Multiple Sklerose

Krebsrisiko bei der Behandlung mit Fingolimod, Natalizumab oder Rituximab


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
In einer nationalen Kohortenstudie in Schweden wurden drei hochwirksame, krankheitsmodifizierende Therapien der multiplen Sklerose (MS) untersucht. Insgesamt fand sich kein erhöhtes Krebsrisiko unter Rituximab und Natalizumab im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Es zeigte sich ein leicht erhöhtes Risiko unter Fingolimod, sowohl im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung als auch zu Rituximab. Dieser Unterschied war aber nicht signifikant.

Für die immunmodulatorische Therapie der multiplen Sklerose wurden ursprünglich Interferon beta und Glatirameracetat zur Schubprophylaxe entwickelt. In der Folgezeit wurden dann wirksamere Therapien eingeführt, die allerdings auch mit vermehrten unerwünschten Arzneimittelwirkungen einhergehen. In den meisten europäischen Ländern werden hier Fingolimod und Natalizumab eingesetzt. In einigen Ländern, wie in Schweden, erfolgt die Therapie auch mit Rituximab, das allerdings für die Behandlung der schubförmigen multiplen Sklerose nicht zugelassen ist. Für die Erfassung seltener, allerdings relevanter unerwünschter Arzneimittelwirkungen sind die klinischen Studien nicht ausreichend. Hierfür müssen die Daten von nationalen Gesundheitsregistern herangezogen werden. Bezüglich des Risikos einer malignen Erkrankung erfolgte hier eine Analyse aus dem schwedischen Gesundheitssystem.

Studiendesign

In einer landesweiten registerbasierten Kohortenstudie wurden Daten aus dem schwedischen MS-Register und dem schwedischen Krebsregister verknüpft. Dann wurden Kontrollpersonen aus dem schwedischen Gesundheitsregister erfasst.

Die Autoren analysierten Patienten, bei denen erstmalig eine Therapie mit Rituximab (4187), Fingolimod (1620) oder Natalizumab (1670) erfolgte. Die 6136 MS-Patienten wurden hinsichtlich Alter, Geschlecht und Wohnort mit 37 801 Personen der Allgemeinbevölkerung verglichen, die nicht an MS erkrankt waren.

Primäres Ergebnis war die Zeit bis zum ersten Auftreten einer malignen Erkrankung.

Ergebnisse

Die Patienten waren im Mittel 41 Jahre alt und 72 % waren Frauen. Bei 83 % der Patienten lag eine schubförmige MS vor. 59 % der Patienten waren zuvor mit Interferon beta und 19 % mit Glatirameracetat behandelt worden. Der mittlere Wert auf der Expanded Disability Status Scale (EDSS) lag bei 2,6.

In der Gruppe der MS-Patienten wurden 78 mit einem invasiven Malignom identifiziert:

  • Rituximab (n = 33; Inzidenzrate [IR] pro 10 000 Personenjahre: 34,4; 95%-Konfidenzintervall [KI] 23,7–48,3)
  • Fingolimod (n = 28; IR 44,0; 95%-KI 29,2–63,5)
  • Natalizumab (n = 17; IR 26,0; 95%-KI 15,1–41,6).

Die IR der Allgemeinbevölkerung betrug 31,0 (95%-KI 27,8–34,4).

Nach Anpassung an verschiedene Baseline-Variablen bestand kein Unterschied im Risiko eines invasiven Malignoms unter Rituximab, Natalizumab und der Allgemeinbevölkerung. Es bestand aber möglicherweise ein höheres Risiko unter Fingolimod im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung (Hazard-Ratio [HR] 1,53; 95%-KI 0,98–2,38) und Rituximab (HR 1,68; 95%-KI 1,00–2,84). Für Basalzellkarzinome und das Zervixkarzinom ergab sich kein erhöhtes Risiko im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung.

Kommentar

Länder mit nationalen Gesundheitssystemen und entsprechenden Datenbanken wie Dänemark, Großbritannien und Schweden haben den Vorteil, dass klinische wichtige Fragestellungen wie das Auftreten von sehr seltenen unerwünschten Arzneimittelwirkungen in großen Populationen untersucht werden können. Die Zahl von Patienten in randomisierten Studien für die Zulassung sind in der Regel zu klein, um seltene unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu erfassen. In Übereinstimmung mit den Daten zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis fand sich kein erhöhtes Malignomrisiko unter Rituximab. Unter Fingolimod zeigte sich numerisch ein leicht erhöhtes Risiko. Es gab allerdings keinen Tumortyp, für den sich ein erhöhtes Risiko nachweisen ließ. In der Zulassung in Europa wird auf das potenzielle Risiko von Lymphomen und Hauttumoren unter Fingolimod hingewiesen. Diese beiden Tumorarten waren allerdings im schwedischen Register im Vergleich zur Normalbevölkerung nicht erhöht. Ein Nachteil von nationalen Registerstudien ist, dass bestimmte Risikofaktoren wie beispielsweise Ernährung, Alkoholkonsum und Rauchen nicht erfasst werden. Dessen ungeachtet sind die hier gewonnenen Ergebnisse klinisch wichtig und für MS-Patienten und die behandelnden Ärzte beruhigend.

Quelle

Alping P, et al. Cancer risk for fingolimod, natalizumab, and rituximab in multiple sclerosis patients. Ann Neurol 2020;87 : 688–99.

Arzneimitteltherapie 2020; 38(07):315-327