Obeticholsäure zur Therapie der primär biliären Cholangitis


Ein Farnesoid-X-Rezeptor-Agonist – Aus Expertensicht

Verena Keitel und Dieter Häussinger, Düsseldorf

Arzneimitteltherapie 2017;35:216–8.

Die primär biliäre Cholangitis (PBC) stellt eine chronische, nichteitrige Entzündung der kleinen intrahepatischen Gallenwege dar, die im Verlauf der Erkrankung zu ihrer Destruktion sowie zur Entwicklung einer portalen Fibrose und letztlich zur Ausbildung einer Leberzirrhose und deren Komplikationen führen kann [3]. Die Inzidenz der PBC liegt bei 5 pro 100000 Personen und Jahr, wobei mehr als 90% der Betroffenen Frauen sind [2]. Unbehandelt ist die PBC mit einem mittleren transplantationsfreien Überleben von 6 bis 10 Jahren assoziiert [3]. Ursodeoxycholsäure (UDCA) war bis zur Zulassung von Obeticholsäure (OCA) 2016 die einzige zugelassene Therapie für die PBC [6, 17]. UDCA stellt das 7β-OH-Epimer der primären Gallensäure Chenodeoxycholsäure (CDCA) dar und wird in geringen Mengen durch Bakterien im menschlichen Darm gebildet [15]. Nach oraler Aufnahme von UDCA wird die Gallensäure im Darm resorbiert und in der Leber mit Glycin und Taurin konjugiert [24]. Taurin-konjugiertes UDCA (TUDCA) bindet in Leberzellen an Integrine (α5β1) und steigert die Gallesekretion, schützt die Leberzellen vor programmiertem Zelltod (Apoptose) und wirkt antiinflammatorisch [7, 8, 13, 25]. Die Gabe von UDCA (13–15 mg/kg Körpergewicht) kann bei PBC-Patienten signifikant das transplantationsfreie Überleben bis hin zur Annäherung des Überlebens an das der Gesamtbevölkerung verlängern [4, 5, 16, 22, 23]. Allerdings gilt dies nur für Patienten, bei denen es 6 bis 24 Monate nach Therapiebeginn zu einem laborchemischen Ansprechen auf eine UDCA-Therapie kommt. Patienten mit positivem Ansprechen auf eine UDCA-Therapie haben im Vergleich zu UDCA-Nonrespondern zusätzlich ein signifikant reduziertes Risiko, ein hepatozelluläres Karzinom zu entwickeln [26]. Entsprechend wird UDCA von den europäischen und amerikanischen Leitlinien als Therapie für alle Patienten mit PBC empfohlen [6, 17].

Der alkalischen Phosphatase (AP) kommt bei der Bewertung des laborchemischen Ansprechens auf UDCA eine zentrale Bedeutung zu (Tab. 1). Eine große Metaanalyse, in die Daten von 4845 PBC-Patienten eingeschlossen wurden, ergab, dass die Höhe der alkalischen Phosphatase invers mit dem transplantationsfreien Überleben assoziiert ist [14].

Die Ansprechraten auf eine UDCA-Therapie sind bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung niedriger als bei Patienten in frühen Krankheitsstadien und liegen bei letzteren Patienten bei 50 bis 70% [5]. Bis zur Einführung von Obeticholsäure gab es für die 30 bis 50% der PBC-Patienten mit unzureichendem laborchemischen Ansprechen auf UDCA keine zugelassene Therapieoption.

Tab. 1. Kriterien für das laborchemische Ansprechen auf eine Therapie mit UDCA

Definition des laborchemischen Ansprechens

Dauer seit Beginn der UDCA-Therapie

Ansprechraten [5]

Referenz

Barcelona

Abfall der AP>40% vom Ausgangswert oder Normalisierung

12 Monate

40–70%

[20]

Paris I

Abfall der AP<3-faches ULN,

Abfall der GOT <2-faches ULN, normwertiges Bilirubin

12 Monate

46–76%

[4]

Rotterdam

Normalisierung von Bilirubin- oder Albumin-Werten

12 Monate

66–86%

[11]

Toronto

Abfall der AP<1,67-faches ULN

(12)–24 Monate

47–71%

[5, 12]

