Hartmut Lode, Berlin
Komplizierte intraabdominelle Infektionen umfassen einen Komplex aus unterschiedlichen entzündlichen bakteriellen Manifestationen. In einer 2017 publizierten globalen Studie zu komplizierten intraabdominellen Infektionen mit Einschluss von 4553 Patienten aus 132 Krankenhäusern waren die Appendizitis (34,2 %), gefolgt von Cholezystitis (18,5 %), gastroduodenalen Perforationen (11 %) und postoperativen Komplikationen (8,5 %) die häufigsten Ursachen für eine derartige Infektion [6]. Die Letalität in dieser Studie betrug 9,2 % und in etwa 8 % wurden resistente Enterobakterien, vorwiegend ESBL-produzierende Erreger, nachgewiesen; diese mikrobiologischen Befunde entsprachen auch weitgehend den Zulassungsstudien für Eravacyclin [9, 10].
Unterschieden werden die ambulant erworbenen (Mehrzahl der Patienten) von den nosokomialen oder im Pflegeheim akquirierten Infektionen. Während bei ambulant erworbenen Infektionen die übliche gastrointestinale Keimflora mit weitgehend sensiblen Enterobacteriaceae, Streptokokken und bestimmten Anaerobiern (insbesondere Bacteriodes fragilis) vorherrschen, muss bei nosokomialen, meist postoperativen Infektionen eine deutlich resistentere Bakterienpopulation berücksichtigt werden, die ESBL-produzierende Klebsiella pneumoniae und Escherichia coli, Carbapenemase bildende K. pneumoniae, Vancomycin-resistente Enterokokken und Pseudomonas aeruginosa umfasst [2, 8].
Eravacyclin und Omadacyclin sind zwei neu entwickelte Substanzen aus der Tetracyclin-Antibiotikagruppe, die von der amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde FDA 2018 zugelassen wurden. Beide Substanzen sind prinzipiell Weiterentwicklungen von Tigecyclin, wobei Eravacyclin mit etwas besserer Aktivität ein ähnliches antimikrobielles Spektrum mit grampositiven, gramnegativen und anaeroben Erregern mit Ausnahme von Pseudomonas aeruginosa und Proteus-Spezies umfasst. Die Pharmakokinetik, das Interaktionspotential und die Verträglichkeit entspricht den bekannten Daten der Tetracycline [4, 11]. Das antibakterielle Spektrum war die Basis für die beiden Zulassungsstudien bei komplizierten intraabdominellen Infektionen (IGNITE 1 und IGNITE 4), die eine Nichtunterlegenheit des Eravacyclin bei dieser Indikation gegenüber der Standardtherapie mit Ertapenem oder Meropenem zeigten [9, 10]. In diesen Studien konnten auch einige Patienten mit Infektionen durch ESBL-bildende Erreger erfolgreich behandelt werden. In-vitro-Untersuchungen von Eravacyclin bei Carbapenem-resistenten Enterobacteriaceae und Acinetobacter baumannii ergaben allerdings nur eine geringfügig bessere antibakterielle Aktivität dieser Substanz gegenüber Tigecyclin, was auf den vorherrschenden Resistenzmechanismus bei diesen Erregern, einer hochregulierten AcrAB Efflux-Pumpe, hinweist [5]. Auch die nicht erfolgreichen Studien bei komplizierten Harnwegsinfektionen limitieren die Indikation für diese Substanz. Ursachen für diese negativen Resultate dürften die niedrige Ausscheidung von nur 20 % der aktiven Substanz über die Nieren und die zwei- bis achtfach höheren minimalen Hemmkonzentrationen im Urin für E. coli im Vergleich zu Bouillonmessungen sein [1].
Basierend auf den bisherigen mikrobiologischen, pharmakokinetischen und klinischen Daten stellt sich die Frage: Was könnte der therapeutische Stellenwert des Eravacyclins in der Behandlung von Infektionen durch multiresistente gramnegative Enterobakterien sein?
