Hans-Günter Weeß, Klingenmünster
Bei der Narkolepsie handelt es sich um eine seltene, für den Patienten aber sehr häufig folgenschwere Schlafstörung. Die Patienten leiden als Hauptsymptom an exzessiver Tagesschläfrigkeit mit Einschlafdrang, das starke psychosoziale Beeinträchtigungen zur Folge hat. Kataplexien, affektiv ausgelöste Atonien der Skelettmuskulatur, können darüber hinaus die Alltagsfunktionen stark beeinträchtigen. Ein gestörter Nachtschlaf mit reduzierter Erholungsfunktion trägt zu Leistungseinschränkungen der Patienten weiter bei. Hypnagoge (Übergang Wach-/Schlafzustand) oder hypnopompe (Übergang Schlaf-/Wachzustand) Halluzinationen und Schlaflähmungen sind ebenso mögliche Symptome der Narkolepsie. In der Folge ist das psychosoziale Leistungsniveau, die Arbeitsfähigkeit und die Fahrtüchtigkeit der Patienten häufig eingeschränkt bis nicht mehr gegeben [11].
Die Erkrankung tritt meist in der zweiten Lebensdekade – um die Pubertät – auf. Ein zweiter, kleinerer, Häufigkeitsgipfel findet sich in der vierten Lebensdekade. 20% der Erstmanifestationen werden schon im Kindesalter beobachtet [7]. Die Tagesschläfrigkeit als Hauptbeschwerde der Narkolepsie stellt ein unspezifisches Symptom dar. Aus diesem Grund wird unter anderem die Erkrankung oft sehr spät erkannt. Kataplexien stehen je nach Ausprägung nicht immer im Vordergrund oder treten mit einer größeren Latenz zur Erstmanifestation der Tagesschläfrigkeit auf. Aufgrund der unspezifischen Symptome zwischen dem Auftreten der ersten Symptome und der Diagnose können in Deutschland bis zu acht Jahre vergehen [9, 10].
Die Prävalenz der Narkolepsie liegt bei 26 bis 50 Betroffenen pro 100000 Einwohner [11, 9]. Die Narkolepsie gilt als unterdiagnostizierte Erkrankung, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass es sich um eine seltene Erkrankung handelt, sondern auch weil dem Symptom Schläfrigkeit in der Medizin gegenwärtig wenig Bedeutung zugeschrieben wird [1, 11].
Die Genese der Narkolepsie ist noch weitgehend ungeklärt. Ein niedriger Liquorspiegel des Neuropeptids Hypocretin-1 (<110 pg/ml) konnte bei der Narkolepsie mit Kataplexie im Vergleich zu Gesunden beobachtet werden. Hypocretin spielt neben anderen Neurotransmittern eine wichtige Rolle in der Schlaf-Wach-Regulation, insbesondere bei der Stabilisierung des Wachheitsniveaus [10]. Eine genetische Komponente der Narkolepsie ist gesichert. 98% der kaukasischen Narkolepsiepatienten mit Kataplexie haben den Haplotyp HLA-DRB1*1501-DQB1*0602. Angehörige ersten Grades von Narkoleptikern mit Kataplexie weisen ein 10- bis 40-fach höheres Erkrankungsrisiko auf. Darüber hinaus werden gegenwärtig auch Autoimmunerkrankungen als mögliche Ursachen diskutiert [1, 10].
In der Diagnostik spielen die Anamnese und die Untersuchung der Schlafstruktur im Schlaflabor eine zentrale Rolle [1]. Narkolepsiepatienten weisen einen erhöhten REM-Druck auf, welcher sich in einer Verkürzung der REM-Latenz manifestiert. Diese wird im Schlaflabor mittels Polysomnographie und Multiplen-Schlaf-Latenz-Test (MSLT) am Tage erfasst. Werden neben der typischen Klinik zwei oder mehr verkürzte REM-Latenzen (<15 Minuten) in den genannten diagnostischen Verfahren beobachtet, gilt die Diagnose als gesichert [2].
