Brigitte Hübner, Halle (Saale)
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Die angeborene Hämophilie stellt eine schwerwiegende, genetisch bedingte Blutungsstörung dar. Es handelt sich um ein X-chromosomal vererbtes, rezessives Merkmal, das meist von der Mutter an den Sohn weitergegeben wird. Hämophilie A mit einem Mangel an Blutgerinnungsfaktor VIII ist die häufigste Form der Hämophilie. Bei einer Hämophilie B finden sich erniedrigte Plasmaspiegel des Blutgerinnungsfaktors IX. Die Erkrankung ist durch Hämatome sowie teils schwere, langanhaltende Blutungen (auch nach kleinen Verletzungen oder Eingriffen), Spontan- und Gelenkeinblutungen gekennzeichnet, die bei wiederholtem Auftreten zu erheblichen Schäden führen können. Die Blutungen sind häufig mit Schmerzen verbunden und können zu chronischen Schwellungen, Deformierungen und eingeschränkter Mobilität führen. Die Therapie der Hämophilie basiert auf der Substitution des fehlenden Blutgerinnungsfaktors entweder durch gentechnisch oder aus dem Plasma gewonnene Faktorpräparate. Diese intravenöse, mehrmals wöchentliche Therapie ist für den Patienten oft sehr belastend und führt zu schlechter Compliance. Viele Patienten bevorzugen daher anstelle einer prophylaktischen Dauertherapie eine Bedarfstherapie (On-Demand-Therapie). Ein weiterer Nachteil aktueller Therapieoptionen, insbesondere bei Hämophilie A, besteht in der Entwicklung inhibierender Antikörper (Hemmkörper). Diese inaktivieren den substituierten Faktor VIII und machen die Therapie unwirksam. Nahezu 25 bis 30% der Patienten mit schwerer Hämophilie A entwickeln Inhibitoren gegen Faktor VIII. Für diese Patienten gibt es nur noch wenige Therapieoptionen [12].
Eine qualitätsgesicherte Therapie orientiert sich an den Empfehlungen der Bundesärztekammer zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten (4., überarbeitete und aktualisierte Auflage, 2014), basierend auf Konsensus-Empfehlungen und Übersichtsarbeiten zur Hämophilie-Behandlung [5, 16]. Die Hämophilie-Therapie dient der Verhütung und Behandlung von Blutungen, deren Komplikationen und Folgeschäden sowie der Erhaltung und/oder Wiederherstellung der Gelenkfunktionen und sozialen Integration. Eine Bedarfsbehandlung soll bei spontanen oder traumatischen Blutungen minimalen Ausmaßes und jeglicher Lokalisation erfolgen (Empfehlung 1C+), eine blutungsvorbeugende Dauerbehandlung vorwiegend bei Kindern und Jugendlichen mit schwerer Hämophilie in Form einer ärztlich kontrollierten Heimselbstbehandlung (Empfehlung 1A). Diese kann auch bei Erwachsenen individuell fortgeführt werden (Empfehlung 2C+). Bei operativen Eingriffen soll jedoch eine blutungsvorbeugende Behandlung erfolgen (Empfehlung 1C+).
Technologien zur Verlängerung der Halbwertszeit
Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Patienten-Compliance in der Substitutionstherapie der angeborenen Hämophilie besteht in der Entwicklung von Faktorpräparaten mit verlängerter Halbwertszeit (HWZ). Folgende Technologien zur Verlängerung der HWZ rekombinanter Blutgerinnungsfaktoren stehen zur Verfügung [2, 10, 17]:
- Chemische Modifikation durch Pegylierung: Refixia®, Adynovi®/BAX855, N8-GP [6]. Polyethylenglykol ist ein stark hydrophiles Molekül mit hohem Molekulargewicht, welches an Lysin- und Cysteinreste des rekombinanten Faktors gebunden wird. Dadurch wird die Molekülmasse vergrößert und das Protein mit einer Hülle umgeben, welche den proteolytischen Abbau und die Clearance reduziert. Dies führt zu einer Verlängerung der HWZ.
