Prävention

Herzinfarktrisiko bei labordiagnostisch nachgewiesener Influenza erhöht


Dr. med. Marianne Schoppmeyer, Nordhorn

Die Influenza steht seit längerer Zeit im Verdacht, das Risiko für einen akuten Myokardinfarkt zu erhöhen. Forscher haben diese Hypothese überprüft und in einer Studie das Vorliegen eines direkten Zusammenhangs untersucht. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass eine labordiagnostisch nachgewiesene Influenza das Risiko eines Herzinfarkts erhöht. Auch andere respiratorische Infektionen erhöhen das Herzinfarktrisiko.

Infektionen begünstigen bei kardiovaskulär erkrankten Patienten das Auftreten eines akuten Myokardinfarkts. Die mutmaßlichen Ursachen für diesen Zusammenhang sind vielfältig. Infektionen schaffen ein prothrombotisches Milieu, sind von einer akuten inflammatorischen Reaktion begleitet und sorgen für einen erhöhten Stoffwechselbedarf und Sauerstoffverbrauch, der Ischämien begünstigt.

Nachdem ein Zusammenhang zwischen respiratorischen Infektionen und akutem Myokardinfarkt bereits seit geraumer Zeit postuliert wird, haben sich Forscher explizit der Untersuchung der Influenza als Risikofaktor für ein kardiales Ereignis gewidmet. Denn einer Influenza kann durch eine Schutzimpfung wirksam vorgebeugt werden. Die Herausstellung eines direkten Zusammenhangs der beiden Erkrankungen könnte demnach die Compliance insbesondere von Risikopatienten erhöhen.

Studiendesign

Die Wissenschaftler um Dr. Jeffey Kwong von der Universität Toronto/Kanada wählten als statistische Methode für ihre Studie das Self-Controlled-Case-Series-(SCCS-)Design, die Variante einer Fall-Kontroll-Studie. Bei diesem Studiendesign werden keine separaten Kontrollen benötigt und potenzielle zeitunabhängige Störfaktoren haben keinen Einfluss auf das Ergebnis. Als Indexdatum für die Expositionsdauer wurde der Tag des Erregernachweises festgelegt. Der Beobachtungszeitraum umfasste die Periode von einem Jahr vor und einem Jahr nach dem Indexdatum. Als „vulnerable Phase“ wurde der Zeitraum von sieben Tagen nach dem Indexdatum definiert. Als „Kontrollphase“ galt der gesamte verbleibende Zeitraum während der festgesetzten Beobachtungsperiode, das heißt die 52 Wochen vor und 51 Wochen nach dem Indexdatum. Geschätzt wurde die Inzidenz eines akuten Myokardinfarkts während der „vulnerablen Phase“ verglichen mit jener während der „Kontrollphase“. Zusätzlich wurden Schätzungen für verschieden lang bemessene „kritische Phasen“ angestellt, um eine Aussage zum besonders risikobehafteten Zeitraum der Exposition treffen zu können.

Tab. 1. Studiendesign [nach Kwong et al. 2018]

Erkrankung

Influenza

Studienziel

Influenza als Risikofaktor für das Auftreten eines akuten Myokardinfarkts

Studientyp

SCCS (Self-Controlled-Case-Series)

Eingeschlossene Patienten

364 Patienten mit akutem Myokardinfarkt, der in einem Zeitraum von einem Jahr vor oder nach laborchemisch bestätigter Diagnose einer Influenza aufgetreten war

Primäre
Endpunkte

Zusammenhang zwischen Influenza (laborchemisch nachgewiesen) und der Inzidenz eines akuten Myokardinfarkts

Sekundäre
Endpunkte

Zusammenhang zwischen der Infektion durch andere respiratorische Viren als Influenza und Atemwegserkrankungen ohne Erregernachweis und der Inzidenz eines akuten Myokardinfarkts

Sponsor

Canadian Institutes of Health Research, Public Health Ontario, Institute for Clinical Evaluative Sciences

Eingeschlossene Patienten

In die Studie eingeschlossen wurden alle gesetzlich versicherten Bürger Ontarios, die folgende Kriterien aufwiesen:

  • Vorliegender Labortest zum Nachweis eines oder mehrerer respiratorischer Viren im Zeitraum vom 01.05.2009 bis 31.05.2014
  • Alter ≥35 Jahre zum Zeitpunkt des Labortests Stationäre Behandlung aufgrund eines akuten Myokardinfarkts (Diagnose gemäß ICD-10) im Zeitraum vom 01.05.2008 bis 31.05.2015

Das mediane Alter der eingeschlossenen Teilnehmer betrug 77 Jahre, 48% der Teilnehmer waren weiblich, 24% waren bereits in der Vergangenheit aufgrund eines akuten Myokardinfarkts behandelt worden, viele der Teilnehmer wiesen ein kardiovaskuläres Risikoprofil auf und 31% waren gegen Influenza geimpft. Die meisten Influenza-Erkrankungen waren einer Infektion mit dem Influenzavirus Typ A geschuldet (82%). Die Daten wurden vom öffentlichen Gesundheitswesen in Ontario bereitgestellt.

