Sekundärprävention bei Patienten mit Atherosklerose

Sind P2Y12-Hemmer wirksamer als Acetylsalicylsäure?


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
Eine Metaanalyse von neun randomisierten Studien mit 42 108 Patienten, die entweder einen P2Y12-Hemmer oder Acetylsalicylsäure (ASS) erhielten und unter einer Atherosklerose litten, zeigte keinen Unterschied in der Reduktion von Myokardinfarkten und Schlaganfällen.

Thrombozytenfunktionshemmer spielen eine wichtige Rolle in der Sekundärprävention für Patienten mit manifester Arteriosklerose. Diese kann sich als akutes Koronarsyndrom, chronische koronare Erkrankung, ischämischer Insult oder periphere arterielle Verschlusskrankheit manifestieren. Die meisten Leitlinien empfehlen Acetylsalicylsäure für die Sekundärprävention. In einigen Ländern wie beispielsweise Großbritannien oder Norwegen wird Clopidogrel als wirksame Sekundärprävention empfohlen. Einige kardiologische Leitlinien empfehlen Ticagrelor im Gegensatz zu Acetylsalicylsäure bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung.

Studiendesign

Es handelte sich um eine Metaanalyse randomisierter Studien, in denen man P2Y12-Hemmer mit einer Monotherapie von Acetylsalicylsäure verglich (Tab. 1). Untersucht wurden Ticlopidin, Clopidogrel und Ticagrelor. Eingeschlossen wurden Patienten mit zerebrovaskulären, koronaren oder peripher arteriellen Erkrankungen. Die Analyse hatte zwei primäre Endpunkte – Herzinfarkt und Schlaganfall. Sekundäre Endpunkte waren die Gesamtsterblichkeit und vaskulärer Tod.

Tab. 1. Studiendesign [nach Chiarito et al. 2020]

Indikation

Sekundärprävention bei Patienten mit Atherosklerose

Studienziel

Vergleich P2Y12-Hemmer mit Acetylsalicylsäure-Monotherapie

Studientyp/Design

Metaanalyse mit neun randomisierten Studien

Intervention

  • P2Y12-Hemmer (Ticlopidin, Clopidogrel, Ticagrelor, n = 21 043)
  • ASS (n = 21 065)

Primäre Endpunkte

Herzinfarkt, Schlaganfall

Sponsor

Firmenunabgängig.

ASS: Acetylsalicylsäure

Ergebnisse

Insgesamt wurden neun randomisierte Studien identifiziert und in die Metaanalyse eingeschlossen. Sie umfasste 42 108 Patienten, von denen 21 043 einen P2Y12-Hemmer und 21 065 Acetylsalicylsäure erhielten. Die Patienten waren im Mittel 43,6 Jahre alt und 67,4 % waren Männer. 36 % hatten einen Schlaganfall erlitten, 28 % einen Myokardinfarkt, 21,5 % hatten eine chronische koronare Herzerkrankung und 29 % eine arterielle Verschlusskrankheit. 23 % litten unter einem Diabetes mellitus, 60 % unter einer arteriellen Hypertonie und 41 % hatten eine Fettstoffwechselstörung.

Bei Patienten, die einen P2Y12-Hemmer erhielten, zeigte sich im Vergleich zu Patienten, die Acetylsalicylsäure erhielten, eine numerische Reduktion des Risikos von Myokardinfarkten (Odds-Ratio [OR] 0,81; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,66–0,99; I² = 10,9). Das Schlaganfallrisiko (OR 0,93; 95%-KI 0,82–1,06; I² = 34,5 %), Tod jedweder Ursache (OR 0,98; 95%-KI 0,89–1,08; I² = 0 %) und vaskulärer Tod (OR 0,97; 95%-KI 0,86–1,09; I² = 0 %) unterschieden sich nicht zwischen den Patienten, die einen P2Y12-Hemmer und denjenigen, die Acetylsalicylsäure erhielten. Auch das Risiko schwerwiegender Blutungen unterschied sich nicht zwischen Patienten, die einen P2Y12-Hemmer erhielten, und denen, die Acetylsalicylsäure erhielten (OR 0,9; 95%-KI 0,74–1,10; I² = 3,9 %). Die Number needed to treat, um einen Myokardinfarkt mit einem P2Y12-Hemmer zu vermeiden, betrug 244 Patienten. Die Ergebnisse waren für Ticlopidin, Clopidogrel und Ticagrelor nahezu identisch.

Kommentar

Diese große Metaanalyse zeigt, dass bei Patienten mit manifester Arteriosklerose die Sekundärprävention mit Acetylsalicylsäure genauso wirksam ist wie eine Sekundärprävention mit P2Y12-Hemmern. Dabei muss allerdings kritisch betrachtet werden, dass die meisten dieser Studien vor langer Zeit durchgeführt wurden – zu einer Zeit, in der die Sekundärprävention insbesondere in Bezug auf Therapie von Fettstoffwechselstörungen noch nicht optimal war. Wichtig ist auch die Beobachtung, dass die Häufigkeit schwerwiegender Blutungen zwischen den beiden Therapieansätzen nicht unterschiedlich war. Der einzige Unterschied war bei gastrointestinalen Blutungen zu beobachten, die bei einer Therapie mit P2Y12-Hemmern um 41 % geringer waren. Acetylsalicylsäure ist weltweit verfügbar und sehr preiswert. Ticlopidin wird nicht mehr eingesetzt, da die Therapie eine regelmäßige Kontrolle des Blutbilds erfordert. Es wird interessant sein, zu beobachten, ob sich die Therapieleitlinien in Großebritannien und Norwegen ändern, die im Moment noch Clopidogrel als Therapie der ersten Wahl empfehlen. Ungeklärt ist auch die Frage, wie Ärzte mit den Ergebnissen der COMPASS-Studie umgehen [1]. Diese Studie hatte gezeigt, dass bei Patienten mit stabiler koronarer Herzerkrankung und peripherer arterieller Verschlusskrankheit die Kombination von niedrig dosiertem Rivaroxaban plus Acetylsalicylsäure einer Monotherapie mit Rivaroxaban oder Acetylsalicylsäure überlegen war. Diese Überlegenheit musste allerdings durch eine erhöhte Blutungsrate erkauft werden.

Quelle

Chiarito M, et al. Monotherapy with a P2Y12 inhibitor or aspirin for secondary prevention in patients with established atherosclerosis: a systematic review and meta-analysis. Lancet 2020;395:1487–95.

Literatur

1. Eikelboom JW, et al. Rivaroxaban with or without aspirin in stable cardiovascular disease. N Engl J Med 2017;377:1319–30.

Arzneimitteltherapie 2020; 38(07):315-327