Simone Reisdorf, Erfurt
Klassische starke Opioide sind oft mit Obstipation assoziiert. Das zeigt beispielsweise eine Post-hoc-Analyse über acht prospektive, randomisierte Studien. Insgesamt 901 Patienten mit starken chronischen Schmerzen des unteren Rückens, die mit verschiedenen Analgetika der WHO-Stufe 3 behandelt wurden, waren darin eingeschlossen.
Innerhalb der ersten drei Monate erlebten 53,2% der Patienten unter Oxycodon und 58,3% der Patienten unter Morphin relevante Nebenwirkungen. Bei den meisten hatte sich die Verdauung, gemessen am Bowel-Function-Index (BFI), deutlich verschlechtert. 24,7% bzw. 25,3% aller Patienten unter diesen beiden Analgetika brachen deshalb die Schmerztherapie wieder ab [1].
Opioid-sparender Effekt von Tapentadol
Nach noch nicht publizierten Daten des deutschen PraxisRegisters Schmerz können Patienten mit insuffizienter oder unverträglicher Analgesie von einer Umstellung auf Tapentadol (Palexia®) profitieren. Die Daten legen nahe, dass sich auch ein direkter Wechsel von Nicht-Opioid-Analgetika zu Tapentadol lohnen kann; die Schmerzstärke wird erheblich reduziert. Patienten unter starken Opioiden kann die Umstellung auf Tapentadol neben weiterer Schmerzlinderung Besserung in der Darmfunktion bringen.
Tapentadol verfügt über einen dualen Wirkungsmechanismus:
- Als μ-Opioid-Rezeptoragonist (MOR) reduziert es die Überaktivität der peripheren Nervenfasern und des Rückenmarks.
- Als Noradrenalin-Wiederaufnahmehemer (NRI) wirkt es in den Synapsen der Schmerz-hemmenden Bahnen und stabilisiert auf diese Weise die körpereigene Schmerzkontrolle.
Aufgrund dieses Doppeleffekts ist Tapentadol geeignet, der Schmerzchronifizierung entgegen zu wirken.
Ein weiterer Vorteil ist die Verträglichkeit: Die synergistische Wirkung erlaubt eine μ-Opioid-Einsparung. Deshalb treten unter Tapentadol im Vergleich zu retardiertem Oxycodon weniger Opioid-typische Nebenwirkungen auf, etwa Obstipation oder Übelkeit. Zudem verursachte Tapentadol (100 mg) in einer Studie an gesunden Probanden weniger Atemdepression als Oxycodon in äqui-analgetischer Dosierung (20 mg) [2].
Signifikante Reduktion der Schmerzstärke
Daten aus der täglichen Praxis bestätigen das günstige Nutzen-Risiko-Profil von Tapentadol. So finden sich im deutschen PraxisRegister Schmerz mehr als 10000 Tapentadol-behandelte Patienten (Stand: Ende Dezember 2017). 562 von ihnen bekamen zuvor eine Therapie gemäß WHO-Stufe 1, also Nicht-Opioid-Analgetika (Gruppe 1). Deutlich größer waren die Subgruppen der Patienten, die vor Therapiebeginn mit Tapentadol ein Analgetikum der WHO-Stufe 2 (schwach wirksame Opioide, Gruppe 2) oder der WHO-Stufe 3 (stark wirksame Opioide, Gruppe 3) erhalten hatten.
Für eine vergleichende Analyse wurden aus allen drei Subgruppen jeweils 252 Patienten ausgewählt, die sich hinsichtlich ihrer Basischarakteristika ähnelten (mittleres Alter knapp 48 Jahre, Geschlechterverteilung, Grad der Schmerzchronifizierung, Dysfunktionalität laut von-Korff-Score).
Die Patienten der drei Subgruppen waren erwartungsgemäß unterschiedlich lange vorbehandelt: Im Durchschnitt bestanden ihre starken Schmerzen bereits seit 124, 361 bzw. 703 Tagen. In dieser Zeit hatten sie durchschnittlich 2,3 bzw. 5,6 bzw. 7,4 Analgetika erhalten und waren bei 3,1 bzw. 5,2 bzw. 6,9 Schmerztherapeuten in Behandlung gewesen.
Die mittlere Schmerzintensität lag anfangs bei etwa 45 bis 46 mm auf der visuellen Analogskala (mm VAS). Innerhalb von zwölf Wochen konnte sie in den drei Gruppen mit Vortherapie nach WHO-Stufe 1, 2 bzw. 3 auf nur noch 13,4 mm VAS, 19,1 mm VAS bzw. 20,6 mm VAS verringert werden. Das entsprach einer relativen Schmerzreduktion um 72,7%, 59,8% bzw. 56,5%.
Hatten zu Beginn nur 2,8% der Patienten der ersten Gruppe (WHO-Stufe 1) eine Schmerzstärke ≤20 mm VAS, so waren es nach zwölf Wochen unter Tapentadol 74,6%. In den beiden anderen Gruppen stieg der Anteil von 7,9% auf 63,1% bzw. von 7,1% auf 58,7%. Der Wechsel zu Tapentadol – also lediglich eine einzige therapeutische Maßnahme – verhalf 71,8% bzw. 62,3% bzw. 55,2% der Patienten zum Erreichen ihres persönlichen Behandlungsziels.
Verbesserte Darmfunktion
In allen drei Gruppen besserten sich zudem die Lebensqualität und die Alltagsfunktionalität der Patienten und sie versäumten weniger Arbeitstage als zuvor. Während der Bowel-Function-Index der beiden ersten Gruppen weitgehend stabil blieb, profitierte die Gruppe mit Vortherapie laut WHO-Stufe 3 unter Tapentadol von einer besseren Verträglichkeit: Ihr mittlerer BFI sank von einem deutlich pathologischen Wert in den physiologischen Bereich.
Quelle
Priv.-Doz. Dr. Ralf Baron, Kiel, Priv.-Doz. Dr. Michael Überall, Nürnberg, Symposium „Pharmakologische Prävention der Schmerzchronifizierung – nicht nur reden, sondern (endlich) handeln!“, veranstaltet von Grünenthal im Rahmen des Schmerz- und Palliativtags 2018, Frankfurt, 8. März 2018.
Literatur
1. Ueberall MA, Mueller-Schwefe GHH. Development of opioid-induced constipation: post hoc analysis of data from a 12-week prospective, open-label, blinded-endpoint streamlined study in low-back pain patients treated with prolonged-release WHO step III opioids. J Pain Res 2015;8:459–75.
2. van der Schrier R, Jonkman K, van Velzen M, et al. An experimental study comparing the respiratory effects of tapentadol and oxycodone in healthy volunteers. Br J Anaesth 2017;119:1169–77.
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Arzneimitteltherapie 2018; 36(06):229-233