- Bildung von Fusionsproteinen: Elocta®, Alprolix®, Idelvion®. Bei dieser Methode erfolgt die Halbwertszeitverlängerung durch kovalente Bindung des Proteins an die Fc-Domäne eines IgG-Moleküls. Alternativ kann ein Albumin-Molekül der Molekülvergrößerung dienen.
- Proteinsequenz-Modifikation: Afstyla®. Die leichte und schwere Kette des Blutgerinnungsfaktors VIII werden normalerweise durch eine instabile Metallionenverbindung zusammengehalten. Bei dem Single-Chain-Molekül Lonoctocog α entsteht durch Entfernung der inaktiven B-Domäne und weiterer drei Aminosäuren der sauren A3-Domäne eine stabile kovalente Bindung, welche eine Verlängerung der HWZ bis zu 15 Stunden bewirkt.
In Tabelle 1 sind zugelassene bzw. in Phase III befindliche Präparate rekombinanter Blutgerinnungsfaktoren zur Therapie und Prophylaxe von Blutungen bei Hämophilie A und B aufgeführt. Bei den Faktor-VIII-Präparaten ist durch die genannten Technologien aufgrund der Wechselwirkung von Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor im Blutkreislauf die HWZ-Verlängerung auf 19 Stunden begrenzt (entsprechend einer Reduktion auf zwei wöchentliche Infusionen). Aufgrund dieser moderaten Steigerung der HWZ hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) für diese modernen Faktor-VIII-Präparate einen nicht belegten Zusatznutzen beschlossen.
Tab. 1. Faktor-Präparate zur Prophylaxe und Therapie von Blutungen (Stand 30.11.2017)**
Präparat |
Zulassung |
Wirkstoff |
HWZ [Stunden] |
Nutzenbewertung* |
Rekombinanter Faktor VIII |
||||
Helixate NexGen® Kogenate® |
BayerVital |
Octocog α (2332 AS) rek. Faktor VIII (BHK-Zellen) |
ca. 15 |
|
NovoEight® |
NovoNordisk |
Turoctocog α (1445 AS) rek. Faktor VIII (CHO-Zellen), B-Domäne um 21 AS verkürzt |
11,2 |
G-BA 26.06.2014: Zusatznutzen nicht belegt |
Advate® |
Baxalta |
Octocog α (2332 AS) rek. Faktor VIII (CHO-Zellen) in voller Länge |
12,9 |
|
ReFacto® |
Pfizer |
Moroctocog α (1438 AS) rek. Faktor VIII (CHO-Zellen) ohne B-Domäne |
14,8 |
|
Nuwiq® |
Octapharma |
Simoctocog α, (1440 AS) rek. Faktor VIII (HEK-Zellen) ohne B-Domäne |
14,7 |
G-BA 07.05.2015: Zusatznutzen nicht belegt |
Obizur® |
Baxalta |
Susoctocog α (1448 AS) rek. porcine Sequenz des Faktor VIII (BHK-Zellen) ohne B-Domäne |
10 |
|
Elocta® |
SoBi |
Efmoroctocog α (1890 AS) rek. Faktor VIII (HEK) ohne B-Domäne, kovalent an Fc-IgG gebunden Fc-Fusionsprotein |
19 |
G-BA 16.06.2016: Zusatznutzen nicht belegt |
Iblias® |
BayerVital |
Octocog α (2332 AS) rek. humaner Faktor VIII (BHK-Zellen) in voller Länge |
14,8 |
|
Kovaltry® |
BayerVital |
Octocog α (2332 AS) rek. Faktor VIII (BHK-Zellen) in voller Länge |
14,8 |
|
Afstyla® |
CSL-Behring |
Lonoctocog α rek. Faktor VIII (CHO-Zelle) mit kovalenter Bindung der Ketten |
14,2 |
G-BA 20.07.2017: Zusatznutzen nicht belegt |
Adynovi® |
Baxalta |
Rurioctocog α pegol peg. rek. Faktor VIII (BHK-Zellen) in voller Länge – Pegylierung |
14,7 |
|
N8-GP |
NovoNordisk |
Turoctocog α pegol glycopeg. rek. Faktor VIII (CHO-Zellen) – Pegylierung |
18,4 |
Phase III |
Rekombinanter Faktor IX |
||||
BeneFix® |
Pfizer |
Nonacog α (415 AS) rek. humaner Faktor IX (CHO-Zellen), einkettiges Glykoprotein |
22,4 |
|
Rixubis® |
Baxalta |
Nonacog gamma (415 AS) rek. humaner Faktor IX (CHO-Zellen), einkettiges Glykoprotein |