Behandlungsoptionen
Eine kausale Therapie der Narkolepsie ist gegenwärtig nicht möglich. Zur medikamentösen Symptombehandlung sind in Deutschland derzeit nur wenige Medikamente zugelassen: Clomipramin, Modafinil, Methlyphenidat und Natriumoxybat [1, 7, 13]. Weitere wirksame Medikamente sind bekannt, jedoch nur off Label im Einsatz. Die Auswahl des jeweiligen Präparates richtet sich dabei nach der individuellen Symptomatik des Patienten. Clomipramin und Natriumoxybat sind zur Behandlung der kataplektischen Symptome indiziert. Darüber hinaus haben sie einen positiven Einfluss auf die weiteren REM-Symptome Schlaflähmung und hypnagoge beziehungsweise hypnopompe Halluzinationen. Modafinil und Methylphenidat sind zur Behandlung der Tagesschläfrigkeit indiziert. Das ohnehin eingeschränkte medikamentöse Behandlungsspektrum kann sich durch das Auftreten von Nebenwirkungen, Interaktionen, Beachtung von Kontraindikationen und unter dem möglichen Auftreten von Toleranzentwicklungen noch weiter reduzieren. Schon aus diesen Gründen ist die Zulassung eines weiteren Medikaments wie Pitolisant (Wakix®) zur Behandlung der Tagesschläfrigkeit bei Narkolepsie von Bedeutung.
Studienergebnisse zu Pitolisant bei Narkolepsie
Pitolisant zeigt einen Wirkungsmechanismus als Histamin-H3-Rezeptor-Antagonist, der mittels Blockierung der Histamin-Autorezeptoren die Aktivität von histaminergen Neuronen im Gehirn, einem wichtigen Erregungssystem mit weitläufigen Projektionen in das gesamte Gehirn, verstärkt [3, 4, 5, 8, 12, 14].
In einer 8-wöchigen, multizentrischen, doppelblinden, randomisierten Placebo-kontrollierten-Parallelgruppen-Zulassungsstudie (Harmony 1, [3]) mit flexibler Dosisanpassung, in der Pitolisant (bis 40 mg) mit Modafinil (bis 400 mg) und Placebo in seiner Wirkung auf die Tagesschläfrigkeit, gemessen mit der Epworth Sleepiness Scale (ESS), bei 94 Patienten verglichen wurde, ergab sich unter Pitolisant eine ähnliche Wirkung wie unter Modafinil und eine signifikant bessere Wirkung gegenüber Placebo. Trotzdem befanden sich die ESS-Werte sowohl für Modafinil als auch Pitolisant noch im auffälligen Bereich von über10 Punkten (Pitolisant: 12,0; Modafinil: 11,6). Anhand objektiver Untersuchungsverfahren ergab sich im Vergleich zu Placebo im MWT (Multipler-Wachbleibe-Test) eine signifikante Verbesserung, nicht jedoch in der Sustained Attention to Response Task (SART). Die Nebenwirkungen von Pitolisant und Modafinil sind ähnlich und treten gleichermaßen häufig auf [3].
An der zweiten Zulassungsstudie nahmen 165 Patienten teil. Es wurde ein ähnliches Studiendesign wie bei Harmony 1 gewählt. Allerdings war die Tageshöchstdosis von Pitolisant auf 18 mg beschränkt. Hier zeigte die konservativste statistische Auswertung für Pitolisant im Vergleich zu Placebo keine signifikante Reduzierung des ESS-Scores (Pitolisant vs Placebo –1,94; p=0,065) [3, 5].
In einer weiteren doppelblinden Zulassungsstudie (Harmony-CTP) wurde der Effekt von Pitolisant gegenüber Placebo auf die Häufigkeit wöchentlicher Kataplexien untersucht. Es ergab sich sowohl gegenüber Placebo als auch gegenüber dem Zeitpunkt vor der Behandlung eine signifikante Reduktion der Kataplexien um 64%. Eine vollständige Remission der Kataplexien wurde nicht erreicht. In dieser Studie konnten die aus der Harmony 1-Studie gewonnenen positiven Ergebnisse von Pitolisant auf die Wachheit, erneut gemessen anhand des ESS-Scores und des MWT, bestätigt werden [5, 7].
