Dr. Miriam Sonnet, Rheinstetten
Schwangere Frauen sind teilweise, aufgrund von Schmerzen, auf Opioide angewiesen. Aber auch der Missbrauch der Medikamente in der Schwangerschaft ist keine Seltenheit [1]. Mehr als die Hälfte der Neugeborenen entwickelt daraufhin eine Abhängigkeit und leidet unter einem neonatalen Abstinenzsyndrom (NAS), das unter anderem mit einer Dysfunktion des Nervensystems einhergeht. Für die Therapie des NAS gibt es bisher keinen Standard. Experten empfehlen zwar die Behandlung mit Opioiden, wie Morphin und Methadon, umfangreiche Daten zur Effizienz und Sicherheit fehlen allerdings bis heute.
Auch bei der empfohlenen Dosierung gibt es Unterschiede. Manche Ärzte bestimmen die Konzentration des Opioids auf Grundlage des Körpergewichts, andere wiederum wählen die Dosierung anhand der Schwere der Symptome. Hier dient oft der „Finnegan Score“ (FS) als Grundlage.
In einer neuen randomisierten doppelblinden Studie wurden Sicherheit und Effizienz der beiden Opioide Methadon und Morphin bei der Therapie des NAS untersucht.
Dosisbestimmung mittels FS
Insgesamt 183 Mütter, die während der Schwangerschaft Opioide eingenommen hatten, gaben die Einwilligung für ihre Neugeborenen, um an der Studie teilzunehmen. Davon benötigen 117 Kinder eine Therapie. Sie wurden 1 : 1 zu Methadon oder Morphin randomisiert (Tab. 1). Bei der Bestimmung der Dosierung richteten sich die Autoren nach der Schwere der Symptome gemäß FS. Die Säuglinge bekamen Methadon, alternierend mit einem Placebo alle vier Stunden oder Morphin alle vier Stunden. Alle vier Stunden wurde der FS bestimmt. Die Startdosierung wurde je nach FS angepasst. Wenn sich der Score trotz Maximaldosis nicht verringerte, bekamen die Säuglinge zusätzlich Phenobarbital (20 mg/kg Loading, gefolgt von 1 bis 5 mg/kg täglich).
Tab. 1. Studiendesign [nach Davis et al.]
Erkrankung |
Neonatales Abstinenzsyndrom (NAS) |
Studienziel |
Effizienz und Sicherheit von Methadon im Vergleich zu Morphin bei der Behandlung des NAS |
Studiendesign |
Randomisiert, doppelblind, Intention-to-treat |
Eingeschlossene Patienten |
117 Säuglinge (analysiert wurden nur 116; mittleres Gestationsalter: 39,1 Wochen; mittleres Geburtsgewicht: 3157 Gramm) |
Intervention |
|
Primärer Endpunkt |
Dauer der Hospitalisierung (length of hospital stay, LOS) |
Sekundäre Endpunkte |
|
Studienregisternr. |
NCT01958476 (ClinicalTrials.gov) |
FS: Finnegan Score zur Bestimmung des NAS-Schweregrads
Es gab insgesamt 13 Nebenwirkungen, darunter eine flache Atmung, Bradykardie, Sauerstoffentsättigung, Lethargie, schlechte Nahrungsaufnahme, Hypothermie und Emesis. Sie kamen in beiden Gruppen gleich häufig vor. Ein Säugling aus der Methadon-Gruppe bekam eine schwerwiegende Nebenwirkung mit Apnoe, Lethargie und Hypothermie, die in der Neugeborenen-Intensivstation behandelt werden musste. Die Medikamentendosierung wurde entsprechend der Nebenwirkungen angepasst und alle Säuglinge konnten die Studie fortsetzen.
In der Methadon-Gruppe gab es mehr Mütter, die fünf oder mehr Zigaretten pro Tag rauchten. Auch die Anzahl der Säuglinge, die initial in der Neugeborenenstation behandelt worden waren, war in der Methadon-Gruppe höher. Alle anderen demographischen Daten und Risikofaktoren waren zwischen den beiden Gruppen ähnlich.
Methadon reduziert die Länge des Klinikaufenthalts
Primärer Endpunkt war die Dauer der Hospitalisierung (LOS). Die erste Analyse (unbereinigt) zeigte keine signifikanten Unterschiede zwischen den Studiengruppen. Wurde die Analyse hinsichtlich Studienzentrum und mütterlichem Opioid-Typ bereinigt, war Methadon Morphin in Bezug auf die mittlere relative LOS mit einer Differenz von 2,9 Tagen überlegen (14%ige LOS-Reduktion, relative Anzahl von Tagen 0,86; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,74–1,00; p = 0,046). Im Median betrug die Gesamt-LOS mit Methadon 16 Tage und mit Morphin 20 Tage (p < 0,005).
Auch hinsichtlich der sekundären Endpunkte hatte Methadon Vorteile gegenüber Morphin. Die Hospitalisierungsdauer in Bezug auf NAS war um 14 % geringer (relative Anzahl von Tagen: 0,86; p = 0,01); im Median betrug sie 16 vs. 19 Tage (p < 0,005). Die Dauer der Behandlung mit dem Studienmedikament (LOT) war um 16 % kürzer (relative Anzahl von Tagen 0,84; p = 0,02) und betrug im Median 11,5 vs. 15 Tage (p = 0,009). Weniger Säuglinge in der Methadon-Gruppe waren auf Phenobarbital angewiesen, der Unterschied war jedoch statistisch nicht signifikant.
Fazit
Methadon war in der Studie Morphin bei der Therapie eines neonatalen Abstinenzsyndroms (NAS) überlegen. Laut Autoren können selbst kleinere Verringerungen der Hospitalisierungsdauer den ökonomischen Effekt eines NAS reduzieren. Dennoch müsse man die Faktoren, die zur Schwere einer NAS beitragen, und die Langzeitsicherheit der verschiedenen Behandlungsansätze besser untersuchen.
Quelle
Davis JM, et al. Comparison of safety and efficacy of methadone vs morphine for treatment of neonatal abstinence syndrome – A randomized clinical trial. JAMA Pediatr 2018;172:741–8.
Literatur
1. Jones HE, Kaltenbach K, Heil SH, et al. Neonatal abstinence syndrome after methadone or buprenorphine exposure. N Engl J Med 2010;363:2320–31.
Arzneimitteltherapie 2018; 36(11):399-410