25,3 |
|
Idelvion® |
CSL Behring |
Albutrepenonacog α (1018 AS) rek. Faktor-IX-Albumin (CHO-Zellen) |
95,3 |
G-BA 01.12.2016: Zusatznutzen nicht quantifizierbar |
Alprolix® |
SoBI |
Eftrenonacog α (867 AS) rek. Faktor IX (HEK-Zellen) kovalent an Fc-IgG gebunden |
77,6 |
G-BA 15.12.2016: Zusatznutzen nicht quantifizierbar |
Refixia® N9-GP |
NovoNordisk |
Nonacog beta pegol (415 AS) pegyl. rek. Faktor IX (CHO-Zellen) Pegylierung |
115 |
G-BA-Beschluss 04/2018 |
*soweit vorhanden; **Auswahl zugelassener bzw. in Phase III befindlicher Präparate [Fachinformation und Lauer-Taxe]
Bei den Faktor-IX-Präparaten hingegen können durch Pegylierung und Bildung von Fusionsproteinen signifikante Verlängerungen der Halbwertszeiten von bis zu 100 Stunden erreicht werden. Dadurch ist oft nur eine Infusion alle 14 Tage erforderlich. Die Nutzenbewertung des G-BA ergibt einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen.
Bisher noch kein Durchbruch
Die mögliche Halbwertszeitverlängerung bei Faktor-VIII-Präparaten ist begrenzt. Faktor-IX-Präparaten erreichen jedoch bereits Intervalle von zwei Wochen.
Emicizumab (Hemlibra®)
Ein neuartiger Ansatz zur Optimierung der Hämophilie-Therapie, insbesondere bei vorhandenen Inhibitoren gegen Faktor VIII, besteht in der Entwicklung von bispezifischen Antikörpern. Emicizumab (ACE910, Fa. Chugai) ist ein bispezifischer, monoklonaler Antikörper, der die Faktoren IXa und X bindet und über die Aktivierung von Faktor X den nativen Faktor VIII imitiert (Abb. 1). Erste positive Ergebnisse aus dem HAVEN-Studienprogramm führten zur Zulassung von Emicizumab durch die Food and Drug Administration (FDA) für die prophylaktische Therapie bei Menschen mit Hämophilie A und Inhibitoren gegen Faktor VIII. Die Europäische Kommission hat im Februar 2018 die Zulassung erteilt [7, 13].

Abb. 1. Wirkungsmechanismus von Emicizumab (mod. nach [15])
HAVEN 1 (NCT02622321)
Es handelt es sich um eine randomisierte, multizentrische Phase-III-Studie bei 109 Patienten (Erwachsene und Jugendliche >12 Jahre) mit Hämophilie A und Inhibitoren gegen Faktor VIII zur Bewertung von Wirksamkeit, Sicherheit und Pharmakokinetik einer prophylaktischen Gabe von Emicizumab im Vergleich zu keiner prophylaktischen Therapie [9]. Die Patienten, die man zuvor bedarfsabhängig mit Bypass-Medikamenten (BPA) behandelte (Gruppe 1), wurden 2:1 randomisiert in Arm A (Emicizumab) und Arm B (ohne Prophylaxe). Patienten, die zuvor prophylaktische Substitutionen erhielten (Gruppe 2), wurden einer Emicizumab-Prophylaxe (Arm C) zugeteilt. Zusätzliche Patienten, die aus zeitlichen Gründen nicht mehr in die Analyse aufgenommen werden konnten, finden sich im Arm D. Der primäre Studienendpunkt war die Anzahl behandelter Blutungen unter prophylaktischer Therapie mit Emicizumab (Arm A) im Vergleich zum Kontrollarm B über einen Zeitraum von 24 Wochen. Zu den sekundären Wirksamkeitsendpunkten zählten die Rate der Gesamtblutungen sowie Spontan- und Gelenkeinblutungen, gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQoL)/Gesundheitszustand. Im Arm C wurde zudem die intraindividuelle Blutungshäufigkeit der Patienten vor und nach der Umstellung von BPA- auf Emicizumab-Prophylaxe untersucht. Ferner wurden Sicherheit und Pharmakokinetik bewertet (Abb. 2).