Bewertung von Pitolisant bei Narkolepsie
Pitolisant konnte gegenüber Placebo eine signifikante Reduzierung der Schläfrigkeit sowohl in objektiven als auch subjektiven Messgrößen erreichen. Gegenüber Modafinil ergab sich keine Überlegenheit in der Wirkung. Allerdings blieb unter beiden Substanzen das subjektive Schläfrigkeitsniveau noch im pathologischen Bereich. Bisher wurden in sämtlichen Narkolepsiestudien mit Stimulanzien nie ESS-Werte unter 10 Punkten erreicht. Nach der oben genannten Studie mit Pitolisant 18 mg scheint diese Dosierung in vielen Fällen keine ausreichende Wirkung auf die Wachheit zu besitzen oder in dieser Dosierung nur in leichteren Fällen eine adäquate Therapie darzustellen.
Ebenso konnte eine signifikante Reduktion, aber keine Beseitigung von Kataplexien festgestellt werden. Aber gerade dies ist für Patienten mit Narkolepsie häufig von elementarer Bedeutung. Wenn es um die Arbeitsfähigkeit oder die Fahrtüchtigkeit geht, stellen auch einzelne Kataplexien ein nicht unerhebliches Gefährdungspotenzial dar. Aus diesem Grunde wird Patienten mit Narkolepsie in aller Regel keine Fahrtüchtigkeit attestiert – selbst wenn nur selten Kataplexien auftreten. Ähnliches gilt für das Bedienen von gefährlichen Maschinen.
Pitolisant zeigte in den durchgeführten Studien – auch im Vergleich zu Modafinil – eine akzeptable Verträglichkeit. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen, Schwindel, Tremor, psychiatrische Symptome wie Schlafstörungen und Ängstlichkeit sowie gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen.
Daten zur Langzeitwirkung auf die Tagesschläfrigkeit und die Häufigkeit von Kataplexien über einen Zeitraum von acht Wochen hinaus liegen nicht vor. Aus diesem Grund können auch keine Aussagen zu Toleranzentwicklungen getroffen werden. Ebenso liegen keine Daten für Kinder und Jugendliche vor, sodass eine Einnahme für diese Altersgruppe derzeit nicht empfohlen werden kann. Aber gerade diese Altersgruppe ist häufig von Narkolepsie betroffen.
Der große Vorteil von Pitolisant dürfte (bei verglichen mit Modafinil ähnlicher Wirkung auf die Tagesschläfrigkeit) der neue Wirkungsmechanismus sein. Sowohl bei der Behandlung mit Modafinil als auch mit Methylphenidat kommt es nach eigenen klinischen Erfahrungen bei der Behandlung der Narkolepsie im Langzeitverlauf oft zu Toleranzentwicklungen. Häufige Medikamentenwechsel bei trotzdem reduzierter Wirksamkeit der einzelnen antriebssteigernden Substanzen sind für die Patienten die negativen Folgen. Mit dem gegenüber Modafinil und Methylphenidat neuartigen Wirkungsmechanismus von Pitolisant als Histamin-H3-Rezeptor-Antagonist ergibt sich die Hoffnung durch Medikamentenwechsel den Patienten wieder zu einer ausreichenden Wachheit und einem gutem Leistungsvermögen am Tage zu verhelfen.
Pitolisant zeigte in Studien eine Reduktion der Häufigkeit von Kataplexien um 64%. Sollte eine vollständige Remission der Kataplexien beim Narkolepsiepatienten angestrebt werden, könnte die antikataplektische Wirkung bei schweren und häufigen Kataplexien aber möglicherweise nicht ausreichen. Trotzdem kann Pitolisant in der Behandlung aufgrund seines veränderten Wirkungsmechanismus und Nebenwirkungsprofils im Einzelfall auch gegenüber wirksameren Substanzen Vorteile aufweisen: So hat Pitolisant gegenüber Clomipramin den Vorteil, nicht zu den häufig zu beobachtenden anticholinergen Effekten und Gewichtssteigerungen beizutragen.

