Britta Novak, Nordhorn
Eine Frühgeburt, definiert als eine Geburt vor der 37. + 0. Schwangerschaftswoche (SSW), kann erhebliche Auswirkungen auf das Kind und die gesamte Familie haben. Sie trägt mit 50% zur neonatalen Morbidität und mit 50 bis 75% zur perinatalen Mortalität bei. In den Industriestaaten mit hohem Einkommen liegt die Inzidenz der Frühgeburt bei 5 bis 13%, weltweit werden jährlich etwa 15 Millionen Kinder zu früh geboren.
Die Ursachenbekämpfung der drohenden Frühgeburt ist problematisch, da es sich um ein multifaktorielles Geschehen handelt. Um das neonatale Outcome zu verbessern, wird vor der 34. + 0. SSW versucht, die Schwangerschaft um mindestens 48 Stunden zu verlängern, damit eine Lungenreifeinduktion durchgeführt werden kann. Zur Tokolyse können fünf verschiedene Wirkstoffgruppen verwendet werden. Davon haben Beta-Sympathomimetika und Prostaglandinsynthesehemmer an Bedeutung verloren, da sie ein ungünstiges Nebenwirkungsprofil haben. Magnesiumsulfat wirkt zwar neuroprotektiv, die tokolytische Wirksamkeit wird aber angezweifelt. Die Behandlung mit einem Calciumkanalblocker wird off Label durchgeführt, da die Wirkstoffgruppe trotz nachgewiesener Wirksamkeit nicht zur Behandlung von vorzeitiger Wehentätigkeit zugelassen ist. Oxytocinantagonisten sind in der EU zugelassen und werden aufgrund geringer Nebenwirkungen eingesetzt. In Deutschland wird die Leitlinie zur drohenden Frühgeburt derzeit überarbeitet.
Die APOSTEL-III-Studie vergleicht die Wirksamkeit des Oxytocininhibitors Atosiban mit der des Calciumantagonisten Nifedipin, da diese beiden Wirkstoffe die beste Effizienz im Verhältnis zu Nebenwirkungen besitzen sollen. In drei kleineren Studien, die ebenfalls Atosiban und Nifedipin verglichen haben, zeigten sich widersprüchliche Ergebnisse.
Studiendesign
In die APOSTEL-III-Studie (Tab. 1) wurden 503 volljährige Patientinnen mit einer Einlings- oder Mehrlingsschwangerschaft eingeschlossen, die in der 25. bis 34. SSW Zeichen einer drohenden Frühgeburt zeigten. Hierzu gehörten eine verkürzte Zervixlänge von ≤10 mm, die Kombination aus einer verkürzten Zervixlänge <30 mm und einem positiven Fibronektin-Test sowie ein vorzeitiger Blasensprung. Zu den Ausschlusskriterien gehörten unter anderem Anzeichen von fetalem Stress oder Zeichen fetaler Pathologien. Die primären Endpunkte setzen sich aus verschiedenen Komplikationen zusammen, die zu einem schlechten neonatalen Outcome führen. Hierzu zählen die bronchopulmonale Dysplasie, die periventrikuläre Leukomalazie >Grad 1, intrazerebrale Blutungen >Grad 2, nekrotisierende Enterokolitis >Stufe 1, klinisch nachgewiesene Sepsis und Todesfälle im Krankenhaus.
Tab. 1. Studiendesign von APOSTEL III (Assessment of perinatal outcome after specific tocolysis in early labour) [nach 1]
Erkrankung |
Drohende Frühgeburt |
Studienziel |
Vergleich der Wirksamkeit einer Tokolyse mit Nifedipin oder Atosiban |
Studientyp |
Interventionsstudie, Phase III |
Studiendesign |
Multizentrisch, randomisiert |
Eingeschlossene Patienten |
Volljährige Schwangere mit drohender Frühgeburt in der 25. bis 34. SSW (n=503 Frauen) |
Intervention |
|
Primärer Endpunkt |
Zusammengesetzt aus verschiedenen Markern für neonatale Morbidität |
Sekundäre Endpunkte |
Zeit bis zur Geburt, Gestationsalter bei Geburt, Anzahl der Tage mit Beatmungshilfe und auf der neonatalen Intensivstation, Überlebenszeit des Kindes außerhalb des Krankenhauses (gezählt ab einem Gestationsalter von 37 Wochen), mütterliche Nebenwirkungen |
Sponsor |
ZonMw (the Netherlands Organisation for Health Research and Development) |
Studienregisternummer |
NTR2947 (Dutch Clinical Trial Registry) |
Studienergebnisse
Von 297 Kindern in der Nifedipin-Gruppe erfüllten 42 (14%) die Kriterien des primären Endpunkts, in der Atosiban-Gruppe waren es 45 (15%) von insgesamt 294 Kindern (relatives Risiko [RR] 0,91; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,61–1,37). Hierbei kamen die einzelnen Komplikationen etwa gleich oft in den beiden Gruppen vor. Lediglich bei der bronchopulmonalen Dysplasie und der Todesrate zeigten sich geringe Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. In der Nifedipin-Gruppe waren 11 Kinder von einer bronchopulmonalen Dysplasie betroffen, in der Atosiban-Gruppe dagegen 21 Kinder (RR 0,55; 95%-KI 0,27–1,15). 16 Kinder starben in der Nifedipin-Gruppe, sieben Kinder in der Atosiban-Gruppe (RR 2,2; 95%-KI 0,91–5,33). Eine unabhängige Expertengruppe konnte keinen direkten Zusammenhang zwischen der Studienmedikation und den Todesfällen feststellen.