Abb. 2. Studien-Design HAVEN 1 (NCT02622321). Emicizumab 3 mg/kg/Woche über 4 Wochen; 1,5 mg/kg/Woche als Erhaltungstherapie; PwHA: Patienten mit Hämophilie A. Ein zusätzlicher Arm D enthielt Patienten (n=7), die aus zeitlichen gründen nicht in Arm A, B oder C eingeschlossen werden konnten.
Die annualisierte Blutungsrate (ABR, kalkuliert mithilfe des negativen binominalen Regressionsmodells) als primärer Studienendpunkt betrug im Kontrollarm B 23,3%, im Arm A unter Prophylaxe mit Emicizumab nur 2,9%. Dies ergibt eine statistisch signifikante Reduktion der Blutungshäufigkeit um 87% (p<0,001). 62,9% der Patienten im Arm A entwickelten keine Blutungen, hingegen nur 5,6% im Arm B. Ferner zeigte sich bei den sekundären Endpunkten ebenfalls eine klinisch bedeutsame Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität/Gesundheitszustand. Der intraindividuelle Vergleich liefert zudem eine statistisch signifikante Reduktion der Blutungshäufigkeiten um 79% (p=0,0003; BPA- vs. Emicizumab-Prophylaxe: 15,7 vs. 3,3 Ereignisse/Jahr). Unter einer prophylaktischen Gabe von Emicizumab traten bei 70,8% der Patienten keine Blutungen auf. Das Nebenwirkungsprofil war moderat: bei nur 8,7% der Patienten traten ernsthafte Nebenwirkungen wie Mikroangiopathien oder thrombotische Ereignisse auf. Als häufigste Nebenwirkungen wurden lokale Reaktionen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen und Arthralgien dokumentiert.
HAVEN 2 (NCT02795767)
Es handelt es sich um eine einarmige multizentrische Phase-III-Studie zur Bewertung von Wirksamkeit, Sicherheit und Pharmakokinetik einer einmal wöchentlichen subkutanen Gabe von Emicizumab bei Kindern <12 Jahren mit Hämophilie A und Inhibitoren gegen Faktor VIII, die zuvor mit Bypass-Medikamenten behandelt wurden. Der primäre Studienendpunkt war die Blutungsrate über einen Zeitraum von 52 Wochen [18]. Zum Zeitpunkt der Zwischenanalyse nach 12 Wochen konnten die Daten von 23 Kindern (n=60 geplant) ausgewertet werden. Bei 87% der Kinder wurden keine Blutungen erfasst. Ein intraindividueller Vergleich (n=13) zeigte zudem: Bei Kindern, die zuvor mit einem Bypass-Medikament behandelt worden waren (bedarfsabhängig oder prophylaktisch), verringerte Emicizumab die Anzahl der behandelten Blutungen klinisch relevant um 99% (17,2% vs. 0,2% bei BPA- versus Emicizumab-Prophylaxe). Unter den berichteten unerwünschten Ereignissen befanden sich nur milde Reaktionen an der Einstichstelle.
Ein weiterer Vorteil des Antikörpers besteht in der langen Halbwertszeit von 28 Tagen [8]. Eine monatliche subkutane Gabe könnte erheblich zur Steigerung der Patienten-Compliance beitragen. Daher werden in weiteren Studien (HAVEN 3/4) Dosismodifikationen und alternative Applikationsintervalle untersucht.
HAVEN 3 (NCT02847637), laufend
Status: aktiv, Rekrutierung abgeschlossen.
