Dr. Annette Junker, Wermelskirchen
Heutzutage ist weitestgehend anerkannt, dass es nachteilig für Patienten und Angehörige ist, unheilbar erkrankte Krebspatienten am Ende ihres Lebens noch intensiven medizinischen Behandlungen wie Chemotherapie, Radiotherapie oder invasiven Prozeduren zu unterziehen. Im Jahr 2012 veröffentlichte die ASCO diesbezüglich eine Choosing Wisely Recommendation. Darin wird von Krebstherapien für Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren und einem geringen Performance-Status, für die es unwahrscheinlich ist, dass sie davon noch profitieren, abgeraten. Stattdessen empfiehlt sie für diese Patienten Symptom-lindernde Maßnahmen der Palliativversorgung. Da aber nicht bekannt war, inwieweit sich die klinische Praxis an diese Empfehlungen hält und auch inwieweit jüngere Patienten an ihrem Lebensende noch aggressiv behandelt werden, wurde die jetzt publizierte Datenanalyse durchgeführt.
Die Studie
Die Forscher benutzten für ihre Analyse verschiedene Datenbanken des Gesundheitssystems, die insgesamt rund 60 Millionen Individuen in 14 US-Staaten umfassten. Patienten ≤65 Jahre, die zwischen 2007 und 2014 gestorben waren und mit der Diagnose metastasierter Lungen-, Kolorektal-, Brust-, Pankreas- oder Prostatakrebs erfasst waren, wurden für die Studie näher untersucht. 28731 Patienten wurden analysiert. Als „aggressive Therapien“ wurden invasive Prozeduren wie Biopsien, Krebstherapien wie Chemo- oder Radiotherapien, Einweisung ins Krankenhaus, auf eine Intensivstation, oder Tod im Krankenhaus bewertet. Es zeigte sich, dass 71 bis 76% der Patienten mit einer der oben genannten Krebsentitäten noch innerhalb der letzten 30 Lebenstage aggressiv therapiert wurden (Tab. 1), inklusive 30 bis 35%, die im Krankenhaus und nicht zu Hause starben. Nur von 14 bis 18% der Patienten wurden Hospizdienste genutzt.
Tab. 1. Maßnahmen aggressiven medizinischen Vorgehens zum Lebensende [nach 1]
Lungenkrebs |
Kolorektaler Krebs |
Brustkrebs |
Pankreaskrebs |
Prostatakrebs |
|
Aggressive Therapie gesamt |
76 |
71 |
74 |
74 |
72 |
Chemotherapie |
28 |
26 |
32 |
29 |
24 |
Radiotherapie |
21 |
9 |
16 |
6 |
13 |
Invasive Prozeduren |
29 |
26 |
27 |
31 |
26 |
Krankenhauseinweisung |
65 |
61 |
63 |
65 |
62 |
Aufnahme auf Intensivstation |
20 |
16 |
17 |
16 |
18 |
Tod im Krankenhaus |
35 |
30 |
33 |
30 |
31 |
Fazit
Die Raten an „aggressiver Behandlung“, die vor den ASCO-Empfehlungen 2012 zum Lebensende hin angewendet wurden, hätten sich, so die Autoren, leider in den ersten drei Jahren nach Erstellung dieser Empfehlungen nicht verändert. Offensichtlich suchen auch die Patienten zum Ende ihres Lebens noch nach aggressiver medizinischer Hilfe gegen ihre Erkrankung, anstatt die Symptom-lindernden Maßnahmen und Hospizdienste anzunehmen, die oft auch zu Hause gegeben werden können. Demnach, so das Fazit der Autoren, reichten die Leitlinien also hier nicht aus, um Änderungen für die Praxis hervorzurufen. Bessere Wege müssten gefunden werden, sowohl Ärzte als auch Patienten über palliative Versorgung und Hospize aufzuklären und zu schulen. Außerdem sollten diese Arten der Fürsorge für alle besser zugänglich gemacht werden.
Literatur
1. Chen RC, et al. Aggressive care at the end-of-life for younger patients with cancer: Impact of ASCO‘s choosing wisely campaign. J Clin Oncol 2016,34(Suppl):abstr. LBA10033.
Arzneimitteltherapie 2016; 34(10)