Elisabeth Livingstone und Alexander Roesch, Essen
Klinik und Therapie des metastasierten malignen Melanoms
Das Melanom ist eine Tumorentität, die durch maligne Transformation aus melanozytären Zellen hervorgeht und für ihr notorisches Metastasierungspotenzial bekannt ist. Bei ungefähr 20% aller metastasierten Patienten entstehen zunächst kutane Satelliten- oder In-transit-Metastasen [2]. In nicht seltenen Fällen kann die Latenz bis zur Ausbildung von Fernmetastasen mehrere Monate bis Jahre dauern, die lokoregionären Metastasen allein bedeuten jedoch schon eine hohe Morbidität für den Patienten. Bei fehlendem Hinweis für eine Fernmetastasierung ist die Exzision die Therapie der Wahl (bei Lymphknotenmetastasen entsprechend eine komplettierende Lymphknotendissektion mit ggf. postoperativer Radiatio) [3]. Das Risiko für ein Rezidiv oder einen Tumorprogress ist jedoch sehr hoch und häufig treten die Metastasen so rasch und disseminiert auf, dass eine Operation oder Radiatio keine sinnvolle Maßnahme mehr darstellt. Alternativen für die Behandlung von kutanen und subkutanen Metastasen sind beispielsweise der Off-Label-Einsatz von IL-2 als intratumorale Injektion oder die topische Applikation von Imiquimod, aber auch die Kryotherapie oder die Elektrochemotherapie.
Für die Therapie des nicht resezierbaren und metastasierten malignen Melanoms sind seit 2011 mehrere Therapeutika in Deutschland zugelassen worden. Neben den Checkpoint-Inhibitoren (Ipilimumab, Nivolumab und Pembrolizumab), die in der Monotherapie und in Kürze auch in der Kombination (Ipilimumab+Nivolumab) zur Verfügung stehen, können beim BRAF-V600-mutierten Melanom auch die BRAF-Inhibitoren (Vemurafenib, Dabrafenib) in entsprechend zugelassener Kombination mit einem MEK-Inhibitoren (Cobimetinb, Trametinib) eingesetzt werden. Im Dezember 2015 wurde nun eine weitere Substanz, das Talimogen laherparepvec (auch kurz T-VEC, Imlygic®) von der Europäischen Kommission zugelassen.
Talimogen laherparepvec als neu zugelassene Substanz
T-VEC ist ein modifizierter, onkolytischer Herpes simplex-Virus Typ 1, der sich selektiv in Tumorzellen repliziert, zur Tumorzelllyse führt und gleichzeitig die regionale und systemische Antitumorimmunität verstärkt. Durch Deletion von zwei nicht-essenziellen viralen Genen (ICP34.5 und ICP47) konnte man erreichen, dass die virale Pathogenität attenuiert ist und die tumorselektive Replikation und die Immunogenität erhöht sind. Des Weiteren wurden zwei Kopien des Gens, das für humanes GM-CSF kodiert, in den Virus eingebaut, was zur lokalen GM-CSF-Produktion durch die infizierten Zellen führt. GM-CSF wiederum rekrutiert und aktiviert Antigen-präsentierende Zellen und induziert konsekutiv tumorspezifische T-Zell-Antworten. T-VEC hat damit die Fähigkeit, sowohl zu einer direkten Tumorzelllyse als auch zur Stimulation einer systemischen immunologischen Antitumor-Antwort zu führen, und dadurch lokale als auch systemische Effekte auszulösen.
Die Applikation erfolgt direkt intraläsional in den Tumor. Als injizierbar gelten hierbei kutane, subkutane und Lymphknotenmetastasen, gegebenenfalls auch unter sonographischer Kontrolle. Die Erstgabe erfolgt mit 106 PFU/mL, nach einem dreiwöchigen Abstand wird die Therapie dann alle zwei Wochen mit 108 PFU/mL fortgeführt. Die maximale Gesamtdosis bei einem Applikationszyklus beträgt 4 ml, die Dosis pro Läsion ist vom maximalen Tumordurchmesser abhängig. Injiziert werden sollten zunächst die größten Metastasen, bei allen folgenden Behandlungen zunächst neu aufgetretene Metastasen und danach erst weitere Metastasen entsprechend ihrer Größe. Ähnlich wie bei den Checkpoint-Inhibitoren ist das Auftreten einer Pseudoprogression ein häufiges Phänomen.
