Akute Migräne-Attacke/Depression

Kein erhöhtes Serotoninsyndrom-Risiko bei Kombination von Triptanen und SSRI


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
In einer großen populationsbezogenen Studie an 47968 Patienten, die ihre Migräne mit einem Triptan behandeln, ergab sich kein Zusammenhang zwischen der Triptan-Einnahme, einer gleichzeitig bestehenden antidepressiven Therapie mit Serotonin- oder Norepinephrin-Wiederaufnahmehemmern und einem Serotoninsyndrom.

Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA gab im Jahr 2006 eine Warnung heraus. Sie warnte vor der gleichzeitigen Einnahme von Triptanen zur Behandlung akuter Migräne-Attacken und Antidepressiva wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder selektive Norepinephrin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI). Bei gleichzeitiger Einnahme wird ein sogenanntes Serotoninsyndrom befürchtet. Dabei kommt es plötzlich zu Tachykardie, Blutdruckschwankungen, hohem Fieber, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Bei schwerer Ausprägung kann das Serotoninsyndrom tödlich ausgehen. Eine spätere Stellungnahme der amerikanischen Kopfschmerzgesellschaft bezweifelte den Zusammenhang zwischen der Einnahme von Antidepressiva plus Triptanen und dem Auftreten eines Serotoninsyndroms. Aus Datenbanken in den Vereinigten Staaten ist bekannt, dass zwischen 20 und 40% aller Patienten, die Triptane zur Behandlung einer Migräne-Attacke einsetzen, gleichzeitig Antidepressiva einnehmen. Bisher gab es keine populationsbezogenen Studien, die den möglichen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Triptanen und SSRI oder SNRI untersucht hätten.

Studiendesign

Die vorliegende Studie stützt sich auf eine große Datenbank, in der elektronische Patientenakten von mehr als 6,5 Millionen Patienten in Boston und Umgebung gespeichert sind. Erfasst wurden in dem Register alle Patienten, bei denen nach der ICD-Kodierung eine Krankenhausdiagnose eines Serotoninsyndroms vorlag (Tab.1). Der Untersuchungszeitraum lag zwischen 2001 und 2014. Bei den so identifizierten Patienten wurde die Diagnose anhand der Krankenhaus-Informationen und des Entlassungsbriefs verifiziert. Im Rahmen der Analyse wurden 47968 Migräne-Patienten identifiziert, die regelmäßig Rezepte für Triptane erhielten. Von diesen erhielten gleichzeitig 19017 Rezepte für SSRI oder SNRI.

Tab. 1. Studiendesign (nach [Orlova et al. 2018])

Erkrankung

Depression/Migräne

Studienziel

Bestimmung des Risikos für ein Serotoninsyndrom bei gleichzeitiger Einnahme von Triptanen und Serotonin- oder Norepinephrin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI/SNRI)

Studientyp

Populationsbezogene Registerstudie

Patienten

219 Patienten mit Verdacht auf Serotoninsyndrom

Intervention

Triptan plus SSRI oder SNRI

Sponsor

Firmenunabhängig

Studienergebnisse

Bei insgesamt 219 Patienten bestand der Verdacht auf ein Serotoninsyndrom. Die genaue Durchsicht der Krankenhausakten ergab, dass bei 177 Patienten die Diagnose nicht bestätigt werden konnte und eine andere Krankheit vorlag, bei 13 Patienten passten die diagnostischen Kriterien nicht zu einem Serotoninsyndrom und bei 22 Patienten ergab sich kein Verdacht auf ein Serotoninsyndrom. Von den übrigen 17 Fällen erfüllten nur 7 die klinischen Kriterien für ein mögliches Serotoninsyndrom. Bei nur zwei Patienten konnte die Diagnose endgültig bestätigt werden. Dies entspricht einer Inzidenzrate von 0,6 Fällen pro 10000 Patientenjahre.

Kommentar

Diese große populationsbezogene Studie ist für den praktischen Alltag außerordentlich wichtig. In den Arzneimittelinformationen einiger Triptane, die in Deutschland verfügbar sind, ist eine Warnung vor der gleichzeitigen Einnahme mit Serotonin- oder Norepinephrin-Wiederaufnahmehemmern enthalten. Hier können beratende Ärzte jetzt eindeutig darauf hinweisen, dass kein erhöhtes Risiko für ein Serotoninsyndrom besteht. Die Studie hat aber eine weitere wichtige Konsequenz: Sie zeigt, wie unzuverlässig Krankenhaus-Entlassungsdiagnosen sind. Bei 229 Patienten, bei denen im Entlassungsbrief ein Serotoninsyndrom oder der Verdacht auf ein Serotoninsyndrom geäußert wurde, konnte dieser Verdacht bei genauer Durchsicht der Krankenunterlagen nur in zwei Fällen wirklich bestätigt werden und bei fünf weiteren Patienten bestand der Verdacht auf ein Serotoninsyndrom. Diese Tatsache ist ein weiterer Beleg dafür, dass bei der Verwendung von Krankenhaus-Entlassungsdiagnosen für wissenschaftliche Studien höchste Vorsicht angebracht ist.

Quelle

Orlova Y, et al. Association of coprescription of triptan antimigraine drugs and selective serotonin reuptake inhibitor or selective norepinephrine reuptake inhibitor antidepressants with serotonin syndrome. JAMA Neurol published online February 26, 2018; doi:10.1001/jamaneurol.2017.5144.

Arzneimitteltherapie 2018; 36(06):213-223