Polyneuropathie kleiner Nervenfasern

Lacosamid zur Schmerzbehandlung


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
Neuropathische Schmerzen treten bei Patienten mit einer Neuropathie kleiner Nervenfasern auf, die eine Mutation des NAv1.7-Ionenkanals aufweisen. In einer kleinen randomisierten, Placebo-kontrollierten Studie war Lacosamid in einer Dosis von 2-mal 200 mg bei diesen Patienten signifikant wirksamer als Placebo.

In den letzten Jahren wurde eine Subform der Polyneuropathie kleiner Nervenfasern (Small-Fiber-Neuropathie) identifiziert. Hierbei handelt es sich um Patienten mit chronischen neuropathischen Schmerzen überwiegend in den Extremitäten, bei denen der neurologische Befund und die Elektrophysiologie normal sind. Mit modernen Verfahren der sensorischen Testung lässt sich allerdings eine Schädigung von A-Deltafasern und nicht-myelinisierten C-Fasern nachweisen. Spannungsabhängige Natriumkanäle spielen eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie dieser Erkrankung. Bei etwa 15 % aller Patienten mit einer Small-Fiber-Neuropathie lässt sich ein Gendefekt des NAv1.7-Ionenkanals nachweisen. Lacosamid ist in der Lage, diesen Ionenkanal in Tierexperimenten zu modulieren. Daher sollte der Effekt von Lacosamid in einer randomisierten Placebo-kontrollierten doppelblinden Crossover-Studie untersucht werden.

Patienten und Studiendesign

Die Studie wurde zwischen November 2014 und Juni 2016 in den Niederlanden durchgeführt (Tab. 1). Die eine Hälfte der Patienten begann zunächst eine Behandlung mit Lacosamid und die andere Hälfte mit Placebo über einen Zeitraum von acht Wochen. Anschließend erfolgte nach einer Auswaschphase die jeweils gegensätzliche Therapie. Die Dosis von Lacosamid betrug 200 mg 2-mal täglich, wobei langsam eindosiert wurde. Der primäre Endpunkt war eine Reduktion um mindestens einen Punkt auf einer Schmerzintensitätsskala von 0 bis 10.

Tab. 1. Studiendesign [nach de Greef et al. 2019]

Erkrankung

Neuropathische Schmerzen

Studienziel

Wirksamkeit von Lacosamid

Studientyp/Design

Randomisiert, doppelblind, Cross-over

Patienten

25 mit Mutation des NAv1.7-Ionenkanals

Intervention

  • Lacosamid 200 mg 2-mal/Tag
  • Placebo

Primärer Endpunkt

Schmerzverbesserung von einem Punkt auf einer Skala von 1 bis 10

Sponsor

Academisch Ziekenhuis Maastricht

Studienregisternummer

NCT 01911975
(ClinicalTrials.gov
)

25 Patienten wurden randomisiert und jeweils 12 erhielten entweder Placebo oder Lacosamid. Die mittlere Schmerzintensität über 24 Stunden betrug 6,5 Punkte. Die Patienten hatten eine eingeschränkte Lebensqualität gemessen mit dem SF-36-Test.

Ergebnisse

Für den primären Endpunkt war Lacosamid wirksamer als Placebo. Unter der Einnahme von Lacosamid kam es bei 50 % der Patienten zu einer Reduktion der Schmerzintensität um einen Punkt oder mehr verglichen mit 22 % unter Placebo-Einnahme. Dies entspricht einem Odds-Ratio von 4,45. Eine Reduktion der Schmerzintensität um zwei oder mehr Punkte wurde bei 25 % vs. 8,7 % der Patienten beobachtet. Dies entspricht einem Odds-Ratio von 7,94. Für beide Endpunkte waren die Ergebnisse signifikant.

Es zeigte sich auch ein signifikanter Einfluss auf die Schläfrigkeit am Tage. Die Lebensqualitätsinstrumente zeigten keinen signifikanten Unterschied.

Bei den unerwünschten Arzneimittelwirkungen zeigten sich die bereits bekannten Nebenwirkungen von Lacosamid: unsystematischer Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen, Müdigkeit und Tremor.

Kommentar

Bisher gibt es keine guten randomisierten Studien zur Therapie neuropathischer Schmerzen bei Patienten mit einer Neuropathie kleiner Nervenfasern. In Analogie zu anderen Polyneuropathien, insbesondere der diabetischen Polyneuropathie, wurden bisher trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer oder retardierte Opioide eingesetzt. Mit dem Antiepiletikum Lacosamid steht nun eine weitere Therapieoption für die Patienten zur Verfügung, bei denen der entsprechende genetische Defekt des Natriumkanals nachgewiesen ist. Ob diese Therapie auch bei den 80 % der Patienten wirkt, bei denen der genetische Defekt nicht besteht, ist allerdings bisher unbekannt.

Quelle

de Greef BTA, et al. Lacosamide in patients with Nav1.7 mutations-related small fibre neuropathy: a randomized controlled trial. Brain 2019;142:263–75.

Arzneimitteltherapie 2019; 37(06):229-247