Angiogenese-Inhibitor

Ramucirumab jetzt in drei Indikationen einsetzbar


Dr. Annette Junker, Wermelskirchen, Prof. Dr. med. Clemens Unger, Freiburg

Am 25. Januar 2016 hat die Europäische Kommission dem monoklonalen Antikörper Ramucirumab die Zulassungserweiterung für zwei Indikationen erteilt. Der Angiogenese-Inhibitor wurde in Kombination mit FOLFIRI (Folinsäure, 5-Fluorouracil, Irinotecan) zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem Kolorektalkarzinom (mCRC) zugelassen, deren Erkrankung während oder nach einer Erstlinientherapie mit Bevacizumab, Oxaliplatin und einem Fluoropyrimidin progredient geworden ist. Außerdem wurde dem Antikörper am gleichen Tag in Kombination mit Docetaxel die Zulassung zur Behandlung von Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasierten nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) in der Zweitlinientherapie nach einer Platintherapie erteilt. Während des 32. Deutschen Krebskongresses im Februar 2016 wurden die entsprechenden Zulassungsstudien vorgestellt und diskutiert.
Mit einem Kommentar von Prof. Dr. med. Clemes Unger, Freiburg

Ramucirumab (Cyramza®) ist ein humaner, monoklonaler Immunglobulin (Ig)G1-Antikörper, der sich spezifisch gegen die extrazelluläre Domäne des VEGF(Vascular Endothelial Growth Factor)-Rezeptors 2 richtet. VEGFs sind Signalmoleküle, die sowohl für die Vaskulogenese in der Embryogenese als auch für die Angiogenese, also die Entstehung neuer Blutgefäße eine wichtige Rolle spielen. Für die Tumorangiogenese sind insbesondere die VEGF-Rezeptoren 1 und 2 relevant; der VEGF-Rezeptor 2 gilt als wichtigster Mediator [3]. Die Versorgung des Tumors kann durch die Hemmung der VEGF-Achse mit antiangiogenen Wirkstoffen wie Ramucirumab unterbunden werden, was eine Rückbildung bewirken kann. Bereits im Dezember 2014 wurde Ramucirumab sowohl in Monotherapie als auch in Kombination mit Paclitaxel für die Zweitlinientherapie bei Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasiertem Adenokarzinom des Magens oder des gastroösophagalen Übergangs zugelassen. Damit bestehen für Ramucirumab in der EU derzeit Zulassungen in drei Indikationen [1].

NSCLC: Zulassungsstudie REVEL

Die Zulassung für das NSCLC erfolgte auf Basis der randomisierten und placebokontrollierten Phase-III-Studie REVEL [2]. Diese hatte bei Patienten mit metastasiertem NSCLC, deren Erkrankung unter einer Platin-Therapie progredient geworden war, die Kombination aus Ramucirumab und Docetaxel verglichen mit Docetaxel plus Placebo. In die Studie wurden sowohl Patienten mit plattenepithelialer als auch solche mit nicht-plattenepithelialer Tumorhistologie eingeschlossen. Unter der Kombinationstherapie wurde für das Gesamtüberleben (OS), dem primären Endpunkt, eine signifikante Verlängerung von median 9,1 auf 10,5 Monate erzielt (Abb. 1). Das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) betrug 4,5 Monate im Verumarm versus 3,0 Monate im Kontrollarm (Hazard-Ratio [HR] 0,76; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,68–0,86; p<0,0001). Unerwünschte Ereignisse kamen in den beiden Behandlungsarmen ähnlich häufig vor (98% vs. 95%). Die häufigsten unerwünschten Ereignisse vom Grad 3/4, die bei 10% der Patienten auftraten, waren Neutropenie (49% vs. 40%), febrile Neutropenie (16% vs. 10%), Leukopenie (14% vs. 12%) und Fatigue (14% vs. 10%).

Längeres Gesamtüberleben für Darmkrebspatienten: RAISE

Die Zulassungserweiterung für mCRC beruht auf den Ergebnissen der multizentrischen, randomisierten, placebokontrollierten, doppelt verblindeten Studie RAISE [4]. In dieser Phase-III-Studie waren mCRC Patienten in der Zweitlinientherapie mit Ramucirumab plus FOLFIRI oder nur mit FOLFIRI behandelt worden. Einschlusskriterien für die Aufnahme in die Studie war das Versagen einer Erstlinientherapie mit Bevacizumab, Oxaliplatin und einem Fluoropyrimidin. Unter der Behandlung mit Ramucirumab plus FOLFIRI erreichten die Studienteilnehmer ein medianes OS (primärer Studienendpunkt) von 13,3 Monaten im Vergleich zu 11,7 Monaten unter Placebo plus FOLFIRI (Abb. 2). Das mediane PFS verlängerte sich ebenfalls signifikant (5,7 vs. 4,5 Monate, HR 0,79; 95%-KI 0,70–0,90; p<0,0005). In allen Subgruppen, inklusive KRAS-Status, zeigte sich für den Verumarm ein konsistenter Benefit. Unerwünschte Ereignisse vom Grad 3, die bei mehr als 5% der Patienten auftraten, waren Neutropenie (38% unter der Kombinationstherapie vs. 23% im Vergleichsarm), Hypertonie (11% vs. 3%), Diarrhö (11% vs. 10%) und Fatigue (12% vs. 8%). Die Rate febrilerer Neutropenie war ähnlich (3% vs. 2%) [4]. Die Lebensqualitätsparameter waren in beiden Armen ähnlich.