Paris II

Abfall der AP und GOT <1,5-faches ULN und normwertiges Bilirubin

12 Monate

26–53%

[5]

AP: alkalische Phosphatase; GOT: Glutamat-Oxalacetat-Transferase (=AST); ULN: upper limit of normal; Ansprechraten nach [5]

Aktivierung des Farnesoid-X-Rezeptors erhöht die Gallesekretion

Bei Obeticholsäure (Ocaliva®) handelt es sich um ein Derivat der primären Gallensäure CDCA, dem endogenen Agonisten für den nukleären Gallensäurerezeptor Farnesoid-X-Rezeptor (FXR). Gegenüber CDCA besitzt OCA eine 100-fach gesteigerte Affinität für FXR [21]. Die Aktivierung von FXR bewirkt in den Leberzellen eine gesteigerte Gallesekretion und eine Reduktion der Gallensäurensynthese aus Cholesterin. In Darmepithelzellen fördert die FXR-Aktivierung eine Steigerung der Epithelbarriere, eine Reduktion der Gallensäurerückresorption aus dem Darm sowie eine vermehrte Freisetzung des Fibroblastenwachstumsfaktors (FGF) 19. Letzterer gelangt mit dem Pfortaderblut zur Leber, wo FGF19 die Gallensäure-Neusynthese hemmt und zusätzlich eine protektive Wirkung vermittelt [1, 10]. In Immunzellen hat FXR antiinflammatorische Wirkungen [1, 10]. UDCA und OCA triggern durch Aktivierung unterschiedlicher Rezeptormoleküle ähnliche protektive Effekte in Leber und Darm.

Klinisches Studienprogramm mit Obeticholsäure

OCA wurde in Phase-II-Studien sowohl als Monotherapie als auch in Kombination mit UDCA bei therapienaiven PBC-Patienten beziehungsweise Patienten mit unzureichendem laborchemischem Ansprechen auf UDCA über 12 Wochen in Dosierungen bis zu 50 mg täglich evaluiert. Unter OCA-Therapie kam es zu einem signifikanten Abfall der AP-Werte, die nach Beenden der Studienmedikation wieder anstiegen [9].

In der Phase-III-Studie (POISE) wurden 216 PBC-Patienten mit AP-Werten oberhalb dem 1,67-fachen oberen Normwert und/oder einem Bilirubin-Wert, der über dem 1-fachen, jedoch unter dem 2-fachen oberen Normwert lag, eingeschlossen und auf einen Placebo-Arm, einen 10 mg-täglich-OCA-Arm sowie einen weiteren OCA-Arm, bei dem zunächst 5 mg OCA täglich verabreicht wurden, im Verhältnis 1:1:1 randomisiert. Die Patienten im 5-mg-OCA-Arm erhielten zunächst für sechs Monate 5 mg täglich und konnten in Abhängigkeit des Abfalls des AP-Werts und möglicher Nebenwirkungen (insbesondere Juckreiz) nach diesem Zeitraum eine Steigerung des Studienmedikaments auf 10 mg erhalten. Nur 16 Patienten (7% der Studienteilnehmer) bekamen aufgrund einer Unverträglichkeit keine Kombinationstherapie mit UDCA [19]. Als primärer Endpunkt der Studie war ein Abfall des AP-Werts unter das 1,67-Fache des oberen Normwerts nach 12 Monaten Therapiedauer definiert worden. Dieses Ziel erreichten 46% im 5 bis 10 mg täglich OCA-Arm, 47% im 10-mg-OCA-Arm und auch 10% der Patienten im Placebo-Arm. Bei immerhin 77% der Patienten in den beiden OCA-Armen kam es zu einem Abfall der AP-Werte von mehr als 15%, während diesen sekundären Endpunkt 29% der Patienten im Placebo-Arm erreichten. Die häufigste Nebenwirkung von OCA war Juckreiz, der dosisabhängig auftrat und bei acht Patienten die Ursache für einen vorzeitigen Abbruch der Studienteilnahme darstellte. Dies war bereits aus den Phase-II-Studien bekannt, weshalb für die Phase-III-Studie eine niedrigere OCA-Dosierung (maximal 10 mg täglich gegenüber 50 mg täglich in der Phase-II-Studie) gewählt wurde [19]. Entsprechend sollte die initiale Dosierung von OCA 5 mg täglich betragen und in Abhängigkeit der Juckreizstärke sowie des Abfalls der AP-Werte nach sechs Monaten Therapie gegebenenfalls auf 10 mg täglich gesteigert werden.

