchentliche Gabe bezüglich der Entwicklung einer Gelenk-Arthropathie gegenüber einer Injektion bei Bedarf (im Falle einer Blutung) eine relative Risiko-Reduktion um 83% [4], gemessen mit MRT, bei einer medianen Beobachtungszeit von vier Jahren.
Etwas neuer ist die ESPRIT-Studie, ebenfalls an Kindern durchgeführt. Auch hier wurde die Bedarfsgabe mit einer prophylaktischen Medikation (25 I.E./kg, 3-mal/Woche) verglichen. Neben einem signifikant besseren Outcome bei Gelenk-Arthropathien (p<0,05) war die regelmäßige Medikation auch bei der Anzahl der jährlichen Gelenkblutungen signifikant überlegen (p<0,02). Die meisten Patienten hatten in der Prophylaxe-Gruppe keine oder meist nur eine oder zwei Gelenkblutungen, gegenüber meist mehr als vier Gelenkblutungen/Jahr in der Bedarfsgruppe [2].
Ebenso zeigten die Studien an Jugendlichen und Erwachsenen einen signifikanten Vorteil in den Blutungsraten für die prophylaktische Gabe, der sich bis hin zu einer besseren krankheitsbezogenen Lebensqualität erstreckt, wie in der POTTER-Studie belegt wurde [7].
Fc-Domäne verhindert möglicherweise Bildung inhibitorischer Antikörper
Eine der schwerwiegendsten Komplikationen bei der Behandlung der Hämophilie ist die Entwicklung von Faktor-VIII-spezifischen hemmenden Antikörpern gegen die therapeutische Substanz. Dies soll bei dem neuen Präparat Efmoroctocog alfa (Elocta®) vermieden werden: Es gibt Hinweise, dass die Inzidenz von Hemmkörpern durch die Fusion an Fc verringert werden kann [1]. Die Fc-Fusionstechnologie wird bereits seit 1998 erfolgreich bei anderen Substanzen verwendet, beispielsweise bei Etanercept. Der Fc-Anteil wird hinsichtlich seiner potenziellen Wirkung auf die Immunogenität in verschiedenen Kausalitäten diskutiert. Ein möglicher Effekt könnte die Beeinflussung der regulatorischen T-Zellen sein, die inhibitorisch auf die Aktivierung des Immunsystems wirken. Tatsächlich wurde in den Zulassungsstudien keinerlei Entwicklung von Hemmkörpern gegen Efmoroctocog alfa gefunden.
Die Fc-Fusion ist zudem für die Verlängerung der Halbwertszeit (HWZ) verantwortlich. Dadurch lässt sich möglicherweise die Anzahl der wöchentlichen Injektionen reduzieren. Dies kann für Patienten einen gravierenden Vorteil hinsichtlich der Lebensqualität zur Folge haben. Relevant für die Zulassung waren die Studien Kids-A-LONG für Kinder und A-LONG für Erwachsene.
Altersabhängigkeit der Pharmakokinetik
Die Kids-A-LONG-Studie wurde multizentrisch an 71 vorbehandelten Kindern im Alter bis zu 12 Jahren mit schwerer Hämophilie über 28 Wochen durchgeführt; sie hatten zuvor ein gängiges Faktor-VIII-Präparat erhalten. Die Probanden erhielten initial zweimal pro Woche eine Injektion; dies konnte aber im Verlauf der Studie individuell angepasst werden. Die HWZ von Efmoroctocog alfa war gegenüber dem jeweils vorherigen Präparat um das 1,63-Fache (12,67 Stunden, Kinder <6 Jahre) oder um das 1,51-Fache (14,88 Stunden, 6 bis 12 Jahre) erhöht. Die HWZ ist bei Jüngeren generell kürzer als bei älteren Kindern und Erwachsenen.
Von den 16 Kindern, die zuvor jeden zweiten Tag spritzen mussten, sowie von den 31 Kindern, die zuvor dreimal pro Woche eine Injektion benötigten, konnten jeweils 11 (69%) und 29 (94%) auf eine zweimal wöchentliche Applikation umgestellt werden. Lag die mediane ABR unter Efmoroctocog alfa bei 1,96, so sank sie in den letzten drei Monaten der Behandlung auf Null. Kein Patient entwickelte Hemmkörper gegen die Substanz; dies war der primäre Endpunkt der Studie [8].
