Dr. med. Peter Stiefelhagen, Starnberg
Die Inzidenz des Magenkarzinoms ist in den letzten Jahrzehnten drastisch zurückgegangen. Trotzdem muss man in Deutschland laut Robert Koch-Institut mit 15 000 Neuerkrankungen pro Jahr rechnen und knapp 10 000 Menschen sterben jährlich an diesem Tumor [1]. In etwa zwei Drittel der Fälle wird die Erkrankung erst in einem bereits fortgeschrittenen bzw. metastasierten Stadium diagnostiziert. Daraus ergibt sich die schlechte Prognose, nur ein Viertel der Betroffenen überlebt längerfristig.
Erstlinientherapie mit Platin-basierter Doublet-Chemotherapie plus Fluoropyrimidin
In der palliativen Situation, die bei ca. 70 % der Fälle vorliegt, ist in der Erstlinientherapie eine Platin-basierte Doublet-Chemotherapie in Kombination mit einem Fluoropyrimidin (5-FU oder Capecitabin) der Standard, wobei aus Gründen der Verträglichkeit Oxaliplatin dem Cisplatin vorgezogen wird. Bei HER2-positiven Karzinomen wird die zusätzliche Gabe des Antikörpers Trastuzumab empfohlen. Bei einem Rezidiv oder Refraktärität werden entweder
- eine Wiederholung der Erstlinientherapie dann empfohlen, wenn das Rezidiv oder die Refraktärität später als drei Monate nach der Erstlinientherapie auftreten oder
- eine Therapie mit Paclitaxel/Ramucirumab oder
- eine Monotherapie mit Docetaxel, Irinotecan, Paclitaxel oder Ramucirumab propagiert.
Insgesamt erhalten nur 42 % der Patienten mit einer Erstlinientherapie eine Zweitlinientherapie und weniger als jeder Fünfte, nämlich 18 %, eine Drittlinientherapie. Bisher wurde in der ESMO-Leitlinie keine Behandlung nach der Zweitlinientherapie empfohlen, da bis dato keine eindeutige Evidenz für die Wirksamkeit einer solchen Therapie vorlag.
Zulassung von Trifluridin/Tipiracil für die Drittlinientherapie
Inzwischen wurden für einige Substanzen in Phase-II- und Phase-III-Studien die Vorteile einer Drittlinientherapie beim metastasierten Magenkarzinom belegt. Dazu gehört Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®), das jetzt auch die offizielle Zulassung in der EU für bereits behandelte Patienten nach der Zweitlinientherapie erhielt. Das Arzneimittel enthält das antineoplastische Thymidin-basierte Nukleosid-Analogon Trifluridin und den Thymidin-Phosphorylase-(TPase)Inhibitor Tipiracil-Hydrochlorid. Nach der Aufnahme in die Tumorzellen wird Trifluridin durch die Thymidin-Kinase phosphoryliert und nach einer weiteren Metabolisierung als ein DNA-Substrat direkt in die DNA eingebaut. Dadurch wird die Zellproliferation gehemmt. Trifluridin wird allerdings rasch durch die TPase abgebaut. Um den Abbau von Trifluridin zu hemmen, wird Trifluridin mit dem TPase-Inhibitor Tipiracil-Hydrochlorid kombiniert.
TAGS-Studie
Die erweiterte Zulassung basiert auf den Daten der TAGS-Studie, einer doppelblinden Placebo-kontrollierten randomisierten Phase-III-Studie (Tab. 1). Eingeschlossen in diese Studie wurden 507 Patienten in einem guten Allgemeinzustand (ECOG PS 0 oder 1), die mindestens zwei Vortherapien erhalten hatten. Sie erhielten nach einer 2 : 1-Randomisierung entweder an den Tagen 1–5 und 8–12 eines 28-tägigen Zyklus Trifluridin/Tipiracil plus Best Supportive Care (BSC) oder Placebo plus BSC. Primärer Studienendpunkt war das OS, sekundäre Endpunkte das progressionsfreie Überleben (PFS) und die Sicherheit.
Tab. 1. Studiendesign der TAGS-Studie [2]
Erkrankung |
Metastasiertes Magenkarzinom |
Studienziel |
Wirksamkeit von Trifluridin/Tipiracil (TAS-102) bei metastasierendem Magenkrebs nach Versagen der Zweitlinientherapie |
Studientyp/Design |
Randomisiert, placebo-kontrolliert, interventionell, Phase III |
Patienten |
507 |
Intervention |
|
Primärer Endpunkt |
Gesamtüberleben |
Sponsor |
Taiho Oncology |
Studienregisternummer |
BSC: Best Supportive Care
Durch die Gabe von Trifluridin/Tipiracil wurde das mediane Gesamtüberleben (OS) um 2,1 Monate verlängert (5,7 vs. 3,6 Monate; Hazard Ratio [HR] 0,69; 95%-Konfidenzintervall 0,56–0,85; p = 0,0003). Somit wurde das Sterberisiko um 31 % reduziert. Auch hinsichtlich des PFS zeigte sich ein Vorteil zugunsten von Trifluridin/Tipiracil (medianes PFS 2,0 vs. 1,8 Monate; HR 0,57; p < 0,0001). Bei 44 % der Patienten konnte eine Krankheitsstabilisierung erreicht werden. Alle vordefinierten Subgruppen profitierten ausnahmslos von der Behandlung, auch Patienten mit einer vorangegangenen Gastrektomie und auch solche mit einem Karzinom des gastroösophagealen Übergangs.
Die Therapie erwies sich als gut verträglich. Die häufigsten Nebenwirkungen waren hämatologischer Art mit 34 % Grad-3/4-Neutropenien, aber nur 2 % febrilen Neutropenien. Das Zeitintervall, in dem die Patienten einen guten ECOG PS unter 2 aufrechterhalten konnten, wurde um 2 Monate verlängert (4,3 vs. 2,3 Monate). Außerdem blieb die gesundheitsbezogene Lebensqualität für die meisten funktionalen und symptomatischen Parameter über den gesamten Behandlungsverlauf hinweg stabil [2].
Fazit
Mit Trifluridin/Tipiracil steht jetzt eine Option für die Drittlinientherapie bei Patienten mit einem metastasierten Magenkarzinom zur Verfügung, mit der unter Studienbedingungen – bei einer Ansprechrate von 44 % – das mediane Überleben um 2,1 Monate verlängert werden konnte.
Quelle
Prof. Dr. Sylvie Lorenzen; Fachpressekonferenz „3rd Line and beyond … Role of TAS 102 in mGC“, veranstaltet von Servier, München, 12. September 2019.
Literatur
1. Robert Koch-Institut & Zentrum für Krebsregisterdaten. Krebs in Deutschland. www.krebsdaten.de (Zugriff am 20.09.19).
2. Shitara K et al. Trifluridin/tipiracil versus placebo in patients with heavily pretreated metastatic gastric cancer (TAGS): a randomized, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet Oncol 2018; 19:1437–48.
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Arzneimitteltherapie 2019; 37(11):433-435