Metastasiertes Kolorektalkarzinom

Trifluridin/Tipiracil als neue Option zur Behandlung vorbehandelter Darmkrebspatienten


Veröffentlicht am: 28.11.2019

Dr. Maja M. Christ, Stuttgart

Seit September 2016 steht in Deutschland eine neue Therapieoption für Patienten mit metastasiertem Kolorektalkarzinom (mCRC) zur Verfügung: Die Wirkstoffkombination Trifluridin/Tipiracil, ein orales Zytostatikum, ist zugelassen für Erwachsene, für die andere Therapien nicht infrage kommen oder bei denen diese bereits ausgeschöpft wurden. Zuvor hatten Ärzte in zertifizierten Zentren bereits über ein Härtefallprogramm die Möglichkeit, geeignete Patienten mit Trifluridin/Tipiracil zu behandeln. Auf der von der Firma Servier veranstalteten Einführungspressekonferenz stellten Experten die Ergebnisse der Zulassungsstudie vor.

Darmkrebs gehört in Deutschland zu den häufigsten Krebserkrankungen: Im Jahr 2012 erkrankten nach Angaben des Robert Koch-Instituts 62230 Menschen neu, knapp 26000 Darmkrebspatienten starben an ihrer Erkrankung [6]. Im metastasierten Stadium ist laut S3-Leitlinie des Leitlinienprogramms Onkologie generell eine medikamentöse Tumortherapie angezeigt (Empfehlungsgrad A, Evidenzlevel 1a) [2]. Das Therapieregime orientiert sich zum einen am Therapieziel: Erreichen einer guten Remission und gegebenenfalls einer sekundären Resektabilität oder Verlängerung des progressionsfreien Überlebens (PFS) und des Gesamtüberlebens (OS) bei guter Lebensqualität [1, 2]. Zum anderen sind stets die Nebenwirkungsprofile der einzelnen Arzneimittel sowie Komorbiditäten und Lebenssituation des Patienten zu berücksichtigen [1, 2].

Die Therapieoptionen sind durch Zytostatika wie Irinotecan und Oxaliplatin, orale 5-Fluorouracil(5-FU)-Prodrugs und Biologika inzwischen deutlich besser als noch vor einigen Jahren. Problematisch bleibt, dass die Tumorzellen früher oder später Resistenzen gegen die eingesetzten Wirkstoffe entwickeln.

Eine neue Option für die Drittlinie bietet die Kombination aus dem antineoplastischen Thymidin-basierten Nukleosid-Analogon Trifluridin und dem Thymidin-Phosphorylase(TPase)-Inhibitor Tipiracilhydrochlorid. Nach Aufnahme in die Tumorzelle wird Trifluridin durch die Thymidin-Kinase phosphoryliert und nach weiterer Metabolisierung direkt in die DNA eingebaut, wodurch die Zellproliferation unterbunden wird. Trifluridin wird jedoch normalerweise schnell durch TPase abgebaut. Dies lässt sich durch die Kombination mit einem TPase-Inhibitor verhindern. Trifluridin/Tipiracil zeigte sich in präklinischen Studien sowohl gegen 5-FU-sensitive als auch gegen -resistente kolorektale Tumorzelllinien aktiv.

Klinisch relevanter Überlebensvorteil bei beherrschbaren Nebenwirkungen

Die Zulassung von Trifluridin/Tipiracil basierte auf den Daten der Phase-III-Studie RECOURSE (Tab. 1). Die 800 Studienteilnehmer wurden im Verhältnis 2:1 randomisiert. Alle erhielten die beste verfügbare Supportivtherapie (best supportive care [BSC]), durften aber parallel keine weiteren antineoplastischen Therapien erhalten.

Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben. Sekundäre Endpunkte umfassten PFS, Ansprechrate, Krankheitskontrollrate und Sicherheit. Gesamtüberleben und radiologisch bestätigtes PFS wurden in der Intention-to-treat(ITT)-Population anhand eines stratifizierten Log-Rank-Tests analysiert.

Tab. 1. Studiendesign von RECOURSE [nach 3]

Erkrankung

Metastasiertes Kolorektalkarzinom (mCRC)

Studienziel

Wirksamkeit und Verträglichkeit von Trifluridin/Tipiracil versus Placebo bei mCRC und Resistenz bzw. Unverträglichkeit der Standardtherapie

Studientyp/-phase

Interventionsstudie/Phase III

Studiendesign

Randomisiert, kontrolliert, doppelblind, parallel

Patientenzahl

800, im Verhältnis 2:1 randomisiert

Intervention

  • BSC plus Trifluridin/Tipiracil1 (n=534)
  • BSC plus Placebo (n=266)

Primärer Endpunkt

Gesamtüberleben

Sponsor

Taiho Oncology, Inc.