Studienlage
Die Zulassung durch die EMA erfolgte basierend auf den Ergebnissen einer randomisierten, offenen Phase-III-Studie (OPTiM trial) [1], in der T-VEC versus subkutan injiziertes GM-CSF bei 436 Melanompatienten im Stadium IIIB/C und IV untersucht wurde. T-VEC führte zu einer signifikanten Verbesserung der anhaltenden Ansprechrate (T-VEC 16,3% vs. 2,1% GM-CSF). Die anhaltende Ansprechrate war hierbei definiert als der Anteil der Patienten mit vollständigem Ansprechen (complete response, CR) oder teilweisem Ansprechen (partial response, PR), das mindestens sechs Monate lang erhalten blieb. In der Subgruppenanalyse der Patienten mit Stadium IIIB/C und IV M1a zeigte sich zudem ein signifikant verbessertes Gesamtüberleben für die mit T-VEC versus GM-CSF behandelten Patienten (Hazard-Ratio des Gesamtüberlebens: 0,57). Im gesamten Patientenkollektiv konnte eine Tumorreduktion der injizierten, nicht-viszeralen Metastasen um die Hälfte bei 34% der mit T-VEC behandelten Patienten und um 100% bei 22% der Patienten gesehen werden. Auch nicht nicht-injizierte, viszerale Metastasen sprachen an, die Rate lag aber deutlich niedriger (15 bzw. 9%).
Anders als in den USA wurde T-VEC in Europa basierend auf den Ergebnissen der Subgruppenanalysen nur für die Stadien IIIB/C und IV M1a ohne Knochen-, Hirn-, Lungen- oder andere viszerale Beteiligung zugelassen. T-VEC ist insgesamt sehr gut verträglich, die häufigsten Nebenwirkungen sind grippale Beschwerden in den ersten Tagen nach der Injektion und Schmerzen im Injektionsbereich. Als einzige schwere Nebenwirkung trat eine Zellulitis (entzündliche bakterielle Gewebeinfiltration der Subkutis) bei mehr als 2% der Patienten auf.
Da es sich bei T-VEC um einen genmodifzierten Virus handelt, wurden im Rahmen der Zulassung Sicherheitsauflagen für die Lagerung, Aufbereitung und Entsorgung gefordert. Obwohl die Zulassung von T-VEC schon im Dezember 2015 erteilt wurde, wird die Markteinführung daher erst für Mitte Juni 2016 erwartet. Zu den Sicherheitsauflagen gehört unter anderem, dass Anwender von T-VEC zuvor eine spezielle Schulung erhalten müssen (jeweils ein Apotheker und ein Arzt pro Zentrum).
Zusammenfassende Beurteilung
Welche Rolle wird T-VEC nun in der Behandlung des malignen Melanoms einnehmen? Aufgrund der einfachen Anwendung und der sehr guten Verträglichkeit ist T-VEC eine gute Option zur lokalen Tumorkontrolle bei nicht-resezierbaren kutanen, subkutanen oder Lymphknotenmetastasen. Auch ein neoadjuvanter Einsatz kann in einzelnen Fällen möglich sein. Insbesondere älteren Patienten oder Patienten mit vielen Komorbiditäten steht mit T-VEC eine einfach durchzuführende und gut tolerable Therapie zur Verfügung. Aufgrund der limitierten Wirksamkeit von T-VEC in den nicht-injizierten Metastasen wird die Zukunft von T-VEC jedoch vor allem in der Kombinationstherapie gesehen. Als optimale Kombinationspartner werden andere Immuntherapeutika wie die Checkpoint-Inhibitoren erachtet. Die Ergebnisse einer Phase-I-Studie (NCT01740297) von Ipilimumab+T-VEC waren vielversprechend, auf die Ergebnisse der Phase-II-Untersuchung wird derzeit gewartet. Eine weitere Studie, die die Kombination von T-VEC mit Pembrolizumab beim metastasierten und nicht-resezierbaren Melanom untersucht, wird zeitnah an einigen Zentren in Deutschland die Rekrutierung eröffnen (NCT02263508). Interessant wird auch die Wirksamkeit von T-VEC bei anderen Tumorentitäten sein. Erste Studien beim Pankreaskarzinom (NCT00402025) und beim Plattenepithelkarzinom im Kopf-/Halsbereich sind abgeschlossen (NCT 01161498), aktuell laufen Untersuchungen beim Mammakarzinom (NCT02658812), Leberzellkarzinom bzw. Tumoren mit hepatischen Metastasen (NCT02509507) und Sarkom (NCT02453191), die teilweise zusätzlich auch die Kombination oder sequenzielle Therapie mit Radiatio und Chemotherapie untersuchen.
