Maximilian Günther, Bonn
Indikationsgebiet
Larotrectinib (Vitrakvi®) erhielt im September 2019 von der Europäischen Kommission die Zulassung. Der Wirkstoff der Firma Bayer ist zugelassen als Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen und pädiatrischen Patienten mit soliden Tumoren mit einer NTRK-Genfusion, bei denen eine lokal fortgeschrittene oder metastasierte Erkrankung vorliegt oder eine Erkrankung, bei der eine chirurgische Resektion wahrscheinlich zu schwerer Morbidität führen würde und für die keine zufriedenstellende Therapieoption zur Verfügung steht [4].
Pharmakologie
Pharmakodynamik (Wirkungsmechanismus)
Die NTRK-Genfamilie besteht aus den Genen NTRK1, NTRK2 und NTRK3. Unter physiologischen Bedingungen kodieren die Gene für die TRK-Transmembranproteine TRKA, TRKB und TRKC, die durch die Neutrophine NGF, BDGF und NTF-3 als Liganden aktiviert werden und hauptsächlich eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung und Funktion des zentralen Nervensystems spielen [1]. In-frame-Genfusionen von NTRK1, NTRK2 und NTRK3 führen zur Bildung von onkogenen TRK-Fusionsproteinen, die eine dauerhafte Kinaseaktivität bedingen. Nachgeschaltete zelluläre Signalwege, die an der Zellproliferation und dem Zellwachstum beteiligt sind, werden aktiviert. Dies führt zu ungehemmter Zellproliferation und somit zu TRK-Fusionstumoren (Abb. 1). Larotrectinib inhibiert hoch selektiv die Adenosintriphosphat(ATP)-Bindungsstelle der TRK-Rezeptorfamilie. Dadurch wird die Signaltransduktion in Richtung Zellkern gehemmt und die ungehemmte Zellproliferation verhindert [4]. Eine NTRK-Genfusion kann bei zahlreichen Tumorentitäten vorliegen, tritt jedoch nur sehr selten auf.

Abb. 1. Schematische Ansicht der Signalwege der Tropomyosin-Rezeptor-Kinasen (Trk). Die Abbildung zeigt die drei wesentlichen Wege, die an der Zelldifferenzierung und am Zellüberleben beteiligt sind (mod. nach [1])
Pharmakokinetik
Larotrectinib kann peroral als Kapsel oder Lösung verabreicht werden. Für erwachsene Patienten ist die empfohlene Dosis 100 mg Larotrectinib zweimal täglich. Die maximale Plasmakonzentration (Cmax) wird etwa eine Stunde nach Applikation erreicht. Die Halbwertszeit beträgt etwa drei Stunden, die Steady-State-Konzentration wird nach acht Tagen erreicht [4]. Weitere wichtige pharmakokinetische Parameter sind in Tabelle 1 dargestellt.
Tab. 1. Pharmakokinetische Parameter von Larotrectinib [4]
Absorption |
|
Mittlere Absolute Bioverfügbarkeit nach peroraler Applikation |
34 % (Spanne: 32–37 %), vergleichbar bei Kapseln und peroraler Lösung |
Maximale Plasmakonzentration |
36 % höher bei peroraler Lösung, um 35 % reduziert nach fett- und kalorienreicher Mahlzeit |
Magen-pH-Wert |
Wahrscheinlich ohne Einfluss auf die Resorption |
Verteilung |
|
Mittleres Verteilungsvolumen |
48 l, entspricht einer mittleren Verteilung vom Plasma ins Gewebe |
Plasmaproteinbindung |
Etwa 70 % in vitro |
Blut-Plasma-Konzentrationsverhältnis |
0,9 |
Biotransformation |
|
Beteiligte Enzyme |
Vorwiegend CYP3A4 |
Elimination |
|
Gesamtclearance |
34 l/h |
Renale Elimination |
29 % der Gesamtclearance |
Besondere Patientengruppen
Kinder, Jugendliche und ältere Patienten
Pharmakokinetische Analysen der Population haben ergeben, dass die Arzneistoffexposition (Cmax und AUC) bei Säuglingen im Alter von einem bis drei Monaten, bei der empfohlenen Dosis von 100 mg/m2, dreimal höher war als bei Erwachsenen über 18 Jahren, die zweimal täglich 100 mg Larotrectinib erhielten. Bei Kleinkindern und Kindern zwischen drei Monaten und zwölf Jahren war die Cmax höher als bei Erwachsenen. Die AUC war ähnlich wie bei Erwachsenen. Bei Jugendlichen, die älter als zwölf Jahre sind, ist es wahrscheinlich, dass die empfohlene Dosis eine ähnliche Cmax und AUC ergibt wie bei Erwachsenen. Die Daten für die Exposition bei älteren Patienten sind begrenzt [4].
Patienten mit eingeschränkten Organfunktionen
Bei Patienten mit leichter (Child-Pugh A), mäßiger (Child-Pugh B) und schwerer (Child-Pugh C) Leberfunktionsstörung wurde im Vergleich zu Personen mit normaler Leberfunktion nach einer Einzeldosis von 100 mg ein Anstieg der AUC von Larotrectinib um das 1,3-Fache, 2-Fache und 3,2-Fache beobachtet. Die Cmax war mit einem Anstieg um das 1,1-Fache, 1,1-Fache und 1,5-Fache leicht erhöht. Bei Patienten mit dialysepflichtiger, terminaler Niereninsuffizienz wurde im Vergleich zu Personen mit normaler Nierenfunktion nach einer Einzeldosis von 100 mg ein Anstieg der AUC um das 1,45-Fache und ein Anstieg der Cmax um das 1,25-Fache beobachtet [4].