Studienregisternummer

NCT01607957 (ClinicalTrials.gov)

BSC: Best supportive care 1 35 mg/m², zweimal täglich an Tag 1 – 5 und 8 – 12, gefolgt von 16 Tagen Pause bis zur Progression oder inakzeptablen Toxizität

Das mittlere Gesamtüberleben betrug 7,1 Monate für Patienten unter Trifluridin/Tipiracil plus BSC versus 5,3 Monate unter Placebo plus BSC (Hazard-Ratio [HR] 0,68; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,58–0,81; p<0,001; Abb. 1) [3]. Die 1-Jahres-Überlebensrate lag bei 26,8% versus 17,6%. Das mediane PFS betrug 2,0 versus 1,7 Monate (HR 0,48; 95%-KI 0,41 – 0,57; p<0,001) [3]. Der Überlebensvorteil konnte für alle vordefinierten Subgruppen bestätigt werden, darunter Geschlecht, Alter oder Tumorlokalisation.

Eine aktualisierte Analyse ergab ein mittleres OS von 7,2 versus 5,2 Monate (HR 0,69; 95%-KI 0,59–0,81; p < 0,0001) und 1-Jahres-Überlebensraten von 27,1% versus 16,6% [4].

Abb. 1. Primärer Endpunkt der RECOURSE-Studie: signifikante Verbesserung des Gesamtüberlebens unter Trifluridin/Tipiracil versus Placebo, jeweils plus bester verfügbarer Supportivtherapie [nach 3]

Insgesamt wies die Kombination aus Trifluridin und Tipiracil ein beherrschbares Nebenwirkungsprofil auf, das dem üblicher Zytostatika entsprach: Übelkeit (48% vs. 24%), Erbrechen (28% vs. 14%), Appetitlosigkeit (39% vs. 29%), Fatigue (35% vs. 23%), Diarrhö (32% vs. 12%), abdominale Schmerzen (21% vs. 18%), Fieber (19% vs. 14%) sowie Asthenie (18% vs. 11%). Als klinisch bedeutende unerwünschte Ereignisse (>Grad 3) traten unter Trifluridin/Tipiracil am häufigsten Neutropenie (38% vs. 0%) und Leukopenie (21% vs. 0%) auf, 4% (vs. 0%) der Patienten entwickelten eine febrile Neutropenie [3]. Ein mit Trifluridin/Tipiracil in Zusammenhang stehender Todesfall wurde berichtet [3].

Auf dem Kongress der amerikanischen Krebsgesellschaft (ASCO) 2016 war eine weitere Subgruppenanalyse vorgestellt worden, der zufolge Patienten mit leicht eingeschränkter Nieren- beziehungsweise Leberfunktion ähnlich wie Patienten mit normaler Funktion profitierten [5]. Patienten mit moderater Nierendysfunktion wiesen jedoch mehr behandlungsbezogene Nebenwirkungen auf.

Dosierungsempfehlung

Die empfohlene Anfangsdosis für Trifluridin/Tipiracil beträgt 35 mg/m2 zweimal täglich oral für fünf Tage/Woche, gefolgt von zwei Tagen Pause, über zwei Wochen. Es folgen 14 Tage Erholung. Dieser Behandlungszyklus wiederholt sich alle vier Wochen, solange ein Therapienutzen zu beobachten ist oder bis zum Auftreten inakzeptabler Toxizitäten. Patienten sollen das Arzneimittel mit einem Glas Wasser morgens und abends einnehmen, jeweils eine Stunde nach der Mahlzeit.

Fazit

Für Patienten mit mCRC stehen inzwischen zahlreiche Therapieregime zur Verfügung. Entwickeln die Tumorzellen Resistenzen, kann auf andere Substanzklassen gewechselt werden. Ein Problem der meist aggressiven und als Kombinationstherapien gegebenen Regime ist allerdings ihr Nebenwirkungsprofil. Vor allem ältere, komorbide Patienten tolerieren die mitunter starken Nebenwirkugnen nicht.

Trifluridin/Tipiracil bietet eine neue Option für Patienten, die bereits mit Fluoropyrimidinen, Oxaliplatin, Irinotecan, Bevacizumab und weiteren Antikörpern vorbehandelt sind.

Quelle

Prof. Dr. med. Volker Heinemann, München, Prof. Dr. med. Meinolf Karthaus, München; Pressekonferenz zur Einführung von Lonsurf® , München, veranstaltet von der Servier Deutschland GmbH, 14. September 2016.

Literatur

1. Van Cutsem E, et al. ESMO consensus guidelines for the management of patients with metastatic colorectal cancer. Ann Oncol 2016;27:1386–422.

2. Leitlinienprogramm Onkologie. S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom. Langversion 1.1. 2014. AWMF-Registrierungsnr. 021–007OL, http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Leitlinien.7.0.html (Letzter Zugriff: 16.09.2016).

3. Mayer R, et al. Randomized Trial of TAS-102 for Refractory Metastatic Colorectal Cancer. N Engl J Med 2015;372:1909–19.

4. Mayer RJ, et al. TAS-102 versus placebo plus best supportive care in patients with metastatic colorectal cancer refractory to standard therapies: Final survival results of the phase III RECOURSE trial. J Clin Oncol 34, 2016 (suppl 4S); abstr 634.

5. Mayer R, et al. Efficacy and safety in patients with impaired renal and heapatic function in RECOURSE trial. J Clin Oncol 34, 2016 (suppl); abstr 3547.

6. Robert Koch-Institut und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. (Hrsg). Krebs in Deutschland 2011/2012. 10. Ausgabe. Berlin, 2015.

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Arzneimitteltherapie 2016; 34(11)