Akute intrazerebrale Blutungen

Blutdrucksenkung bei akuten intrazerebralen Blutungen nicht wirksam


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit Autorenkommentar
Eine aggressive antihypertensive Therapie bei Patienten mit intrazerebralen Blutungen und hohem systolischen Blutdruck innerhalb von 4,5 Stunden hat keine Auswirkung auf die Sterblichkeit und die Zahl der Patienten mit schwerer Behinderung.

Bei der Mehrzahl der Patienten, die eine akute intrazerebrale Blutung erleiden, kommt es zu einem massiven Anstieg des systolischen Blutdrucks. Dieser wiederum führt häufig zu einer Zunahme der Blutungsgröße und zu einem Anstieg der Sterblichkeit. Die INTERACT-2-Studie hatte Patienten mit spontanen intrazerebralen Blutungen untersucht, bei denen der systolische Blutdruck bei Aufnahme auf der Stroke-Unit zwischen 150 und 220 mmHg lag [1].

Bei diesen Patienten wurde innerhalb von sechs Stunden der Blutdruck entweder aggressiv oder normal reduziert. Die Studie war bezüglich des Endpunkts schwere Behinderung und Tod negativ. Die Autoren aus den USA planten daher eine zweite Studie – die ATACH-2-Studie – die Patienten mit höheren systolischen Blutdruckwerten in einem kürzeren Zeitfenster, nämlich 4,5 Stunden, einschloss. Es handelte sich um eine randomisierte multizentrische offene Studie, in die Patienten mit intrazerebralen Blutungen innerhalb von 4,5 Stunden dann eingeschlossen wurden, wenn der systolische Blutdruck über 180 mmHg lag. Die Patienten wurden in zwei Gruppen randomisiert, wobei in einer Gruppe der systolische Blutdruck so schnell wie möglich in einem Bereich zwischen 110 und 139 mmHg gesenkt werden sollte, in der zweiten Gruppe auf Werte zwischen 140 und 179 mmHg. Der primäre Endpunkt der Studie waren Tod und schwere Behinderung, definiert als Werte auf der modifizierten Rankin-Skala zwischen 4 und 6 drei Monate nach der Randomisierung.

In die Studie wurden 1000 Teilnehmer aufgenommen. Das mittlere Alter betrug 62 Jahre und 60% der Patienten waren männlich. Der systolische Blutdruck bei Aufnahme betrug im Mittel 200 mmHg. Das mittlere Volumen der Blutungen betrug 10 cm3. Ein Viertel der Patienten hatte eine intraventrikuläre Blutung. Die meisten Blutungen waren Basalganglien-Blutungen und Blutungen im Bereich des Thalamus. Die Studie wurde nach der Rekrutierung von 1000 Patienten vom Sicherheitskomitee beendet, da nicht zu erwarten war, dass eine weitere Rekrutierung das Ergebnis verändert. Der primäre Endpunkt, nämlich Tod und schwere Behinderungen, wurde bei 38,7% der Patienten beobachtet, die in der intensiven Blutdruck-Therapie-Gruppe waren und bei 37,7% in der Standard-Therapie-Gruppe. Diese Ergebnisse fanden sich auch für alle sekundären Endpunkte.

Kommentar

Die Ergebnisse der ATACH-2-Studie sind überraschend und schwer zu erklären. Bereits die INTERACT-2-Studie hatte gezeigt, dass eine aggressive antihypertensive Therapie bei Patienten mit intrazerebralen Blutungen und hohen systolischen Blutdruckwerten die Prognose nicht verbessert. Jetzt liegen zwei randomisierte Studien mit demselben Ergebnis vor. Die Studien müssen dahingehend interpretiert werden, dass eine aggressive Blutdrucksenkung das Größenwachstum der Blutung nicht reduziert. Sehr wahrscheinlich hat diese Therapie auch keine Auswirkung auf die Entwicklung eines Hirnödems.

Die Autoren diskutieren die Möglichkeit, dass bei Patienten, die in einer randomisierten Studie aufgenommen werden, sehr viel seltener die Therapie eingestellt wird als im klinischen Alltag und so schwerstbehinderte Patienten überleben. Die praktische Konsequenz aus den beiden negativen Studien ist, dass erhöhte Blutdruckwerte bei Patienten mit erhöhten systolischen Blutdrücken zwar behandelt werden müssen, dass aber keine aggressive und rasche Blutdrucksenkung notwendig ist.

Quelle

Qureshi AI, et al. ATACH-2 trial investigators and the neurological emergency treatment trials network. Intensive blood-pressure lowering in patients with acute cerebral hemorrhage. N Engl J Med 2016;375:1033–43.

Literatur

1. Anderson CS, et al. Rapid blood-pressure lowering in patients with acute intracerebral hemorrhage. N Engl J Med 2013;368:2355–65.

Tab. 1. Studiendesign von ATACH-2 [nach ClinicalTrials.gov] ((NUR ONLINE))

Erkrankung

Akute zerebrale Hämorrhagie

Studienziel

Therapeutischer Benefit einer intensiven antihypertensiven Behandlung akuter zerebraler Hämorrhagie

Studientyp/-phase

Interventionsstudie/Phase III

Studiendesign

Randomisiert, offen, parallel

Eingeschlossene Patienten

1000 Patienten mit intrazerebralen Blutungen mit einem systolischen Blutdruck >180 mmHg

Intervention

  • Senkung des systolischen Blutdruck so schnell wie möglich auf 110–139 mmHg
  • Senkung auf 140–179 mmHg

Nicardipin Hydrochlorid

Primärer Endpunkt

Tod oder schwere Behinderung

Sponsor

University of Minnesota – Clinical and Translational Science Institute

Studienregisternummer

NCT01176565 (ClinicalTrials.gov

Arzneimitteltherapie 2017; 35(01)