Dr. Maja M. Christ, Stuttgart
Seit Inkrafttreten des „Cannabisgesetzes“ 2017 können Ärzte cannabishaltige Arzneimittel verordnen, sofern der Patient unter einer schwerwiegenden Erkrankung leidet und es keine Therapiealternativen gibt [1]. Seitdem sind die Abgaben von cannabishaltigen Fertigarzneimitteln, Rezepturen und Blüten stetig gestiegen. Allerdings wurden bei der Verschreibungsfähigkeit von Medizinalhanf die Standards, die für Arzneimittelzulassungen in Europa üblich sind, nicht berücksichtigt. So haben viele Studien mit Cannabis weniger als das übliche Minimum von 50 Teilnehmern. Das betonte Michael Überall, Nürnberg, auf dem 30. Deutschen Schmerz- und Palliativtag. Zu vielen Krankheitsbildern können aufgrund der begrenzten Datenlage noch gar keine evidenzbasierten Aussagen zur Wirksamkeit gemacht werden.
Evidenz besteht derzeit nur für das Nabiximols-Oromukosalspray (Sativex®), ein cannabinoidbasiertes Fertigarzneimittel, das die Cannabinoide Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) im definierten Verhältnis (27 : 25) enthält [2]. Es ist zugelassen zur Symptomverbesserung bei erwachsenen Patienten mit multipler Sklerose (MS) und mittelschwerer bis schwerer Spastik [2].
Welche Patienten von Cannabinoiden profitieren …
Nabiximols ist bei chronischen Schmerzen die am besten untersuchte Cannabisarznei. Die Evidenz für eine leichte Schmerzreduktion versus Placebo ist gut. Eine eingeschränkte Evidenz für den Einsatz des Sprays besteht bei neuropathischen Schmerzen.
Keine ausreichende Evidenz für Cannabinoide gibt es laut Überall bei Tumorschmerzen, rheumatischen und gastrointestinalen Schmerzen oder bei Appetitlosigkeit bei Krebs und AIDS. In der Indikation „Übelkeit und Erbrechen bzw. Appetitstimulation“ bei Menschen mit chemotherapeutisch behandelter Krebserkrankung und HIV/AIDS wurde allerdings ein Nutzen der medizinischen Anwendung von Cannabis gefunden. Außerdem besserte sich die Spastizität bei MS.
… zeigen Real-World-Daten aus dem PraxisRegister Schmerz
In einer Auswertung von Daten des PraxisRegisters Schmerz wurden zwischen März und Dezember 2017 1224 Patienten dokumentiert, die Cannabis als Medizin erhielten [3]. Darunter erhielten 800 Patienten (65 %) das Nabiximols-Oromukosalspray. 93 % dieser Patienten wiesen dysfunktionale Schmerzen auf, mehr als die Hälfte hatte neuropathische Schmerzen. Die Patienten waren zuvor im Mittel bei acht bis neun verschiedenen Ärzten und hatten median zehn unterschiedliche Analgetika und sechs nichtmedikamentöse Schmerztherapien erhalten. Initial erhielten die Patienten ein bis vier Hübe pro Tag (im Mittel 2,6), nach vier Wochen im Rahmen der Auftitrierung drei bis elf Hübe pro Tag (im Mittel 7,1).
Nach 12 Wochen Anwendung des Nabiximols-Oromukosalsprays hatten sich schwerwiegende Beeinträchtigungen durch Schmerz oder Stress deutlich gebessert (Tab. 1). Unter der Behandlung mit dem Nabiximols-Oromukosalspray ging auch der Bedarf an sonstigen Analgetika zur Dauer- und Notfalltherapie zurück – sowohl bezüglich der Anzahl als auch der Dosis.
