Dr. med. Marianne Schoppmeyer, Nordhorn
Inkretinbasierte Therapien imitieren entweder die Wirkungen des gastrointestinalen Hormons GLP-1 (Glucagon like peptide) wie im Fall der GLP-1-Analoga (Exenatid, Liraglutid), oder sie verstärken dessen Effekt, indem sie den Abbau des GLP-1 hemmen wie bei den DPP-4-Hemmern (Sitagliptin, Vildagliptin u.a.). GLP-1 steigert unter anderem die postprandiale Insulinsekretion, hemmt die Glucagonsekretion, verzögert die Magenentleerung und führt zu einem höheren Sättigungsgefühl. Inkretinbasierte Arzneimittel erweitern die medikamentösen Optionen bei der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2. Positiv sind dabei vor allem die günstigen Effekte auf das Körpergewicht und das geringe Risiko einer Hypoglykämie hervorzuheben. Dem stehen die nicht unerheblichen gastrointestinalen Nebenwirkungen gegenüber. In Fachkreisen viel diskutiert ist zudem das unter Umständen erhöhte Risiko eines Pankreaskarzinoms. Eine Analyse des Nebenwirkungsregisters der amerikanischen Arzneimittelzulassungbehörde (Food and Drug Administration, FDA) hatte diesen Verdacht erhärtet. Nachfolgende randomisierte, kontrollierte Studien kamen wiederum zu gegenteiligen Ergebnissen.
Internationale Studie mit fast einer Millionen Patienten
In der nun vorliegenden retrospektiven Kohortenstudie wurden die Daten aus sechs verschiedenen Kliniken aus Kanada, Großbritannien und den USA mit nahezu einer Millionen Patienten eingeschlossen (Tab. 1). Die Patienten erhielten zwischen Januar 2007 und Juni 2013 erstmals ein blutzuckersenkendes Medikament und wurden bis Juni 2014 nachbeobachtet. Der mittlere Beobachtungszeitraum lag zwischen 1,3 und 2,8 Jahren. Jeder aufgetretene Fall eines Pankreaskarzinoms wurde mit bis zu 20 Kontrollpersonen gematcht.
Tab. 1. Studiendesign [nach Azoulay L, et al. 2016]
Erkrankung |
Diabetes mellitus |
Studienziel |
Zusammenhang zwischen inkretinbasierten Medikamenten und Pankreaskarzinom |
Studientyp |
Kohortenstudie |
Studiendesign |
Retrospektiv, multizentrisch, international |
Eingeschlossene Patienten |
972384 Patienten, bei denen eine antidiabetische Therapie neu begonnen wurde |
Intervention |
Inkretinbasierte Therapie vs. Therapie mit Sulfonylharnstoffen |
Sponsor |
Canadian Network for Observational Drug Effect Studies (finanziert durch die Canadian Institutes of Health Research) |
Studienregisternummer |
Stipendien-Nr. DSE-111845 |
Aktuelle Studie gibt Entwarnung
Während des Beobachtungszeitraums entwickelten 1221 Patienten ein Pankreaskarzinom. Das entspricht einer Inzidenz von 0,6 auf 1000 Personenjahre (95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 0,57–0,64). Im Vergleich zur Therapie mit Sulfonylharnstoffen wiesen Patienten, die mit inkretinbasierten Arzneistoffen therapiert wurden, kein erhöhtes Risiko für Pankreaskarzinome auf. Die angepasste Hazard-Ratio betrug 1,02 (95%-KI 0,84–1,23). Ebenso fand sich kein Unterschied, wenn zwischen den beiden Substanzklassen GLP-1-Analoga und DPP-4-Hemmern unterschieden wurde. Auch die Dauer der Therapie zeigte keinen signifikanten Einfluss.
Fazit
Auch wenn sich in dieser Metaanalyse kein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Pankreaskarzinomen zeigte, bleiben Fragen zum langfristigen Risiko der inkretinbasierten Therapie offen. Studien mit einem längeren Beobachtungszeitraum sind daher notwendig. Eine Therapie mit GLP-1-Analoga oder DPP-4-Hemmern solle nicht ungezielt und breit erfolgen, sondern immer nur nach Abwägung der Vorteile und möglichen Risiken, raten S.D. Bolen und N.M. Marithur im begleitenden Editorial zur Studie [1].
Quelle
Azoulay L, et al. Incretin based drugs and the risk of pancreatic cancer: International multicentre cohort study. BMJ 2016; 352:i581.
Literatur
1. Bolen SD, Maruthur NM. The safety of incretin based drug treatments for type 2 diabetes. BMJ 2016; 352:i801.
Arzneimitteltherapie 2016; 34(06)