155 Kinder aus der Nifedipin-Gruppe mussten auf der neonatalen Intensivstation versorgt werden, im Vergleich dazu waren es in der Atosiban-Gruppe 182 Kinder (RR 0,85; 95%-KI 0,73–0,99). In der Nifedipin-Gruppe wurden 42 Kinder beatmet, in der Atosiban-Gruppe 53 Kinder (RR 0,76; 95%-KI 0,51–1,12). Im perinatalen Outcome gab es keinen signifikanten Unterschied bei vorhandenem oder fehlendem vorzeitigen Blasensprung zwischen beiden Gruppen (RR 0,9; 95%-KI 0,56–1,43).
Bei der Mutter gab es hinsichtlich Nebenwirkungen und Komplikationen in beiden Gruppen ebenfalls nur geringe Unterschiede.
Diskussion
In der APOSTEL-III-Studie konnte gezeigt werden, dass eine 48-stündige Tokolyse mit Nifedipin oder Atosiban ähnliche Resultate liefert. Ein wenig unerwartet fiel allerdings eine nicht signifikant erhöhte Mortalitätsrate in der Nifedipin-Gruppe auf. Hier sind weitere Untersuchungen erforderlich. Nahezu alle neonatalen und maternalen Komplikationsraten der sekundären Endpunkte waren in beiden Gruppen ähnlich, lediglich die Versorgungsrate auf der neonatalen Intensivstation war in der Atosiban-Gruppe höher.
Die Studienautoren legten besonderen Wert auf die richtige Zielsetzung der Tokolyse. Sie soll zu einem verbesserten neonatalen Outcome führen und nicht zu einer möglichst langen Geburtsverzögerung.
Die fehlende Möglichkeit zur Maskierung der Arzneimittel aufgrund unterschiedlicher Verabreichungsformen wird von den Autoren als problematisch bewertet. Dies gilt ebenfalls für die Zusammenfassung der verschiedenen Komplikationen als primärer Endpunkt. Hier werden unterschiedliche Komplikationen auf eine Stufe gestellt, die verschieden schwerwiegend sind.
Weitere Studien erforderlich
Um zukünftig genauere Ergebnisse bezüglich des perinatalen Outcomes zu erhalten, fordern die Autoren der APOSTEL-III-Studie weitere größere Placebo-kontrollierte Studien. Diese Ansicht teilen auch Kate Walker und Jim Thornton in ihrem Kommentar zur APOSTEL-III-Studie [2]. Sie weisen darauf hin, dass der Vergleich von Nifedipin mit Atosiban auch durch Zulassungsbeschränkungen und Kostenunterschiede geprägt ist. Atosiban ist in der EU als Tokolytikum zugelassen und kostet etwa 70 Pfund für eine 48-stündige Behandlung. Im Vergleich dazu kostet Nifedipin für die gleiche Behandlungszeit etwa 1,30 Pfund und ist in den USA, wo Atosiban keine Zulassung besitzt, sowie in ärmeren Ländern das Mittel der Wahl.
Laut Walker und Thornton ist bislang noch in keiner Studie signifikant belegt worden, dass Tokolytika generell komplikative Verläufe günstig beeinflussen würden. Es fehlen groß angelegte Studien, die im Outcome zwischen perinatalen Todesfällen und klinisch relevanter Morbidität unterscheiden. Weltweit bleibt die Frühgeburtlichkeit ein großes Problem und große Placebo-kontrollierte Studien zu diesem Thema sind längst überfällig.
Quellen
1. Van Vliet EOG, et al. Nifedipine versus atosiban for threatened preterm birth (APOSTEL III): a multicentre, randomised controlled trial. The Lancet, published online March 1, 2016; http://dx.doi.org/10.1016/S0140–6736(16)00548–1.
2. Walker KF, Thornton JG. Tocolysis and preterm labour. The Lancet, published online March 1, 2016; http://dx.doi.org/10.1016/S0140–6736(16)00590–0.
Arzneimitteltherapie 2016; 34(09)