Tab. 1. Veränderung der schwerwiegenden Beeinträchtigungen nach 12 Wochen mit Nabiximols-Oromukosalspray (nach [3])
Beschwerden |
Patienten mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen |
Relative Linderung der Beschwerden |
Rückgang ≥ 30 % von Baseline |
|
Vor Behandlung |
Nach 12 Wochen |
|||
Schmerz |
82,9 % |
20,0 % |
55,7 % |
82,3 % |
Funktion |
82,0 % |
19,1 % |
50,6 % |
81,8 % |
Schlaf |
74,9 % |
30,1 % |
42,0 % |
68,4 % |
Wohlbefinden |
78,3 % |
29,4 % |
21,8 % |
56,4 % |
QoL Körper |
78,6 % |
32,5 % |
11,3 % |
35,9 % |
QoL Seele |
54,0 % |
31,9 % |
< 5 % |
14,0 % |
Depressivität |
90,4 % |
30,0 % |
55,1 % |
81,8 % |
Angst |
87,3 % |
29,8 % |
49,7 % |
76,1 % |
Stress |
68,4 % |
6,6 % |
61,2 % |
90,6 % |
QoL: Lebensqualität
Bei der Gesamtauswertung zeigte sich, dass Patienten mit nozizeptiven Schmerzen – im Gegensatz zu neuropathischen Schmerzen – nicht von dem Spray profitierten (Abb. 1).

Abb. 1. Rückgang der Schmerzintensität nach 12 Wochen Nabiximols-Oromukosalspray – differenziert nach Schmerztyp (nach [3])
Als vorhersagerelevante Parameter für den Therapieerfolg unter dem Nabiximols-Oromukosalspray konnten Schmerzphänotyp, Stress, Angst, Schmerzintensität und körperliche Lebensqualität identifiziert werden.
Insgesamt wurde das Nabiximols-Oromukosalspray gut vertragen. Unerwünschte Wirkungen wurden bei 159 Patienten (19,9 %) dokumentiert, die überwiegend geringer Intensität waren. Darunter wurden vor allem Wirkungen auf Stoffwechsel (27,2 %), Nervensystem (25,3) und Gastrointestinaltrakt (20,4 %) gemeldet. Insgesamt 32 Patienten beendeten die Behandlung wegen unerwünschter Nebenwirkungen, beispielsweise wegen eines unangenehmen Geschmacks des Spray oder gesteigertem Appetit. Unzureichende Schmerzlinderung führte bei 113 Patienten zum Abbruch der Behandlung.
Fazit und Ausblick
Für die Wirksamkeit von Cannabinoiden fehlt in vielen Bereichen noch die Evidenz aus geeigneten klinischen Studien. Lediglich für das zugelassene Nabiximols-Oromukosalspray liegt eine gute Datenbasis vor, die in einer Auswertung aus dem PraxisRegister Schmerz bestätigt werden konnte. Wichtig ist, dass Cannabinoide nach bisherigem Wissenstand bei nozizeptivem Schmerz nicht wirksam sind. Am wirksamsten zeigten sie sich bei neuropathischen Schmerzen.
Therapeutisch interessant ist nicht nur das Tetrahydrocannabinol (THC, Dronabinol), sondern auch das kaum psychoaktiv wirkende Cannabidiol (CBD). Es wirkt antipsychotisch, müsste aber für stärkere Effekte in deutlich höheren Dosen als bislang üblich eingesetzt werden. Außerdem stehen klinische Studien noch aus – die Wirksamkeit wurde bislang vor allem im Tiermodell untersucht.
Quelle
Prof. Dr. Beat Lutz, Mainz, Priv.-Doz. Dr. Michael Überall, Nürnberg, Lunch-Symposium „Cannabis als Medizin – Evidenz oder Eminenz?“, unterstützt von Almirall im Rahmen des 30. Deutschen Schmerz- und Palliativtags 2019, Frankfurt, 7. März 2019.
Literatur
1. Bundesgesetzblatt Teil I. Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften. Nr. 11 vom 09.09.2017.
2. Fachinfo Sativex®. Stand März 2015.
3. Überall MA, Müller-Schwefe GHH. Schmerzmedizin 2019;35:42–50.
Arzneimitteltherapie 2019; 37(06):229-247