Abb. 2. Ramucirumab bei Patienten mit metastasiertem Kolorektalkarzinom, deren Erkrankung während oder nach einer Erstlinientherapie mit Bevacizumab, Oxaliplatin und einem Fluoropyrimidin progredient wurde [nach 4]; KI: Konfidenzintervall

Quelle

Dr. Hartwig Büttner, Lilly Oncology, Bad Homburg; Prof. Dr. Salah-Eddin Al-Batran, Frankfurt; Priv.-Doz. Dr. Niels Reinmuth, Großhansdorf. Pressekonferenz „Im Fokus: Cyramza erhält EU-Zulassungen in der Therapie des NSCLC und mCRC“, veranstaltet von Lilly Oncology anlässlich des 32. Deutschen Krebskongresses, Berlin, 25.02.2016.

Literatur

1. Fachinformation Cyramza®. Januar 2016.

2. Garon EB, et al. Ramucirumab plus docetaxel versus placebo plus docetaxel for second-line treatment of stage IV non-small-cell lung cancer after disease progression on platinum-based therapy (REVEL): a multicentre, double-blind, randomised phase 3 trial. Lancet 2014; 384:665–73.

3. Spratlin J. Ramucirumab (IMC-1121B): monoclonal antibody inhibition of vascular endothelial growth factor receptor-2. Curr Oncol Rep 2011; 13:97–102.

4. Taberno J, et al. Ramucirumab versus placebo in combination with second-line FOLFIRI in patients with metastatic colorectal carcinoma that progressed during or after first-line therapy with bevacizumab, oxaliplatin, and a fluoropyrimidine (RAISE): a randomised, double-blind, multicentre, phase 3 study. Lancet Oncol 2015; 16:499–508.

  • Kommentar

Der monoklonale, humane IgG1-Antikörper Ramucirumab (Cyramza®) ist zugelassen in Kombination mit Paclitaxel zur Behandlung des fortgeschrittenen Adenokarzinoms des Magens oder des gastroösophagealen Übergangs bei Tumorprogress nach vorausgegangener platin-basierter Chemotherapie. Seit Januar 2016 liegen nun zwei Indikationserweiterungen vor: Ramucirumab ist in Kombination mit FOLFIRI indiziert zur Behandlung des metastasierten Kolorektalkarzinoms während oder nach vorausgegangener Oxaliplatin-basierter Therapie. Weiterhin zur Behandlung des fortgeschrittenen NSCLC in Kombination mit Docetaxel bei Tumorprogress nach platinhaltiger Chemotherapie.

Schaut man sich die durch den Einsatz des Antikörpers gewonnene Lebenszeit an, so beträgt diese im Fall des Lungenkarzinoms 1,4 Monate und im Falle des Kolorektalkarzinoms 1,6 Monate. Diese „Overall Survival“-Daten sind statistisch signifikant – aber haben sie auch klinische Relevanz? Der Überlebenszeitgewinn ist zugegebenermaßen marginal. Die in der Fachinformation aufgeführte Liste der Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung von Ramucirumab zeigen, dass der Einsatz des Antikörpers kritisch abgewogen werden sollte. Die Durchführung einer sorgfältigen Nutzen-Risikoabwägung ist dann besonders geboten, wenn der zu erwartende klinische Benefit eher klein, die zu erwartenden Nebenwirkungen aber eher deutlich sind. HW von Heyden hat dies in einem Beitrag zur Therapie des Mammakarzinoms einmal treffend formuliert: „Wie niedrig darf der Nutzen einer bestimmten Therapie sein, um ihren Einsatz ausreichend zu begründen und wer soll nach welchen Richtlinien die Grenzen ziehen?“.

Tab. 1. Studien zu Ramucirumab [nach 1]

REVEL

RAISE

Erkrankung

Metastasiertes oder lokal fortgeschrittenes nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom

Metastasiertes Kolorektalkarzinom

Studientyp/-phase

Intervention/Phase III

Intervention/Phase III

Studiendesign

Randomisiert, doppelblind, multizentrisch

Randomisiert, doppelblind, multizentrisch

Eingeschlossene Patienten

1253

1072

Intervention

  • Ramucirumab 10 mg/kg plus Docetaxel 75 mg/m2 (n=628)
  • Placebo plus Docetaxel 75 mg/m2 (n=625)
  • jeweils als intravenöse Infusion an Tag 1 eines 21-Tage-Zyklus
  • Ramucirumab 8 mg/kg plus FOLFIRI1 (n=536)
  • Placebo plus FOLFIRI1 (n=536)
  • jeweils alle 2 Wochen Wiederholung der Behandlungszyklen

Primärer Endpunkt

Gesamtüberleben

Gesamtüberleben

Sponsor

Eli Lilly

Eli Lilly

Studienregister-Nr. (ClinicalTrials.gov)

NCT01168973

NCT01183780

1 FOLFIRI: Irinotecan 180 mg/m2 über 90 Minuten; Folinsäure 400 mg/m2 zeitgleich über 120 Minuten; gefolgt von einer Bolus-Injektion mit 5-Fluorouracil (5-FU) 400 mg/m2 über 2 bis 4 Minuten; anschließend 5-FU 2400 mg/m2 als kontinuierliche Infusion über 46 bis 48 Stunden

Abb. 1. Ramucirumab bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasierten nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) in der Zweitlinientherapie [nach 2]; KI: Konfidenzintervall

Arzneimitteltherapie 2016; 34(06)