Dr. Matthias Desch, Wien
Kardiovaskuläre Erkrankungen führen weltweit zu rund 18 Millionen Todesfällen pro Jahr und ebenso vielen nichttödlichen kardiovaskulären Ereignissen. Erhöhte LDL-Cholesterolwerte und erhöhter Blutdruck spielen als Risikofaktoren dabei eine große Rolle, indem sie zusammen rund zwei Drittel des populationsbezogenen Gesamtrisikos ausmachen. In diversen Studien konnte eindeutig der Nutzen einer Blutdrucksenkung bei Patienten mit Diabetes mellitus, Hypertonie mit Endorganschäden oder mit vaskulären oder renalen Erkrankungen nachgewiesen werden. Aber auch Personen ohne diese Risiken mit einem systolischen Blutdruck ≥160 mmHg profitieren von einer Blutdrucksenkung. Ähnlich sind die Daten zur Senkung von LDL-Cholesterol bei Patienten mit Diabetes mellitus, Hypercholesterolämie, Hypertonie, vaskulären Erkrankungen oder erhöhten Entzündungsmarkern. Heute ist die kombinierte Therapie zur Blutdruck- und Cholesterolsenkung bei Hochrisikopatienten allgegenwärtig und zeigt synergistische Effekte in der Risikoreduktion. Es ist bislang unklar, inwieweit eine Primärprävention bei Menschen mit mittlerem kardiovaskulärem Risiko und ohne kardiovaskuläre Vorerkrankung sinnvoll ist. Die Antwort auf diese Frage sollte die HOPE-3(Heart outcomes prevention evaluation)-Studie liefern, die in drei Teilen im New England Journal of Medicine veröffentlich wurde.
Studiendesign
Bei HOPE-3 (Tab. 1) handelt es sich um eine multizentrische, internationale, randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Langzeitstudie in einem 2×2-faktoriellen Design (Prüfung zweier unabhängiger Faktoren jeweils einzeln und die Kombination daraus). Eingeschlossen wurden 14682 Männer ≥55 Jahre und Frauen ≥65 Jahre ohne kardiovaskuläre Vorerkrankung und mit mindestens einem Risikofaktor (erhöhtes Taille/Hüft-Verhältnis, niedriges HDL, Nicotin-Abusus, Dysglykämie, frühzeitige familiäre Koronarerkrankungen in der Anamnese oder leichte Nierenfunktionseinschränkung). Frauen zwischen 60 und 64 Jahren mit mindestens zwei Risikofaktoren wurden ebenfalls eingeschlossen. Während einer vierwöchigen Run-in-Phase erhielten alle Teilnehmer 10 mg Rosuvastatin und eine Fixkombination aus 16 mg Candesartan und 12,5 mg Hydrochlorothiazid (HCT). 12705 Teilnehmer (86,5%) durchliefen die Run-in-Phase erfolgreich und wurden danach jeweils auf Verum oder Placebo randomisiert. Aufgrund des Studiendesigns entstanden vier unterschiedliche Arme:
- Candesartan/HCT 16 mg/12,5 mg + Rosuvastatin 10 mg (n=3180)
- Candesartan/HCT 16 mg/12,5 mg + Placebo (n=3176)
- Placebo + Rosuvastatin 10 mg (n=3181)
- Placebo + Placebo (n=3168)
Tab. 1. HOPE-3-Studie [www.clinicaltrials.gov]
Erkrankung |
Primärprophylaxe von kardiovaskulären Ereignissen bei Menschen mit intermediärem Risiko |
Studientyp |
Interventionsstudie |
Studiendesign |
Randomisiert, Placebo-kontrolliert, doppelblind, multizentrisch, international |
Studienphase |
Phase IV |
Studienteilnehmer |
12705 |
Intervention |
2×2-faktorielles Design Rosuvastatin 10 mg; Candesartan/Hydrochlorothiazid 16 mg/12,5 mg; Placebo |
Koprimärer Endpunkt |
1. Tod durch kardiovaskuläres Ereignis, nichttödlicher Myokardinfarkt/Schlaganfall 2. Revaskularisierung, Herzinsuffizienz, Reanimation nach Herzstillstand |
Sekundäre Endpunkte |
Gesamtmortalität, kardiovaskuläre Mortalität, Angina pectoris, Diabetes, andere |
Sponsor/Mitarbeit |
Canadian Institutes of Health Research Astra Zeneca (nicht an der Auswertung beteiligt) |
Studienregisternummer |
NCT00468923 (ClinicalTrials.gov) |
Zusätzlich erhielten alle Teilnehmer eine individuelle Beratung über eine gesunde Lebensweise.
Das mediane Follow-up betrug 5,6 Jahre. Der erste koprimäre Endpunkt bestand aus Tod durch ein kardiovaskuläres Ereignis, nichttödlichem Myokardinfarkt oder Schlaganfall, der zweite koprimäre Endpunkt beinhaltete zusätzlich Revaskularisierung, Herzinsuffizienz und Reanimation nach Herzstillstand.