Wirksamkeit, Sicherheit und Pharmakokinetik einer einmal wöchentlichen oder zweiwöchentlichen subkutanen Emicizumab-Prophylaxe (3 mg/kg QW über 4 Wochen, gefolgt von einer Erhaltungsdosis 1,5 mg/kg QW versus einer Erhaltungsdosis von 3 mg/kg Q2W) [3].
HAVEN 4 (NCT03020160), laufend
Status: aktiv, Rekrutierung abgeschlossen.
Wirksamkeit, Sicherheit und Pharmakokinetik einer monatlichen subkutanen Emicizumab-Prophylaxe (6 mg/kg Q4W für 24 Wochen versus 3 mg/kg QW über 4 Wochen, gefolgt von einer Erhaltungsdosis 6 mg/kg Q4W) [4].
Studienteilnehmer: Patienten (>12 Jahre) mit schwerer Hämophilie A ohne Faktor-VIII-Inhibitoren, im Vorfeld bedarfsabhängig oder prophylaktisch mit Faktorpräparaten behandelt.
Primärer Studienendpunkt: Blutungsrate über einen Beobachtungszeitraum von 24 Wochen.
Sekundäre Studienendpunkte: Wirksamkeit (Blutungshäufigkeit, Rate an Zielgelenkblutungen, gesundheitsbezogene Lebensqualität, Patientenpräferenz), Sicherheit und Pharmakokinetik.
Erfolgreiche Studien
Im HAVEN-Studienprogramm konnte die Blutungsrate durch eine Emicizumab-Prophylaxe gegenüber einer Bedarfstherapie oder der Prophylaxe mit einem Bypass-Medikament reduziert werden. Das Sicherheitsprofil ist gut. Studien mit einem mehrwöchigen Applikationsintervall laufen noch.
Therapieoptionen in der Entwicklung
Darüber hinaus befinden sich noch weitere vielversprechende Therapieansätze in der frühen klinischen Entwicklung, inklusive gentherapeutischer Ansätze:
Concizumab (NN7415, Fa. NovoNordisk) ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper gegen den „tissue factor pathway inhibitor“ (TFPI) zur subkutanen Applikation. Eine Hemmung der Faktor-Xa-Bindung an TFPI resultiert in verstärkter Thrombinbildung. In einer randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Phase-I-Dosisfindungsstudie (NCT02490787, Explorer 3) wurde der Antikörper intravenös oder subkutan in unterschiedlichen Dosierungen bei gesunden Probanden (n=28) und Hämophilie-Patienten (n=24) untersucht [1]. Die Studienziele waren der Nachweis der Sicherheit und Erkenntnisse zur Pharmakokinetik, -dynamik sowie zur Immunogenität. Es wurden keine ernsthaften Nebenwirkungen, nur sehr wenige milde Reaktionen an der Einstichstelle und keine Antikörper gegen Concizumab festgestellt. Es zeigte sich unter Concizumab ein dosisabhängiger prokoagulatorischer Effekt von D-Dimeren und Prothrombinfragmenten F1+2 im Vergleich zu Placebo. Das günstige Sicherheitsprofil nach intravenöser oder subkutaner Applikation, die nichtlineare Pharmakokinetik und der konzentrationsabhängige prokoagulatorische Effekt begünstigen weitere Studien mit subkutanem Concizumab in der Hämophilie-Behandlung.
Bei Fitusiran (ALN-AT3SC, Fa. Alnylam) handelt es sich um ein in der Entwicklung befindliches einmal monatlich subkutan verabreichtes RNAi-Therapeutikum gegen Antithrombin zur Behandlung von Hämophilie A und B ohne Inhibitoren. Die Zielstruktur von Fitusiran ist der physiologische Gerinnungshemmstoff Antithrombin (AT). Mittels RNA-Interferenz bzw. Gen-Silencing werden AT-Spiegel gesenkt, um eine ausreichende Thrombinbildung zu erreichen, die Hämostase wiederherzustellen und Blutungen zu vermeiden. In einer Phase-I-Dosiseskalierungsstudie (NCT02035605) mit gesunden Probanden (n=4) und Hämophilie-Patienten (n=25) wurden wöchentliche oder monatliche Dosierungen von Fitusiran (0,015 bis 0,075 mg/kg bzw. 0,225 bis 1,8 mg/kg oder eine fixe Dosis von 80 mg) in Hinblick auf Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Sicherheit untersucht [11]. Dabei führte die einmal monatliche subkutane Applikation von Fitusiran zu einer dosisabhängigen Reduktion des AT-Spiegels und verstärkten Thrombinbildung bei Patienten mit Hämophilie A oder B ohne Hemmantikörper. Basierend auf diesen Ergebnissen wurde ein umfangreiches Phase-II- und -III-Studienprogramm ATLAS aufgelegt, um die Langzeitsicherheit und Verträglichkeit von Fitusiran an Hämophilie-Patienten mit moderater bzw. schwerer Hämophilie zu bewerten. Dabei ist der primäre Studienendpunkt die annualisierte Blutungsrate (ABR), während sekundäre Endpunkte die spontane Blutungsrate, Gelenkblutungsrate und Lebensqualität einschließen.
