Dr. Marianne Schoppmeyer, Nordhorn
In Nordamerika sterben etwa 300000 Menschen pro Jahr an einem Herzstillstand, der außerhalb des Krankenhauses stattfindet. Oft handelt es sich hierbei um Kammerflimmern oder pulslose ventrikuläre Tachykardien, die trotz Defibrillation persistieren oder nach Schockabgabe wiederkehren. Hier hat sich die Gabe von Amiodaron gegenüber Lidocain oder Placebo bewährt. Die Wiederherstellung des Spontankreislaufes wurde bei Patienten nach Gabe von Amiodaron schneller erreicht, sodass diese Patienten eine bessere Chance hatten, das Krankenhaus lebend zu erreichen [1, 2]. Der Effekt auf die Überlebensrate bei Entlassung aus dem Krankenhaus und auf den neurologischen Status bei Entlassung wurde von Mai 2012 bis Oktober 2015 in einer Studie aus Nordamerika untersucht.
Studiendesign
Für diese Studie wurden Daten von 55 Rettungswachen an zehn verschiedenen Standorten in Nordamerika gesammelt, die am Resuscitation Outcomes Consortium (ROC) teilnehmen. Zu den eingeschlossenen 3026 Studienteilnehmern zählten Erwachsene über 18 Jahre, die einen nichttraumatischen Herzstillstand außerhalb des Krankenhauses erlitten hatten, ausgelöst durch Kammerflimmern oder pulslose ventrikuläre Tachykardie (Tab. 1). Das Vorhandensein eines intraossären oder intravenösen Zugangs für die Gabe der Antiarrhythmika wurde als Einschlusskriterium vorausgesetzt. Die Studienmedikamente Lidocain, Amiodaron und Kochsalzlösung wurden in identisch aussehende Päckchen mit jeweils drei identischen Spritzen verpackt. In jeder Spritze befanden sich 3 ml einer farblosen Flüssigkeit, die entweder 150 mg Amiodaron, 60 mg Lidocain oder eine reine Kochsalzlösung enthielten. Durch einen Zahlencode ließ sich das Medikament später identifizieren. Diese Päckchen wurden im Verhältnis 1:1:1 auf die teilnehmenden Rettungsdienste verteilt. Nach einem oder mehreren frustranen Defibrillationsversuchen bei Patienten mit Kammerflimmern oder pulsloser ventrikulärer Tachykardie und nach Gabe eines Vasopressors kamen die beschriebenen Päckchen zum Einsatz. 974 Patienten der Studie erhielten Amiodaron, 993 Studienteilnehmer erhielten Lidocain und 1059 Patienten erhielten die Kochsalzlösung als Placebo. Abhängig vom geschätzten Patientengewicht wurden ein oder zwei Spritzen verabreicht.
Tab. 1. Studiendesign [Kudenchuk et al. 2016]
Erkrankung |
Herzstillstand bei VF oder pVT |
Studienziel |
Nachweis eines Überlebensvorteils bei Gabe von Amiodaron oder Lidocain bei Patienten mit präklinischem Herzstillstand |
Studientyp/ |
Interventionsstudie/Phase III |
Studiendesign |
Randomisiert, doppelblind, Placebo-kontrolliert |
Eingeschlossene Patienten |
Aufnahmekriterien (n=3026):
|
Intervention |
|
Primärer Endpunkt |
Überleben bis zur Entlassung |
Sekundärer Endpunkt |
Entlassung mit gutem neurologischen Status, mit einem modifizierten Rankin Score ≤3 |
Sponsor |
Universität von Washington |
Studienregisternummer |
NCT01401647 |
i.o: intraossär; i.v. intravenös; pVT: pulslose ventrikuläre Tachykardie; VF: Kammerflimmern
Bei Versagen der initialen Dosis des Studienmedikaments und nach weiteren Defibrillationsversuchen konnte eine erneute Dosis (2. bzw. 3. Spritze) des Medikaments verabreicht werden. Beim Erreichen der Klinik waren hiermit die für die Studie relevanten Interventionen abgeschlossen. Die Versorgung im Krankenhaus wurde zwar erfasst, die klinische Behandlung erfolgte jedoch nicht standardisiert, alle drei Patientengruppen durften ab Einlieferung sowohl mit Amiodaron als auch mit Lidocain behandelt werden.
