Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Patienten mit mechanischen Herzklappen benötigen eine lebenslange orale Antikoagulation. Diese wird mit Vitamin-K-Antagonisten durchgeführt, da bei Patienten mit mechanischen Herzklappen Nicht-Vitamin-K-orale Antikoagulanzien (NOAK) weniger wirksam sind als Vitamin-K-Antagonisten und mit einem erhöhten Blutungsrisiko verbunden sind. Die meisten derzeitigen Leitlinien empfehlen, nach einer stattgehabten intrazerebralen Blutung eine erneute Antikoagulation durchzuführen. Dabei werden weder spezifische Angaben über den Zeitpunkt einer erneuten Antikoagulation gemacht, noch wird das Risiko eines thromboembolischen Ereignisses oder einer erneuten Blutung definiert. Die Arbeitsgruppe der Neurologie aus Erlangen legt zu diesem Thema die Ergebnisse einer deutschen Registerstudie vor.
Studiendesign
An der Studie (RETRACE) nahmen 22 Schlaganfallzentren in Deutschland teil (Tab. 1). Sie identifizierten zwischen Januar 2006 und Dezember 2015 2504 Patienten mit Antikoagulanzien-induzierten intrazerebralen Blutungen. Von diesen waren 137 wegen mechanischer Herzklappen antikoaguliert worden. Erfasst wurde, ob die Patienten nach der intrazerebralen Blutung erneut antikoaguliert wurden, welche thromboembolischen Komplikationen eintraten, ob es erneut zu schwerwiegenden Blutungskomplikationen kam, der Zeitpunkt bis zum Start einer erneuten Antikoagulation und die Sterblichkeit.
Tab. 1. Design der RETRACE-Studie
Erkrankung |
Schlaganfall-Prävention |
Studienziel |
Wann ist der optimale Zeitpunkt für den Neustart einer therapeutischen Antikoagulation bei Patienten mit mechanischer Herzklappe und akuter intrazerebraler Blutung? |
Studientyp/Design |
Multizentrische Registerstudie |
Patienten |
137 Patienten mit mechanischen Herzklappen und Antikoagulanzien-induzierten intrazerebralen Blutungen |
Intervention |
|
Primärer Endpunkt |
Schwere Blutungsereignisse |
Sponsor |
Firmenunabhängig |
Von 148 Patienten mit mechanischen Herzklappen und intrazerebralen Blutungen verstarben elf im Krankenhaus. Von den übrigen 137 Patienten erhielten 16 keine Antikoagulanzien und 55 Heparin oder niedermolekulares Heparin für die Prophylaxe tiefer Beinvenenthrombosen. In dieser Gruppe verblieben 71 Patienten ohne weitere therapeutische Antikoagulation. Die übrigen 66 Patienten wurden therapeutisch antikoaguliert: 13 Patienten mit Vitamin-K-Antagonisten und 53 erhielten Heparin oder Heparinoide.
Das mittlere Alter der Patienten lag bei 70 Jahren, 33% der Patienten waren Frauen. Fast alle Patienten erhielten eine Behandlung mit Prothrombinkomplex und etwa 15% mit Fresh-Frozen-Plasma (FFP). Die INR bei Krankenhausaufnahme betrug im Mittel 2,7 bis 2,83.
Studienergebnisse
Bei 25% der Patienten führte die Behandlung mit Gerinnungsfaktoren zu einem geringeren Risiko einer Vergrößerung der intrakraniellen Blutung mit 20% versus 49%. Patienten, die erneut antikoaguliert wurden, hatten ein signifikant geringeres Volumen der intrazerebralen Blutung als Patienten, die nicht mehr antikoaguliert wurden.
Im weiteren Verlauf erlitten 21 von 137 Patienten (15,3%) eine Blutungskomplikation. Bei Patienten, die erneut antikoaguliert wurden, trat dies bei 25,8% auf, im Vergleich zu 5,6% der Patienten, die nicht erneut antikoaguliert wurden. Insgesamt erlitten 8 von 137 Patienten eine thromboembolische Komplikation, davon 1 von 66 Patienten, die erneut antikoaguliert wurden (1,5%) und 7 von 71, die nicht erneut antikoaguliert wurden (9,9%). Dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant. Im Weiteren wurde dann das Risiko einer erneuten Blutung bei erneuter Antikoagulation in Abhängigkeit vom Beginn der Antikoagulation berechnet. Bis zum Tag 13 nach der Blutung bestand ein erhöhtes Risiko einer erneuten Blutung, wenn die Patienten antikoaguliert wurden. Ab Tag 14 war das Risiko gegenüber Patienten, die nicht antikoaguliert wurden, nicht mehr statistisch signifikant erhöht.
Kommentar
Die Registerstudie ist die erste große Analyse von Patienten, die wegen mechanischer Herzklappen mit Vitamin-K-Antagonisten antikoaguliert sind und eine intrazerebrale Blutung erlitten haben. Das Register zeigt, dass etwa die Hälfte aller Patienten erneut antikoaguliert wird. Da es sich nicht um eine randomisierte Studie handelt, muss davon ausgegangen werden, dass insbesondere Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko und solche mit großen intrazerebralen Blutungen nicht erneut antikoaguliert wurden. Für den klinischen Alltag ist besonders bedeutsam, dass der Beginn einer erneuten Antikoagulation innerhalb von 14 Tagen mit einem erhöhten Risiko einer schwerwiegenden Blutungskomplikation assoziiert ist, während es nur einen Trend zugunsten der Reduktion thromboembolischer Ereignisse gibt. Der früheste Zeitpunkt, zu dem eine erneute Antikoagulation bei Patienten mit sehr hohem thromboembolischen Risiko möglich ist, ist der Tag 6. Mit den Registerdaten aus Erlangen ist es jetzt zum ersten Mal möglich, in Leitlinien evidenzbasierte Empfehlungen zur Antikoagulation bei Patienten mit mechanischen Herzklappen zu geben.
Quelle
Kuramatsu JB, et al. Management of therapeutic anticoagulation in patients with intracerebral haemorrhage and mechanical heart valves. Eur Heart J 2018 Feb 24. doi: 10.1093/eurheartj/ehy056. [Epub ahead of print].
Arzneimitteltherapie 2018; 36(06):213-223