Ausblick

Basierend auf den Daten der Phase-III-Studie ist davon auszugehen, dass die zusätzliche Gabe von OCA bei der Hälfte der Patienten mit unzureichendem laborchemischen Ansprechen auf UDCA einen weiteren Abfall der AP-Werte unter das 1,5- bis 1,67-fache des oberen Normwerts ermöglicht und somit die Prognose dieser Patienten entscheidend verbessert. Allerdings ist bereits jetzt absehbar, dass ein Teil der Patienten selbst durch die Kombinationstherapie mit UDCA und OCA keine ausreichende Kontrolle der Krankheitsaktivität erzielen wird und auf neue, derzeit in Studien befindliche Wirkstoffe wie Agonisten für den nukleären Rezeptor Peroxisome proliferator-activated receptor-α (Fibrate), Inhibitoren des apikalen Gallensäure-Aufnahmetransporters ASBT oder Analoga des FGF19 angewiesen sein wird [1, 3].

Der Einsatz von OCA (25 mg täglich) reduzierte die Stuhlfrequenz und verbesserte die Stuhlkonsistenz bei Patienten mit primärer Gallensäure-induzierter Diarrhö sowie Patienten mit sekundärer Gallensäure-abhängiger Diarrhö nach Ileum-Teilresektion [27]. Außerdem wird OCA derzeit in einer multizentrischen, Placebo-kontrollierten Phase-III-Studie zur Therapie der nichtalkoholischen Steatohepatitis (NASH) getestet [18].

Glossar

AP

Alkalische Phosphatase

CDCA

Chenodeoxycholsäure

FGF19

Fibroblastenwachstumsfaktor 19

FXR

Farnesoid-X-Rezeptor

OCA

Obeticholsäure

PBC

Primär biliäre Cholangitis

UDCA

Ursodeoxycholsäure

TUDCA

Taurin-konjugiertes UDCA

Prof. Dr. med. Verena Keitel-Anselmino ist Oberärztin an der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

Prof. Dr. med. Dieter Häussinger ist Ordinarius für Innere Medizin und Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

Interessenkonflikterklärung

VK gibt an, Honorare für Vorträge, Stellungnahmen oder Artikel von Falk und AbbVie erhalten zu haben.

DH gibt an, Honorare für Vorträge, Stellungnahmen oder Artikel von Falk erhalten zu haben.

Literatur

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Prof. Dr. med. Verena Keitel-Anselmino, Prof. Dr. med. Dieter Häussinger, Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie, Universitätsklinikum Düsseldorf, Moorenstraße 5, 40225 Düsseldorf, E-Mail: Verena.Keitel@med.uni-duesseldorf.de

Obeticholic acid for treatment of primary biliary cholangitis

Primary biliary cholangitis (PBC) is a chronic liver inflammation characterized by progressive destruction of the small intrahepatic bile ducts. The disease can eventually lead to the development of portal fibrosis and liver cirrhosis. Until approval of obeticholic acid (OCA, Ocaliva®) in 2016, ursodeoxycholic acid (UDCA) was the only approved therapy for PBC. Response rates to UDCA therapy are lower in patients with advanced disease than in patients in early stages of disease, in whom response rates reach 50 to 70%. Data from the phase III study POISE suggest that the addition of OCA to UDCA in patients with UDCA nonresponse will lead to a further drop in alkaline phosphatase (AP) values below the 1.5 to 1.67-fold of the upper limit of the normal values in half of the treated patients and thus will improve the prognosis of these patients. However, it is already foreseeable that some patients will still not achieve sufficient control of disease activity by combination therapy with UDCA and OCA.

Key words: farnesoid X receptor, obeticholic acid, primary biliary cholangitis, ursodeoxycholic acid

Arzneimitteltherapie 2017; 35(06)