Dr. phil. Dipl.-Psych. Hans-Günter Weeß, Diplom-Psychologe, psychologischer Psychotherapeut, Somnologe, Leiter der Schlafmedizinischen Abteilung des Pfalzklinikums Klingenmünster seit 1991. Seit 1992 Lehrbeauftragter an der Universität Koblenz-Landau, seit 2009 Dozent am Weiterbildungsstudiengang in psychologischer Psychotherapie der Universität Koblenz-Landau (WIPP), seit 2008 Mitglied des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Leiter der Akkreditierungskommission Süd-West, Vorsitzender der Kommission Qualifikationsnachweis »Somnologie« und schlafmedizinische Weiterbildung der DGSM.
Interessenkonflikterklärung
HGW gibt an, Honorare für Vorträge, Seminardurchführung und Beratung von UCB erhalten zu haben.
Literatur
1. AWMF-Leitlinie Neurologie, Kapitel Schlafstörungen, Narkolepsie www.dng-ev.de/uploads/tx_sbdownloader/AWMF_Leitline_030-056l_S1_Narkolepsie_2012_verlaengert.pdf (Letzter Zugriff am 04.08.2016).
2. Bunten S, Happe S. Aktuelle Therapie der Narkolepsie. Akt Neurol 2008;35: 225–33.
3. Dauvilliers Y, Bassetti C, Lammers GJ, Arnulf I, et al. Pitolisant versus placebo or modafinil in patients with narcolepsy: a double-blind, randomised trial. Lancet Neurology 2013;12:1068–75.
4. Dauvilliers Y, Delallée N, Jaussent I, Scholz S, et al. Normal cerebrospinal fluid histamine and tele-methylhistamine levels in hypersomnia conditions. Sleep 2012;35:1359–66.
5. European Medicines Agency. Zusammenfassung des EPAR für die Öffentlichkeit: Wakix®. www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/EPAR_-_Product_Information/human/002616/WC500204746.pdf (Letzter Zugriff am 4.08.2016).
6. Geisler P. Hypersomnie, Narkolepsie und Tagesmüdigkeit. UNI-MED Verlag AG, Bremen, 1. Aufl. 2009.
7 Gerloff C. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, Kapitel Schlafstörungen: Narkolepsie, AWMF-Registernummer: 030–056 gültig bis 29.09.2017.
8. Lin JS, Dauvilliers Y, Arnulf I, Bastuji H, et al. An inverse agonist of the histamine H(3) receptor improves wakefulness in narcolepsy: studies in orexin-/- mice and patients. Neurobiol Dis 2008;30:74–83.
9. Oberle D, Pönisch C, Mayer G, Keller-Stanislawski B. Fall-Kontroll-Studie zu Risikofaktoren von Narkolepsie in Deutschland. Somnologie 2013;17:39–48.
10. Pollmächer T. Pathophysiologie und Genetik – von der HLA-Typisierung und vom Orexin-Defizit zu den Symptomen und den metabolischen Veränderungen. In: Mayer G, Pollmächer T (Hrsg.): Narkolepsie – Neue Chancen in Diagnostik & Therapie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2007, S. 16–27.
11. Robert Koch-Institut. Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 27, Schlafstörungen. 2005.
12. Schwartz JC. The histamine H3 receptor: from discovery to clinical trials with Pitolisant. Br J Pharmacol 2011;163:713–21.
13. Sullivan Sh, Guilleminault Ch. Emerging drugs for common conditions of sleepiness: obstructive sleep apnea and narcolepsy. Expert Opinion Emerging Drugs 2015;20;4571–82.
14. Uguen M, Perrin D, Belliard S, Ligneau X, et al. Preclinical evaluation of the abuse potential of Pitolisant, a histamine H3 receptor inverse agonist/antagonist compared with Modafinil. Br J Pharmacol 2013;169:632–34.
Dr. Dipl.-Psych. Hans-Günter Weeß, Leiter Schlafzentrum Pfalzklinikum, Weinstraße 100, 76889 Klingenmünster, E-Mail: hans-guenter.weess@pfalzklinikum.de
Arzneimitteltherapie 2016; 34(11)