Dr. med. Peter Stiefelhagen, Starnberg

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Alljährlich bietet der Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) ein Forum, auf dem die neuesten Forschungsergebnisse aus dem gesamten Bereich der Kardiologie präsentiert und diskutiert werden.
Einer der Schwerpunkte war diesmal die Sekundärprävention nach einem akuten Koronarsyndrom (ACS). Nach dem Infarkt ist bekanntlich vor dem Infarkt. Jeder Fünfte erleidet innerhalb des ersten Jahres nach dem primären Ereignis ein Rezidiv. In den darauffolgenden vier Jahren sind es nochmals etwa 20 % – dabei ist nicht selten eine andere Stelle im Koronargefäßsystem betroffen. Die Arteriosklerose ist eben eine Systemerkrankung. Besonders vulnerabel sind Plaques mit einem weichen Lipidkern und einer dünnen fibrösen Kappe. Solche vulnerablen Plaques machen wiederum den Patienten vulnerabel.
Es besteht Bedarf an neuen effektiveren Strategien für die Sekundärprävention. Dabei konkurrieren verschiedene Optionen miteinander:
- Eine verlängerte, das heißt länger als ein Jahr durchgeführte duale Plättchenhemmung
- Eine zusätzliche antithrombotische Therapie mit einem Nicht-Vitamin-K-oralem Antikoagulans (NOAK)
- Eine aggressivere Lipidsenkung mit einem Proprotein-Konvertase-Subtilisin-Kexin-Typ-9(PCSK9)-Inhibitor
- Eine antiinflammatorische Therapie mit dem Interleukin-1-β-Inhibitor Canakinumab
Für alle vier Möglichkeiten liegen erste positive Studienergebnisse vor. Doch die Frage bleibt, welche dieser Strategien für welchen Patienten am effektivsten ist. Denn „one size doesn’t fit all“.
Ein immer wieder neu diskutiertes Thema ist und bleibt die Primärprävention mit Acetylsalicylsäure (ASS). Bisher gibt es dafür keine Empfehlung. Auch nach zwei neueren Studien dürfte sich an dieser Zurückhaltung nichts ändern. In der ARRIVE-Studie fiel bei Personen mit einem moderaten Risiko die Nutzen-Risiko-Bewertung ebenso negativ aus wie in der ASCEND-Studie bei Diabetikern (s. Beitrag Diener, S. 405f.).
Bei herzinsuffizienten Patienten mit stabilem Sinusrhythmus konnte die zusätzliche Gabe des Faktor-Xa-Inhibitors Rivaroxaban in der COMMANDER-Studie die Prognose – den kombinierten Endpunkt aus Gesamtsterblichkeit, Herzinfarkt und Schlaganfall – nicht günstig beeinflussen.
Enttäuschend sind auch die Ergebnisse der MITRA.fr-Studie. Nach den bisherigen Daten aus Registerstudien ist die Implantation von MitraClips bei schwer herzinsuffizienten Patienten mit sekundärer Mitralinsuffizienz ein lohnenswerter Eingriff. Doch die Gesamtprognose wird nach den Ergebnissen dieser Studie, die erstmals das Outcome dieser Prozedur beleuchtet, nicht verbessert. Dies spricht dafür, dass die Prognose solcher Patienten weitestgehend vom Ausmaß der linksventrikulären Dysfunktion bestimmt wird und die sekundäre Mitralinsuffizienz nur einen Indikator für die schlechte Pumpfunktion darstellt.
In der GLOBAL-LEADERS-Studie erwies sich bei Patienten, die einen DES (Drug-eluting stent) erhalten hatten, eine Monotherapie mit Ticagrelor über die folgenden 23 Monate nach einer einmonatigen dualen Plättchenhemmung einer durchgehenden 24-monatigen dualen Plättchenhemmung mit ASS und Clopidogrel bzw. Ticagrelor nicht als überlegen, weder in Bezug auf die Ereignisrate noch auf die Blutungsrate.
Von besonderer praktischer Relevanz ist die POET-Studie. Die linksseitige bakterielle Endokarditis wird in der Regel über sechs Wochen antibiotisch i. v. behandelt, wodurch sich der Krankenhausaufenthalt deutlich mehr verlängert, als es vom Krankheitsverlauf her gesehen notwendig wäre. Jetzt wurde erstmals untersucht, ob eine Umstellung der Antibiose von i. v. nach oral nach etwa drei Wochen vertretbar ist. Eingeschlossen wurden 300 stabile Patienten. Die Auswertung ergab nur eine Differenz beim kombinierten Endpunkt (Gesamtmortalität, notwendige Operation, embolisches Ereignis oder wiederkehrende Bakteriämie) von 3,1 % zugunsten der i. v. Gabe – die orale Strategie war der intravenösen also nicht unterlegen.
Auch die Kardiologie wird durch die Digitalsierung bereichert. Dies gilt insbesondere für die Detektion von Herzrhythmusstörungen mittels Smartphone. Wie effektiv und zuverlässig dies ist, konnte in einer ersten Studie (DIGITAL AF) gezeigt werden. Es mussten 225 Personen mit dem Handy gescreent werden, um einen Patienten mit einen asymptomatischen Vorhofflimmern zu detektieren.
Arzneimitteltherapie 2018; 36(11):379-379