Was den Einsatz von T-VEC jedoch erschweren wird, sind die Lagerungs- (–80°C) und Sicherheitsbedingungen, sodass die Therapie wahrscheinlich nur an großen Zentren erfolgen wird. Von Relevanz wird zusätzlich der Preis von T-VEC sein. Da es sich um den ersten zugelassenen onkolytischen Virus seiner Art handelt, ist zu erwarten, dass sich dies auch bei den Kosten niederschlägt. Insgesamt zeigt die Zulassung von T-VEC, dass sich das Therapiearmamentarium beim malignen Melanom stetig erweitert und eine differenzierte und auf den individuellen Patienten zugeschnittene Therapie möglich macht. Um das gesamte Spektrum der Therapiemöglichkeiten ausschöpfen zu können, ist jedoch eine Falldiskussion dieser Patienten in einem interdisziplinären Tumorboard von entscheidender Bedeutung.
Interessenkonflikterklärung
EL hat Honorare für die Beratung oder Teilnahme an einem Expertenbeirat erhalten von: Bristol Myers Squibb GmbH & Co KG, Boehringer-Ingelheim Pharma GmbH & Co KG, Amgen Limited, medac, MSD Sharp & Dohme GmbH; EL hat Honorare für Vorträge, Stellungnahmen oder Artikel erhalten von: Amgen GmbH, Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co KG, Roche GmbH, Bristol-Myers Squibb GmbH & Co KG, MSD Sharp & Dohme GmbH, Merck KGaA; EL hat Reisekostenunterstützung erhalten von: Amgen GmbH, MSD Sharp & Dohme GmbH.
AR hat Honorare für Vorträge, Stellungnahmen oder Artikel erhalten von: MSD Sharp & Dohme GmbH, Roche GmbH; AR hat Reisekostenunterstützung erhalten von: Bristol-Myers Squibb GmbH & Co KG, GlaxoSmithKline GmbH & Co KG, Novartis Pharma GmbH, TEVA GmbH
Literatur
1. Kaufman HL, Bines SD (2010) OPTIM trial: a Phase III trial of an oncolytic herpes virus encoding GM-CSF for unresectable stage III or IV melanoma. Future Oncol 2010;6:941–9.
2. Meier F, Will S, Ellwanger U, Schlagenhauff B, et al. Metastatic pathways and time courses in the orderly progression of cutaneous melanoma. Br J Dermatol 2002;147:62–70.
3. Pflugfelder A, Kochs C, Blum A, Capellaro M, et al. Malignant Melanoma S3-Guideline „Diagnosis, Therapy and Follow-up of Melanoma“. J Dtsch Dermatol Ges 2013;11 Suppl 6:1–116.
Dr. med. Elisabeth Livingstone, Prof. Dr. med. Alexander Roesch , Hauttumorzentrum am Westdeutschen Tumorzentrum (WTZ), Klinik für Dermatologie, Venerologie & Allergologie, Universitätsklinikum Essen, Hufelandstraße 55, 45122 Essen
Arzneimitteltherapie 2016; 34(07)