Die A-LONG-Studie wurde mit 165 vorbehandelten Jugendlichen und Erwachsenen mit schwerer Hämophilie A durchgeführt (Kasten). In drei Armen wurden individualisierte Prophylaxe mit wöchentlicher Prophylaxe und Bedarfsbehandlung miteinander verglichen.
Schweregrad einer Hämophilie
Der Schweregrad orientiert sich am Ausmaß der verringerten Funktion der Gerinnungsfaktoren. Eine schwere Hämophilie liegt bei <1% Restaktivität vor.
Die HWZ bei den Teilnehmern lag bei 19 Stunden unter Efmoroctocog alfa gegenüber 12,4 Stunden bei den vorigen Präparaten. Beim primären Wirksamkeits-Endpunkt, der die ABR von Arm 1 vs. Arm 3 verglich, lag die mediane ABR bei der individualisierten Prophylaxe (Arm 1) bei 1,6 versus 33,6 bei der Bedarfsbehandlung (Arm 3) [3]. Laut Befund entwickelten sich gegen den Wirkstoff keine Antikörper. Ungewöhnliche Nebenwirkungen traten nicht auf.
Die Injektionsintervalle konnten, etwa in Arm 1, gegenüber der Vorbehandlung deutlich gesenkt werden. Bei dem größten Anteil (n=65) mit drei Injektionen pro Woche konnte das Intervall bei 24 Patienten auf alle drei Tage vermindert werden, bei 22 auf zweimal pro Woche, bei 4 Patienten auf alle vier Tage. 15 Studienteilnehmer mussten nur noch alle fünf Tage spritzen (Abb. 1) [6].

Abb. 1. Änderung der wöchentlichen Injektionsintervalle unter Efmoroctocog alfa in der A-Long-Studie [mod. nach 6]; †Der Patient erhielt vor der Studie 12 I. E./kg FVIII zweimal/Woche, begann die Studie mit dem initialen rFVIIIFc-Regime zweimal/Woche und beendete die Studie mit 30 I. E./kg jeden 3. Tag.
Quelle
Prof. Dr. med. J. Oldenburg, Bonn, Dr. phil. nat. Dr. med. C. Königs, Frankfurt/M., Priv.-Doz. Dr. med. C. Bidlingmaier, München, Priv.-Doz. Dr. med. F. Langer, Hamburg; Satellitensymposium: „Change of Treatment Paradigms after 40 years – How to improve outcome of your Haemophilia (A) patients“, veranstaltet von Swedish Orphan Biovitrum (SOBI) im Rahmen der 60. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung, Münster, 18. Februar 2016.
Literatur
1. De Groot AS, et al. Activation of natural regulatory T cells by IgG Fc-derived peptide „Tregistopes“ Blood 2008;112:3303–11.
2. Gringeri A, et al. A randomized clinical trial of prophylaxis in children with hemophilia A (the ESPRIT Study). J Thromb Haemost 2011;9:700–10.
3. Mahlangu J, et al. Phase 3 study of recombinant factor VIII Fc fusion protein in severe hemophilia A. Blood 2014;123:317–25.
4. Manco-Johnson MJ, et al. Prophylaxis versus episodic treatment to prevent joint disease in boys with severe hemophilia. N Engl J Med 2007;357:535–44.
5. Oldenburg J. Optimal treatment strategies for hemophilia: achievements and limitations of current prophylactic regimens. Blood 2015;125:2038–44.
6. Shapiro AD, et al. Recombinant factor VIII Fc fusion protein: extended-interval dosing maintains low bleeding rates and correlates with von Willebrand factor levels. J Thromb Haemost 2014;12:1788–800.
7. Tagliaferri A, et al. Benefits of prophylaxis versus on-demand treatment in adolescents and adults with severe haemophilia A: the POTTER study. Thromb Haemost 2015;114:35–45.
8. Young G, et al. Recombinant factor VIII Fc fusion protein for the prevention and treatment of bleeding in children with severe hemophilia A. J Thromb Haemost 2015;13:967–77.
Arzneimitteltherapie 2016; 34(05)