Ferner gilt die angeborene Hämophilie, eine monogenetische Erkrankung, seit vielen Jahren als ein Vorreitermodell in der Entwicklung einer Gentherapie. Dabei werden mithilfe viraler Vektorsysteme intakte Kopien des Faktor-VIII- bzw. -IX-Genes in somatische Körperzellen eingebracht, um den Gendefekt zu kompensieren. Diesbezüglich wurden kürzlich einige ermutigende Studien veröffentlicht. Valoctocogen Roxaparvovec ist ein vektorbasiertes Gentherapeutikum, das eine optimierte Version des natürlichen Faktor-VIII-Gens in einem Adeno-assoziierten Virus-Vektor (AAV5-hVIII) enthält. Dieses hat sich in einer kleinen Phase-I/II-Studie bei neun Patienten mit Hämophilie A als wirksam und sicher erwiesen [14]. Eine Infusion mit AAV5-hFVIII führte zu einer anhaltenden Normalisierung der Faktor-VIII-Aktivität über einen Zeitraum von einem Jahr bei sechs von sieben Patienten, die eine hohe Dosis erhalten hatten. Ferner wurden keine schwerwiegenden Nebenwirkungen beobachtet, insbesondere kam es bei keinem Patienten zur Bildung neutralisierender Antikörper gegen Faktor VIII. Aufgrund der geringen Teilnehmerzahl soll Valoctocogen Roxaparvovec nun in weiteren Studien mit größeren Patientenzahlen getestet werden [14].
Zusammenfassung
Die Therapie der angeborenen Hämophilie ist oft durch mangelnde Patienten-Compliance und Hemmkörperbildungen limitiert. Durch die Entwicklung von Faktorpräparaten der dritten Generation mit verlängerten Halbwertszeiten konnten bereits moderate Therapieoptimierungen erzielt werden. Ein innovativer Behandlungsansatz mit dem bispezifischen, monoklonalen Antikörper Emicizumab ist äußerst vielversprechend. Erste Ergebnisse des HAVEN-Studienprogramms zeigen: Eine einmal wöchentliche Prophylaxe mit subkutanem Emicizumab kann erfolgreich Blutungen bei Hämophilie-Patienten mit Hemmkörperbildung verhindern und somit zu einem entscheidenden Therapiefortschritt beitragen. Darüber hinaus werden der anti-TFPI-Antikörper Concizumab, das RNAi-Therapeutikum Fitusiran und gentherapeutische Ansätze als weitere Therapieoptionen in der frühen klinischen Entwicklung erforscht.

Dr. rer. nat. Brigitte Hübner ist Fachapothekerin für klinische Pharmazie. Ihr fachlicher Schwerpunkt liegt in der Qualitätssicherung der Zytostatika-Herstellung und der pharmako-ökonomischen Bewertung von Arzneimittelinnovationen. Sie ist Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Onkologische Pharmazie“ sowie im Herausgeberbeirat der Zeitschrift „Krankenhauspharmazie“. Darüberhinaus referiert sie für die „Arzneimitteltherapie“.
Interessenkonflikterklärung
Es bestehen keine Interessenkonflikte.