Studienergebnisse
Sowohl unter der Kombinationstherapie mit Candesartan/HCT und Rosuvastatin als auch unter der Statin-Monotherapie war der Eintritt der koprimären Endpunkte relativ zu Placebo signifikant reduziert (erster koprimärer Endpunkt: –29% beziehungsweise –24%; zweiter koprimärer Endpunkt: –28% bzw. –25%; Tab. 2). Unter einer alleinigen blutdrucksenkenden Therapie konnte das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse jedoch nicht signifikant reduziert werden. Lediglich Patienten im oberen Drittel mit einem systolischen Ausgangswert von ≥143,5 mmHg (im Mittel 154,1±8,9 mmHg) profitierten von einer Blutdrucksenkung.
Tab. 2. Studienergebnisse
Rosuvastatin 10 mg |
Candesartan/HCT 16 mg/12,5 mg |
Rosuvastatin 10 mg + Candesartan/HCT 16 mg/12,5 mg |
|
1. Koprimärer Endpunkt |
Verum: 3,7% (235 von 6361) Placebo: 4,8% (304 von 6344) HR 0,76 (95%-KI 0,64–0,91) p=0,002 |
Verum: 4,1% (260 von 6356) Placebo: 4,4% (279 von 6349) HR 0,93 (95%-KI 0,79–1,10) p=0,40 |
Verum: 3,6% (113 von 3180) Placebo: 5,0% (157 von 3168) HR 0,71 (95%-KI 0,56–0,90) p=0,005 |
2. Koprimärer Endpunkt |
Verum: 4,4% (277 von 6361) Placebo: 5,7% (363 von 6344) HR 0,75 (95%-KI 0,64–0,88) p<0,001 |
Verum: 4,9% (312 von 6356) Placebo: 5,2% (328 von 6349) HR 0,95 (95%-KI 0,81–1,11) p=0,51 |
Verum: 4,3% (136 von 3180) Placebo: 5,9% (187 von 3168) HR 0,72 (95%-KI 0,57–0,89) p=0,003 |
HCT: Hydrochlorothiazid; HR: Hazard-Ratio; KI: Konfidenzintervall
Die Therapien wurden allgemein gut vertragen. Unter Rosuvastatin traten erwartungsgemäß geringfügig mehr Muskelschmerzen auf als unter Placebo (5,8% vs. 4,7%; p=0,005). Katarakt-Operationen waren unter dem Statin ebenfalls signifikant häufiger als unter Scheinmedikation (3,8% vs. 3,1%; p=0,02). Unter Candesartan/HCT traten Hypotension, Schwindel und Benommenheit häufiger auf als unter Placebo (3,4% vs. 2,0%; p<0,001). Ähnliche Raten an unerwünschten Wirkungen traten in der Kombinationstherapie auf.
Diskussion
Die HOPE-3-Studie zeigt, welchen Stellenwert eine medikamentöse Primärprävention bei Menschen mit intermediärem kardiovaskulärem Risiko hat. Die Wirkung von Statinen (Rosuvastatin) ist belegt, jedoch liegt die NNT (Number needed to treat) beim ersten koprimären Endpunkt bei 91. In Relation zur Dauer der Studie müssten also pro Jahr 510 Menschen mit mittlerem Risiko behandelt werden, um ein kardiovaskuläres Ereignis zu verhindern. Ein protektiver Effekt einer Blutdrucksenkung ist in dieser Population nicht zu erkennen, lediglich Teilnehmer mit einem Ausgangswert von ≥143,5 mmHg können von einer antihypertensiven Therapie profitieren. Der Unterschied zu den blutdrucksenkenden Ergebnissen der ACCORD-Studie bzw. der kürzlich veröffentlichten SPRINT-Studie ist wohl damit zu erklären, dass in diese Typ-2-Diabetiker beziehungsweise Patienten mit höherem Ausgangsrisiko eingeschlossen waren. Im Gegensatz dazu war die HOPE-3 auch keine Treat-to-target-Studie. Der fehlende Effekt der Blutdrucksenkung könnte auch der relativ niedrigen Dosis der antihypertensiven Kombination geschuldet sein. Eine stärkere Blutdrucksenkung hätte man sich aber wahrscheinlich mit einer erhöhten Rate an unerwünschten Wirkungen erkauft.
Das Prinzip der „Polypille für alle“ ist damit nur teilweise belegt. Einer individuellen Therapie (insbesondere bei der Blutdruckeinstellung), auch unter Berücksichtigung von nicht pharmakologischen Maßnahmen, sollte in der Prävention bei niedrigem Risiko der Vorzug gegeben werden.
Quellen
Yusuf S, et al. Blood-pressure and cholesterol lowering in persons without cardiovascular disease. N Engl J Med 2016;374:2032–43.
Yusuf S, l. Cholesterol lowering in intermediate-risk persons without cardiovascular disease. N Engl J Med 2016;374:2021–31.
Lonn EM, et al. Blood-pressure lowering in intermediate-risk persons without cardiovascular disease. N Engl J Med 2016;374:2009–20.
Arzneimitteltherapie 2016; 34(09)