Dr. Sabine Fischer, Stuttgart
Harnwegsinfektionen (UTI) sind die häufigsten bakteriellen Infektionen bei älteren Patienten. Das Spektrum von UTI rangiert von leichten, selbst limitierenden Erkrankungen bis hin zur schweren Sepsis mit einer Mortalitätsrate von 20 bis 40 %. Die Häufigkeit einer Sepsis und der damit verbundenen Mortalität steigt mit zunehmendem Alter. Die Diagnose von UTI fällt bei älteren Patienten manchmal schwer, da diese im Gegensatz zu jungen Patienten oft keine typischen Symptome zeigen.
Aufgrund steigender Zahlen von septischen Infektionen in England untersuchte man in der vorliegenden Studie, inwieweit ein früher Einsatz von Antibiotika bei Harnwegsinfektionen sinnvoll ist.
Studiendesign
In der retrospektiven bevölkerungsbasierten Kohortenstudie werteten die Autoren die Daten von 157 264 Patienten aus, die zwischen 2007 und 2015 wegen einer Harnwegsinfektion ärztlich behandelt wurden (Tab. 1). Dabei berücksichtigte man nur Patienten mit einem Alter von mindestens 65 Jahren. Patienten mit komplizierten UTI wurden genauso ausgeschlossen wie solche, die eine asymptomatische Bakteriurie zeigten, direkt ins Krankenhaus eingeliefert wurden oder am Tag der Diagnose verstarben.
Tab. 1. Studiendesign [nach Gharbi et al. 2019]
Erkrankung |
Harnwegsinfektion |
Studienziel |
Kann eine frühe Antibiotikagabe schwere Krankheitsverläufe vermeiden? |
Studientyp |
Retrospektiv |
Studiendesign |
Bevölkerungsbasierte Kohortenstudie |
Eingeschlossene Patienten |
157 264 Patienten mit Harnwegsinfektion im Alter von mindestens 65 Jahren |
Primäre Endpunkte |
Septische Infektionen und die Gesamtsterblichkeit innerhalb von 60 Tagen nach initialer Diagnose |
Sekundäre Endpunkte |
Krankenhauseinweisung innerhalb von 60 Tagen nach initialer Diagnose (u. a.) |
Sponsor |
Daten bereitgestellt vom Clinical Practice Research Datalink (CRPD) |
Primäre Endpunkte waren septische Infektionen (Sepsis, Septikämie und Bakteriämie) und die Gesamtsterblichkeit innerhalb von 60 Tagen nach initialer Diagnose. Sekundärer Endpunkt war unter anderem eine Krankenhauseinweisung innerhalb von 60 Tagen nach Diagnosestellung.
Eine frühe Antibiotikagabe bei UTI reduziert schwerwiegende Komplikationen
Ausgewertet wurden 312 896 UTI-Episoden bei 157 264 Patienten. In 7,2 % (22 534 Fällen) wurde kein Antibiotikum verordnet, in 6,2 % (19 292) erfolgte die Antibiotika-Verordnung verzögert. 1539 Fälle (0,5 %) von septischen Infektionen wurden innerhalb von 60 Tagen nach initialer Diagnose verzeichnet. Dabei lag die Rate bei den Patienten, die kein Antibiotikum erhalten hatten (2,9 %) oder erst bei einem späteren Arztbesuch innerhalb von sieben Tagen nach der ersten Diagnose (2,2 %), signifikant höher als bei den Patienten, die direkt ein Antibiotikum erhalten hatten (0,2 %; p = 0,001). Nach Anpassung der Kovariaten hatten Patienten mit verspäteter Antibiotikagabe ebenso ein signifikant höheres Risiko für eine septische Infektion (angepasstes Odds-Ratio 7,12; 95%-Konfidenzintervall [KI] 6,22–8,14) wie Patienten ohne Antibiotikum (8,08; 95%-KI 7,12–9,16) verglichen mit einer sofortigen Antibiotikagabe. Die Number needed to harm (NNH) für septische Infektionen lag in der Gruppe der Patienten ohne Antibiotikum niedriger (NNH = 37) als in der Gruppe mit verspäteter Gabe (NNH = 51), was bedeutet, dass durchschnittlich einer von 37 bzw. 51 Patienten eine septisches Infektion erlitt, die bei sofortiger Antibiotikagabe nicht aufgetreten wäre.
Die Anzahl an Krankenhauseinweisungen war fast doppelt so hoch in den Gruppen ohne (27,0 %) bzw. mit verspätetem Antibiotikum (26,8 %) wie bei sofortiger Gabe (14,8 %; p = 0,001).
Die Gesamtmortalität innerhalb von 60 Tagen nach Erstdiagnose war ebenfalls in den Gruppen mit verspätetem bzw. ohne Antibiotikum signifikant höher als bei sofortiger Antibiotikagabe (angepasster Risikoquotient 1,16; 95%-KI 1,06–1,27 bzw. 2,18; 95%-KI 2,04–2,33).
Fazit
Ältere Patienten mit Harnwegsinfektionen profitieren deutlich von einer sofortigen Antibiotikagabe. Dadurch können schwerwiegende Komplikationen vermieden, Krankenhausaufenthalte reduziert und die Gesamtmortalität gesenkt werden.
Quelle
Gharbi M, et al. Antibiotic management of urinary tract infection in elderly patients in primary care and its association with bloodstream infections and all cause mortality: population based cohort study. BMJ 2019;364:I525.
Arzneimitteltherapie 2019; 37(06):229-247