Risiko sechsfach erhöht

20/364 Patienten erlitten während der vulnerablen Phase einen Herzinfarkt, 344/364 Patienten während der Kontrollphase. Dies entspricht einer Ereignisrate in der vulnerablen Phase von 20 Fällen/Woche im Vergleich zu 3,3 Fällen/Woche für den Rest des Beobachtungszeitraums. Damit ergibt sich eine Inzidenzrate von 6,05 für die vulnerable Phase (95%-Konfidenzintervall [KI] 3,86–9,5).

Zur näheren Untersuchung der kritischen Phasen wurden die Daten für unterschiedliche Zeiträume nach Exposition erhoben. Die Inzidenzraten waren deutlich höher für Tag 1 bis 3 (6,3; 95%-KI 3,25–12,22) und Tag 4 bis 7 nach dem Indexdatum (5,78; 95%-KI 3,17–10,53). Für die späteren Zeiträume von Tag 8 bis 14 und Tag 15 bis 28 konnte kein signifikanter Anstieg der Inzidenz mehr nachgewiesen werden (0,6; 95%-KI 0,15–2,41 und 0,75; 95%-KI 0,31–1,81).

Neben der Influenza gingen auch andere respiratorische Infekte wie RSV-Infektionen (respiratory syncytial virus) mit einem erhöhten Risiko für einen akuten Myokardinfarkt einher. Jedoch war die errechnete Inzidenzrate für RSV mit 3,51 (95%-KI 1,11–11,12) geringer als bei der Influenza. Für andere Viren betrug die errechnete Inzidenzrate 2,77 (95%-KI 1,23–6,24) und selbst bei einem negativen Labortest war das Herzinfarktrisiko erhöht (3,3; 95%-KI 1,9–5,73).

Über 65-Jährige besonders gefährdet

Eine besonders hohe Inzidenzrate wurde für Menschen über 65 Jahre festgestellt (7,31; 95%-KI 4,53–11,79), hingegen ohne signifikanten Unterschied in Bezug auf die Gruppe unter 65-Jähriger (2,38; 95%-KI 0,59–9,66; p=0,14). Auch die höhere Inzidenzrate für eine Infektion mit Influenza B (10,11; 95%-KI 4,37–23,38) war nicht signifikant im Vergleich zur Infektion mit Influenza A (5,17; 95%-KI 3,02–8,84; p=0,19).

Das erhöhte Risiko für einen akuten Myokardinfarkt war unabhängig vom Impfstatus und vom Zustand nach vorangegangenem Myokardinfarkt.

Fazit

Die Studienergebnisse zeigen ein erhöhtes Risiko für einen akuten Myokardinfarkt innerhalb der ersten sieben Tage nach einer labordiagnostisch nachgewiesenen Influenza. Ebenso wurde eine erhöhte Inzidenzrate nach Infektion mit anderen viralen Erregern der Atemwege nachgewiesen. Die Ergebnisse legen nahe, dass die Influenza als beispielhaft für den kardial gefährdenden Einfluss von respiratorischen Infektionskrankheiten im Allgemeinen gelten kann, wie man ihn schon in der Vergangenheit vermutet hat. Ebenso wurde bereits in vorangegangenen Untersuchungen festgestellt, dass ein konsequent umgesetzter Impfschutz durch Verhinderung einer Influenza-Infektion indirekt das Infarktrisiko senkt.

Die Leitlinien tragen dem bestehenden Zusammenhang zwischen Influenza-Infektion und kardiovaskulärem Risiko bereits Rechnung, indem sie für über 65-Jährige die jährliche Influenza-Impfung empfehlen. Angesichts der vorhandenen Präventionsmaßnahme betonen die Forscher, die hierzu notwendige Compliance zu erhöhen und Risikogruppen flächendeckend gegen Influenza zu impfen.

Quelle

Kwong JC, et al. Acute myocardial infarction after laboratory-confirmed influenza infection. N Engl J Med 2018;378:345–53.

Arzneimitteltherapie 2018; 36(04):139-149