Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg
Die Zahl der Patienten, die mit einem Heparin-Präparat behandelt werden, nimmt zu. Dazu kommt, dass bei bestimmten Eingriffen eine an das individuelle Risiko angepasste prolongierte Thromboseprophylaxe durchgeführt wird. Die Heparin-induzierte Thrombozytopenie ist eine seltene, aber stets potenziell lebensbedrohliche immunvermittelte Komplikation einer Heparin-Gabe, wobei das Risiko bei unfraktioniertem Heparin (UFH) deutlich – um den Faktor 10 – höher ist als bei einem niedermolekularem (NMH). Die Inzidenz bewegt sich zwischen 0,1% und 5%. Angesichts der verkürzten Liegedauer im Krankenhaus und der Verlängerung der Thromboseprophylaxe wird das Thema HIT in zunehmendem Maße auch für den poststationären Bereich (Rehabilitation, ambulante Versorgung) relevant.
Eine fehlgeleitete Immunreaktion
Ausgelöst wird HIT durch Komplexe aus Heparin und dem thrombozytär freigesetzten Plättchenfaktor 4 (PF4). Durch mehrfache Bindung von PF4 an Heparin entstehen sich wiederholende Antigenstrukturen, gegen die meist innerhalb von 5 bis 14 Tagen entsprechende Antikörper gebildet werden. Krankheitsrelevant sind IgG-Antikörper, die zusammen mit Heparin und PF4 Immunkomplexe bilden. Diese aktivieren wiederum über ihren Fc-Teil Thrombozyten. Folge ist eine unkontrollierte Aggregation und Quervernetzung der Thrombozyten, was zu einer Thrombozytopenie führt. Durch die Aktivierung der Gerinnungskaskade kommt es gleichzeitig zur Bildung von Thrombin und dadurch zu einer Aktivierung weiterer Thrombozyten beziehungsweise zur Bildung von Fibrin und somit von Thromben.
Venöse und arterielle Thromben
Klinisch manifestiert sich die HIT in Form von venösen und arteriellen Thromben. Am häufigsten sind tiefe Beinvenenthrombosen und Lungenembolien. Seltener sind periphere arterielle Thrombosen und Schlaganfälle beziehungsweise Herzinfarkte. Auch nekrotisierende Hautläsionen sollten immer an eine HIT denken lassen. Die Mortalität bei einem thrombotischen Ereignis liegt bei 20 bis 30%.
Charakterisiert ist HIT durch einen raschen Abfall der Thrombozytenwerte um >50% innerhalb von zwei bis drei Tagen und zwar typischerweise 5 bis 14 Tage nach Beginn der Heparin-Gabe. Bei Patienten, die innerhalb der letzten vier Wochen bis drei Monate Heparin erhalten haben und bereits Antikörper gebildet haben, kann eine HIT bereits am ersten Tag der erneuten Heparin-Gabe auftreten [3].
Bei Verdacht sollte die Wahrscheinlichkeit einer HIT anhand von vier klinischen Kriterien abgeschätzt werden (4T-Score):
- Vorliegen einer Thrombozytopenie
- Timing: Tag des Auftretens des Thrombozytenabfalls
- Thrombosen oder andere Komplikationen
- Andere Gründe für den Thrombozytenabfall
Die Absicherung der Diagnose erfolgt über labordiagnostische Verfahren, also den Nachweis der PF4-Antikörper beispielsweise mittels ELISA-Test. Bei positivem Antikörpernachweis ist die Durchführung eines funktionellen Tests wie dem HIPA-Test angezeigt. Damit kann gezeigt werden, ob die Thrombozyten tatsächlich durch die Antikörper aktiviert werden [3].
Umstellung auf ein anderes Antikoagulans
Die aktuelle S3-Leitlinie empfiehlt, bei Verdacht auf eine HIT das Heparin immer sofort abzusetzen und durch ein alternatives sofort wirksames Antikoagulans zu ersetzen und zwar, bevor die Ergebnisse der Labortests vorliegen [1]. Dabei bietet sich Danaparoid (Orgaran®) als eine für diese Indikation zugelassene und somit leitliniengerechte Option an. Diese Substanz hemmt den Faktor Xa und zu einem geringen Teil auch Thrombin. Die Thrombozytenfunktion wird nur minimal beeinflusst. In vitro hemmt Danaparoid die Bildung von PF4-Heparin-Komplexen und reduziert die Bindung von HIT-Antikörpern an bestehende PF4-Heparin-Komplexe. Darüber hinaus wird die immunvermittelte Aktivierung der Thrombozyten gehemmt [2, 4].
Fazit
Die Heparin-induzierte Thrombozytopenie ist eine seltene, aber sehr gefürchtete Komplikation einer Heparin-Gabe. Sie bedeutet höchste Gefahr für eine venöse oder arterielle Thrombose und verläuft untherapiert häufig tödlich. Die Diagnose wird gesichert durch den Antikörpernachweis plus Funktionstest bei klinischer Manifestation. Schon bei Verdacht muss das Heparin-Präparat abgesetzt werden. Als alternatives Koagulans bietet sich sowohl in der Prophylaxe als auch bei der Therapie Danaparoid an.
Quelle
Prof. Dr. Andreas Greinacher, Greifswald, Priv.-Doz. Dr. Jürgen Koscielny, Berlin, Dr. Kathleen Selleng, Greifswald, Satellitensymposium „Vom Verdacht zur Therapie – wie manage ich die HIT richtig?“ veranstaltet von Aspen Germany GmbH im Rahmen der 62. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH), Wien, 20. Februar 2018.
Literatur
1. AWMF S3-Leitlinie: Prophylaxe der venösen Thromboembolie, Stand 15.10.2015. www.awmf.org/leitlinien/detail/II/003-001.html (Zugriff am 22.02.18).
2. Fachinformation ORGARAN, Stand März 2016.
3. Greinacher A, et al. N Engl J Med 2015;373:252–61.
4. Linkins LA, et al. Chest 2012;141(Suppl 2):e495S–530S.
Die Beiträge in der Rubrik Pressekonferenzen werden von freien Journalisten im Auftrag der Redaktion verfasst. Die Herausgeber der Zeitschrift übernehmen keine Verantwortung für diesen Heftteil.
Arzneimitteltherapie 2018; 36(04):155-157