Literatur
1. Chowdary P, et al. Safety and pharmacokinetics of anti-TFPI antibody (concizumab) in healthy volunteers and patients with hemophilia: a randomized first human dose trial. J Thromb Haemost 2015;13:743–54.
2. Fachinformationen genannter Blutgerinnungsfaktoren.
3. Hoffmann-La Roche. A clinical trial to evaluate prophylactic emicizumab versus no prophylaxis in hemophilia A participants without inhibitors. (HAVEN 3). June 2017. Available at https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02847637. Accessed on June 26, 2017.
4. Hoffmann-La Roche. A study to evaluate efficacy, safety and pharmacokinetics and pharmacodynamics of emicizumab given every 4 weeks in participants with hemophilia A (HAVEN 4). June 2017. Available at https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT03020160. Accessed on June 26, 2017.
5. Hoppe JD, et al. Querschnitts-Leitlinien (BÄK) zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten. 4. überarbeitete und aktualisierte Auflage. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag, 2014.
6. Meunier S. Safety and efficacy of glycopegylated rFVIII in paediatric patients with severe haemophilia A. Thromb Haemost 2017;117:1705–13.
7. Muto A, et al. Antifactor IXa/X bispecific antibody (ACE910): hemostatic potency against ongoing bleeds in a haemophilia A model and the possibility of routine supplementation. J Thromb Haemost 2014;12:206–13.
8. Ogiwara K, et al. A novel bispecific antibody (ACE910) against coagulation factors IXa und X improves procoagulant activity of patients with haemophilia A ex vivo to hemostatic level. J Thromb Haemost 2013;11(Suppl S2):169.
9. Oldenburg J, et al. Emicizumab prophylaxis in haemophilia A with inhibitors. N Engl J Med 2017;377:809–18.
10. Oldenburg J. Novel products for hemostasis: current status. Hemophilia 2014;20:23–8.
11. Pasi KJ, et al. Targeting antithrombin in hemophilia A or B with RNAi therapy. N Engl J Med 2017;377:819–28.
12. Pötzsch B, Madlener K. Hämostaseologie: Grundlagen, Diagnostik und Therapie. 2. Auflage. Heidelberg: Springer-Verlag, 2010: 336–8.
13. Pressemitteilung Fa. Roche. FDA erteilt US-Zulassung für Emicizumab bei Hämophilie A. 17. November 2017.
14. Rangarajan S, et al. AAV5-factor VIII gene transfer in severe hemophilia A. N Engl J Med 2017;377:2519–30.
15. Sampei Z, et al. Identification and multidimensional optimization of an asymmetric bispecific IgG antibody mimicking the function of factor VIII cofactor activity. PLoS One 2013;8:e57479.
16. Schramm W, Scharrer I. Konsensus-Empfehlungen zur Hämophiliebehandlung in Deutschland. GTH Hämophiliekommission, Update 1999. Hämophilieblätter 2000;34:62–5.
17. Vetter C. Therapie der Hämophilie A: ein Erfolgskapitel der Gentechnik. Dtsch Ärztebl 2004;101:A-2708.
18. Young G, et al. HAVEN-2: Efficacy, safety and pharmacokinetics of once weekly prophylactic emicizumab (ACE910) in pediatric patients (<12 years) with hemophilia A with inhibitors: interim analysis of single arm, multicenter, open-label phase 3 study. Presented at the 26th Biennial Congress of the International Society on Thrombosis and Haemostasis in Berlin, Germany, July 8–13, 2017. ISTH Oral presentation.
Dr. rer. nat. Brigitte Hübner, Fachapothekerin für klinische Pharmazie, Smaragdweg 34, 06120 Halle (Saale), E-Mail: brigitte.huebner@vodafone.de
New therapeutic options in the treatment of hemophilia
The treatment of inherent hemophilia as a severe bleeding disorder is mainly based on the substitution of clotting factors. Lacking compliance and the existence of inhibitory antibodies often minimize the therapeutic outcome. Therefore recombinant factor products with extended half-life arise on the market using different technologies. Further a bispecific monoclonal antibody with arms that recognize FIXa and X is being developed. The potential of these novel therapeutic approaches will be elucidated.
Arzneimitteltherapie 2018; 36(04):119-124