Der primäre Endpunkt der Studie war das Überleben bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus. Als zweiten Endpunkt wählte man einen guten neurologischen Status bei Entlassung, mit einem Score von 0–3 auf der modifizierten Rankin-Skala, entsprechend dem Erhalt einer Selbstständigkeit im Alltag mit allenfalls geringer Unterstützung.
Keine signifikanten Unterschiede in den drei Behandlungsgruppen
Die allgemeinen Reanimationsbedingungen waren in allen drei Gruppen ähnlich. Nach 19,3±7,4 Minuten und nach durchschnittlich drei Defibrillationen erhielten die Patienten die erste Dosis des Studienmedikaments. 24,4% der Patienten, die Amiodaron erhalten hatten, überlebten bis zur Krankenhausentlassung. In der Lidocain-Gruppe waren es 23,7% der Patienten, in der Placebo-Gruppe 21% (Tab. 2). Der Unterschied in der Überlebensrate zwischen Amiodaron und Placebo lässt sich mit 3,2% ausdrücken (Tab. 2). Im Vergleich von Lidocain vs. Placebo erhielt man einen Unterschied von 2,6 Prozentpunkten, der Unterschied in der Überlebensrate bei Amiodaron vs. Lidocain betrug 0,7 Prozentpunkte. Es zeigten sich keine signifikanten Vorteile bezüglich des primären Endpunktes in einer der drei Behandlungsgruppen.
Tab. 2. Ergebnisse in der Per-Protokoll-Population [Kudenchuk et al. 2016]
Endpunkt |
Amiodaron |
Lidocain |
Placebo |
Amiodaron vs. Placebo |
Lidocain |
Amiodaron vs. Lidocain |
[n/N (%)] |
[PP Unterschied (95%-KI); p-Wert] |
|||||
Primärer Endpunkt: Überleben bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus |
237/970 (24,4) |
233/985 (23,7) |
222/1056 (21,0) |
3,2 |
2,6 |
0,7 |
Sekundärer Endpunkt: Neurologischer Status, mod. Rankin-Score ≤3 |
182/967 (18,8) |
172/984 (17,5) |
175/1055 (16,6) |
2,2 |
0,9 |
1,3 |
KI: Konfidenzintervall; n: Anzahl; N: Gesamtanzahl; PP: Prozentpunkte
Neurologischer Status ähnlich
Die Überlebensrate mit einem guten neurologischen Status (sekundärer Endpunkt) betrug in der Amiodaron-Gruppe 18,8%, in der Lidocain-Gruppe 17,5% und in der Placebo-Gruppe 16,6% (Tab. 2). Es konnten somit auch für das Erreichen des sekundären Endpunktes keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden.
Bei einer Subgruppe der Patienten, bei denen der plötzliche Herztod von Augenzeugen beobachtet wurde und somit möglicherweise früher eine kardiopulmonale Reanimation mit kürzerer Ischämiezeit eingeleitet wurde, zeigten die Antiarrhytmika allerdings signifikante Vorteile (p=0,05): Die Überlebensrate bei Gabe von Amiodaron (27,7%) oder von Lidocain (27,8%) lag gegenüber Placebo (22,7%) höher.
Diskussion
In der Studie zeigte sich zwar kein Vorteil in der Überlebensrate bei Entlassung aus dem Krankenhaus für die Antiarrhythmika, jedoch konnte sowohl ein positiver Effekt auf die Anzahl der notwendigen Defibrillationen nach Gabe des Medikaments als auch auf die Überlebensrate bis zur Einlieferung ins Krankenhaus nachgewiesen werden. Die Autoren der Studie vermuten, dass eine größere Anzahl an Studienteilnehmern erforderlich gewesen wäre, um signifikante Vorteile der Antiarrhythmika für die Überlebensrate bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus nachweisen zu können.
Quelle
Kudenchuk PJ, et al. Amiodarone, lidocaine, or placebo in out-of-hospital cardiac arrest. N Engl J Med 2016;374:1711–22.
Literatur
1. Dorian P, et al. Amiodarone as compared with lidocaine for shock-resistant ventricular fibrillation. N Engl J Med 2002;346:884–90.
2. Kudenchuk PJ, et al. Amiodarone for resuscitation after out-of-hospital cardiac arrest due to ventricular fibrillation. N Engl J Med 1999;341:871–8.
Arzneimitteltherapie 2016; 34(09)