Zunächst ist festzuhalten, dass Eravacyclin keine Kreuzresistenz gegenüber Betalactamantibiotika, Aminoglykosiden, Polymyxinen und Fluorchinolonen aufweist und, im Gegensatz zu älteren Tetracyclin-Derivaten, auch bei Erregern mit Tetracyclin-Efflux-Mechanismen über Aktivität verfügt. Allerdings ist die Substanz nicht wesentlich aktiver als Tigecyclin gegenüber Carbapenem-resistenten Enterobacteriaceae, was den Einsatz bei derartigen Infektionen problematisch macht. Dies gilt insbesondere unter dem Aspekt, dass die klinischen Ergebnisse mit Tigecyclin in der Behandlung von Carbapenem-resistenten gramnegativen Infektionen eher enttäuschend verlaufen sind [3, 7]. Sollte es darüber hinaus langfristig für Eravacyclin nur bei der Indikation für komplizierte intraabdominelle Infektionen durch resistente Erreger bleiben, dürfte die Substanz in Deutschland nur selten eingesetzt werden; in anderen Ländern mit größeren Resistenzproblemen könnte ein höherer Bedarf vorliegen.

Prof. Dr. med. Hartmut M. Lode, Leiter des Research Center Charlottenburg for Outpatient Studies (RCCOS) und Gastprofessor am Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Er ist Autor von mehr als 500 wissenschaftlichen Publikationen und Mitglied zahlreicher nationaler und internationaler Gesellschaften auf dem Gebiet der Inneren Medizin, Pneumologie, Infektiologie und Mikrobiologie.
Interessenkonflikterklärung
Es liegen keine Intressenkonflikte bezüglich dieses Beitrags vor.
Literatur
1. CHMP/EMA. Assessment report Xerava. 26.07.2018. EMA/540193/2018.
2. Eckmann C, Sanchez Garzia M. Monitoring treatment response in abdominal sepsis with procalcitonin – if only! Critical Care 2013;17:1017–18.
3. Isler B, Doi Y, Bonomo RA, Paterson DL. New treatment options against carbapenem-resistant acinetobacter baumannii infections. Antimicrob Agents Chemother 2018;63:e01110–18.
4. Newman JV, Zhou J, Izmailyan S, Tsai L. Mass balance and drug interaction potential of intravenous eravacyline administered to healthy subjects. Antimicrob Agents Chemother 2019;63:e01810–18.
5. Livermore DM, Mushtaq S, Warner M, Woodford N. Invitro activity of eravacycline against carbapenem-resistant Enterobacteriaceae and Acinetobacter baunannii. Antimicrob Agents Chemother 2016;60:3840–4.
6. Sartelli M,Chichom-Mefire A, Labricciosa M, et al. The management of intra-abdominal infections from a global perspective: 2017 WSES guidelines for management of intraabdominal infections. World JEmerg Surg 2017;12:29–63.
7. Shankar C, Nabarro LEB, Anandan S, Veeraraghavan B. Minocycline and tigecycline: what is their role in the treatment of carbapenem-resistant gram-negative organisms? Microb Drug Resists 2017;23:437–46.
8. Solomkin JS. Evaluating evidence and grading recommendations: the SISI/IDSA guidelines for the treatment of complicated intraabdominal infections. Surg Infect 2010;11:269–74.
9. Solomkin JS, Evans D, Slepavicius A, Lee P et al. Assessing the efficacy and safety of eravacycline versus ertapenem in complicated intra- abdominal infections in the Investigating Gram-Negative Infections Treated with Eravacyline (IGNITE 1) trial: a randomized clinical trial. JAMA Surg 2017;152:224–32.
10. Solomkin JS, Gardovskis J, Lawrence K, Montravers P, et al. IGNITE4: results of a phase 3, randomized, multicenter, prospective trial of eravacycline vs. meropenem in the treatment of complicated intra- abdominal infections. Clin Infect Dis. 2018 Dec 18. doi: 10.1093/cid/ciy1029. [Epub ahead of print].
11. Zhanel GG, Cheung D, Adam H, Zelenitsky S, et al. Review of eravacycline, a novel fluorocycline antibacterial agent. Drugs 2016;76:567–88.
Prof. Dr. med. Hartmut M. Lode, Reichsstraße 2, Ärztehaus Am Theodor-Heuss-Platz, 14052 Berlin, E-Mail: haloheck@zedat.fu-berlin.de
Eravacycline
Eravacycline is a newly developed substance from the tetracycline antibiotic group approved by the FDA in 2018. The substance is not significantly more active than tigecycline in carbapenem-resistant Enterobacteriaceae. Clinical results with tigecycline have been rather disappointing in the treatment of carbapenem-resistant Gram-negative bacteria. Eravacycline is only indicated for treatment of complicated intra-abdominal infections by resistant pathogens. The substance is likely to be used only rarely in Germany.
Key words: antibiotics of last resort; eravacycline; intraabdominal infections
Arzneimitteltherapie 2019; 37(06):225-226