Sylvia Obermeier, Villingen-Schwenningen
Eine vaginal-operative Entbindung mittels Geburtszange oder per Vakuumextraktion wird international bei 2 bis 15 % [2] der Geburten durchgeführt, in Deutschland bei etwa 6 % [4]. Bis zu 16 % [6] der Frauen entwickeln ohne Antibiotika-Prophylaxe eine Infektion nach dieser Entbindungsart.
Methoden
Die ANODE-Studie wurde verblindet, randomisiert und kontrolliert auf 27 Geburtshilfestationen in Großbritannien durchgeführt (Tab. 1). Eingeschlossen wurden Frauen, die 16 Jahre oder älter waren und vaginal-operativ in Schwangerschaftswoche 36 oder später entbunden hatten.
Tab. 1. Studiendesign ANODE [Knight et al. 2019]
Indikationsgebiet |
Vaginal-operative Entbindung |
Studientyp/Design |
Randomisiert, verblindet |
Intervention |
|
Primärer Endpunkt |
Infektion bei der Mutter 6 Wochen nach der Geburt |
Sponsor |
University of Oxford |
Studienregisternummer |
ISRCTN 11166984 |
Die Frauen wurden im Verhältnis 1 : 1 auf zwei Studienarme randomisiert. Sie erhielten entweder eine Einzeldosis Amoxicillin/Clavulansäure (1000 mg/200 mg) oder Placebo (NaCl 0,9 %) möglichst früh, jedoch innerhalb von sechs Stunden nach Geburt.
Das kombinierte primäre Studienziel war die mutmaßliche oder die bestätigte mütterliche Infektion innerhalb der ersten sechs Wochen nach Geburt. Hierzu zählte eine Antibiotikaverordnung für typische Indikationen im Zusammenhang mit der Geburt, beispielsweise die Infektion der Dammwunde, Uterusinfektion oder aufsteigende Infektionen der Harnwege mit systemischem Charakter, eine mikrobiologisch bestätigte systemische Infektion oder eine Endometritis.
Die Studie wurde nach dem Intention-to-treat-Prinzip ausgewertet.
Ergebnisse
3427 Frauen wurden zwischen März 2016 und Juni 2018 randomisiert. Davon erhielten 1715 Frauen eine prophylaktische Einzelgabe Amoxicillin/Clavulansäure (1000 mg/200 mg), 1705 erhielten Placebo (NaCl 0,9 %) und sieben Frauen widerriefen ihre Einverständniserklärung.
Bei signifikant weniger Frauen, die eine Antibiotika-Prophylaxe erhielten, wurde in den ersten sechs Wochen nach Entbindung im Vergleich zu Placebo eine Infektion vermutet oder bestätigt (180/1619 [11 %] vs. 306/1606 [19 %]). Das relative Risiko [RR] betrug 0,58, das 95 %-Konfidenzintervall [KI] 0,49–0,69; p < 0,0001.
Zahlreiche sekundäre Endpunkte traten im Verum-Arm ebenso weniger häufig auf. Dazu zählten beispielsweise die Infektion der Dammwunde, Schmerzen im Dammbereich oder notwendige Arztbesuche nach Entlassung.
Eine Frau im Placebo-Arm berichtete von einem Hautausschlag; zwei Frauen, die Amoxicillin/Clavulansäure erhielten, berichteten von anderen allergischen Reaktionen. Davon wurde eine als schwerwiegend eingestuft.
Diskussion
Der kombinierte primäre Endpunkt, hauptsächlich die klinische Diagnose und nur in wenigen Fällen die mikrobiologisch bestätigte Infektion, kann als Schwäche der Studie ausgelegt werden. Allerdings konnte gezeigt werden, dass durch die Antibiotika-Prophylaxe auch eine Reduktion der mikrobiologisch bestätigten systemischen Infektionen erreicht wurde (0,6 % vs. 1,5 %; RR 0,44; 95 %-KI 0,22–0,89; p = 0,018). Die erlaubte klinische Diagnose ermöglicht daher vielmehr die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Länder niedrigeren Einkommens, in denen die mikrobiologische Untersuchung nicht Standard ist.
Kritisiert wird [1]
- der Zeitpunkt der Antibiotika-Gabe, im Median 3,2 Stunden nach Entbindung – eine sofortige Gabe nach Entbindung wäre möglich,
- die ungewöhnlich hohe Zahl an Dammschnitten (89 %),
- der Ausschluss von Frauen mit Dammschnittwunden dritten und vierten Grades (Routine-Antibiotika-Anwendung)
- die fehlende Untersuchung der Neugeborenen bezüglich der Auswirkung der Antibiotika-Aufnahme über die Muttermilch und
- die mögliche Resistenzentwicklung bei routinemäßiger Antibiotika-Prophylaxe.
Allerdings zeigte eine ergänzende Analyse der Studie, dass durch eingesparte Therapiedosen 17 % weniger Antibiotika bei einer generellen Prophylaxe benötigt werden würden.
Die sechswöchige Nachbeobachtung betrachten die Studienautoren als Stärke. Bisherige Untersuchungen wurden meist nur bis zur Klinikentlassung durchgeführt und zeigten Infektionsraten unter 10 %. Die Mehrzahl der Komplikationen wurde in dieser Studie dagegen nach Entlassung beobachtet. Selbst in der Verum-Gruppe traten postnatale Infektionen bei 11 % der Frauen auf.
Als Stärken werden neben der Methodik und hohen Fallzahl der Studie die Untersuchung einer wichtigen Fragestellung und die Verabreichung einer Antibiotika-Einzeldosis hervorgehoben [1].
Die wenigen unerwünschten Ereignisse bei etwa halbiertem Risiko sprechen zufolge dafür, aktuelle Leitlinien und Empfehlungen anzupassen.
Fazit der Autoren
Eine Einzeldosis Amoxicillin/Clavulansäure, die kurz nach vaginal-operativer Entbindung verabreicht wird, kann in den ersten sechs Wochen nach Geburt etwa die Hälfte aller mutmaßlichen oder mikrobiologisch bestätigten mütterlichen Infektionen verhindern.
Internationale und nationale Empfehlungen und Leitlinien sollten entsprechend aktualisiert werden, um so die mütterliche Morbidität zu senken.
Quelle
Knight M, et al. Prophylactic antibiotics in the prevention of infection after operative vaginal delivery (ANODE): a multicentre randomised controlled trail. Lancet 2019; published online May 13. http://dx.doi.org/10.1016/ S0140–6736(19)30 773–1.
Literatur
1. Berghella V, et al. Antibiotics for operative vaginal delivery: practice-changing data. Lancet 2019; published online May 13. https://doi.org/10.1016/S0140–6736(19)30845–1.
2. Gei AF, et al. Operative vaginal deliveries: practical aspects. Obstet Gynecol Clin North Am 2011;38:323–49.
3. Heitmann JA, et al. Efficacy of prophylactic antibiotics for the prevention of endomyometritis after forceps delivery. South Med J 1989;82:960–2.
4. Hopp H, et al. S1-Leitlinie. Vaginal-operative Entbindung. AWMF-Register-Nr. 015/023. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. Stand 05/2012.
5. Liabsuetrakul T, et al. Antibiotic prophylaxis for operative vaginal delivery. Cochrane Database Syst Rev 2017;8:CD004455.
6. Mohamed-Ahmed O, et al. Operative vaginal delivery and post-partum infection. Best Pract Res Clin Obstet Gynaecol 2018; published online Sept 29. DOI:10.1016/j.bpobgyn.2018.09.005Get.
Arzneimitteltherapie 2019; 37(09):317-334