Klinische Ergebnisse
Die Wirksamkeit und Sicherheit von Larotrectinib wurden in drei multizentrischen, offenen, einarmigen klinischen Studien untersucht, die zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht abgeschlossen waren. Erste Ergebnisse sind aber bereits veröffentlicht [2]. Dabei handelt es sich um eine Phase-I-Studie mit acht Patienten, die eine NTRK-Genfusion aufwiesen und eine Phase-I/II-Studie mit dem Akronym SCOUT mit 32 Patienten zur Dosiseskalation und Dosisexpansion. In der Expansionsphase waren Tumoren mit NTRK-Genfusion Voraussetzung. In der Phase-I-Studie wurden erwachsene und pädiatrische Patienten ab zwölf Jahren mit fortgeschrittenen soliden Tumoren eingeschlossen, während in der Phase-I/II-Studie Kinder und Jugendliche bis 21 Jahre eingeschlossen wurden. Bei der dritten Studie handelt es sich um die NAVIGATE-Studie, eine Tumor-Basket-Studie der Phase II mit 62 Patienten (Kasten), die an Patienten ab zwölf Jahren durchgeführt wurde. Die aus allen drei Studien gepoolte Population für die primäre Wirksamkeitsanalyse beinhaltet 102 Patienten mit verschiedenen Tumorentitäten. Davon waren 93 Patienten mit TRK-Fusions-positiven soliden Tumoren und einem nicht im ZNS liegenden Primärtumor in der Primäranalyse enthalten. Die Patienten mussten bereits eine Vortherapie erhalten haben, oder hätten nach Einschätzung des Prüfarztes durch eine Operation eine schwere Morbidität erlitten. Zusätzlich wurden in der SCOUT- und NAVIGATE-Studie neun Patienten mit primären ZNS-Tumoren behandelt, die post hoc in die Auswertung mit einbezogen wurden [4].
Basket-Studie
Bei sogenannten Basket-Studien werden Patienten mit Krebserkrankungen unterschiedlicher Lokalisation, deren Tumore die gleiche Mutation aufweisen, „in einen Korb geworfen“ und entsprechend der Mutation behandelt.
Wirksamkeit
Die Ergebnisse für den primären Endpunkt Gesamtansprechrate und die sekundären Endpunkte Ansprechdauer und Zeit bis zum ersten Ansprechen in der primären Analyse (n = 93) und in der zusätzlichen Post-hoc-Analyse (n = 102) mit den Patienten mit primären ZNS-Tumoren sind in den Tabellen 2 und 3 dargestellt [4].
Zum Zeitpunkt der Datenanalyse war der härteste sekundäre Endpunkt, das mediane progressionsfreie Überleben, noch nicht erreicht [4].
Tab. 2. Wirksamkeitsergebnisse bei soliden Tumoren einschließlich und ausgenommen primärer ZNS-Tumoren [4]
Wirksamkeitsparameter |
Analyse von soliden Tumoren ohne primäre ZNS-Tumoren (n = 93) |
Analyse von soliden Tumoren mit primären ZNS-Tumoren (n = 102) |
Gesamtansprechrate (ORR) (n) |
72 % (67) |
67 % (68) |
Anteil mit kompletter Remission (n) |
16 % (15) |
15 % (15) |
Anteil mit partieller Remission (n) |
55 % (51) |
51 % (52) |
Mediane Zeit bis zum ersten Ansprechen in Monaten (Spanne) |
1,81 (0,95; 14,55) |
1,81 (0,95; 14,55) |
Mediane Ansprechdauer (DOR) in Monaten (Spanne) |
Nicht erreicht |
Nicht erreicht |
|
88 % |
88 % |
|
75 % |
75 % |
KI: Konfidenzintervall
Tab. 3. Gesamtansprechrate und Ansprechdauer nach Tumortyp [4]
Tumortyp |
Patienten |
ORR |
DOR |
||
Anteil [%] |
95%-KI |
≥ 12 Monate Anteil [%] |
Spanne [Monate] |
||
Weichteilsarkom |
21 |
81 |
58–95 |
78 |
1,9+; 38,7+ |
Speicheldrüse |
17 |
88 |
64–99 |
91 |
3,7+; 33,7+ |
Infantiles Fibrosarkom |
13 |
92 |
64–100 |
60 |
1,6+; 17,3+ |
Schilddrüse |
10 |
70 |
35–93 |
86 |
3,7; 29,8+ |
Primärer ZNS-Tumor |
9 |
11 |
0–48 |
Nicht erreicht |
2,0+ |
Lunge |
7 |
71 |
29–96 |
75 |
7,4+; 25,8+ |
Melanom |
7 |
43 |
10–82 |
50 |
1,9+; 23,2+ |
Kolon |
6 |
33 |
4–78 |
Nicht erreicht |
5,6; 9,2+ |
Gastrointestinaler Stromatumor |
4 |
100 |
40–100 |
67 |
7,4+; 20,0+ |
Knochensarkom |
2 |
50 |
1–99 |
0 |
9,5 |
Cholangiokarzinom |
2 |
Nicht auswertbar |
NA |
NA |
NA |
Kongenitales mesoblastisches Nephrom |
1 |
100 |
3–100 |
Nicht erreicht |
9,8+ |
Appendix |
1 |
Stabile Erkrankung |
NA |
NA |
NA |
Brust |
1 |
Krankheitsprogression |
NA |
NA |
NA |
Pankreas |
1 |
Stabile Erkrankung |
NA |
NA |
NA |
DOR: Ansprechdauer; KI: Konfidenzintervall; NA: nicht zutreffend; ORR: Gesamtansprechrate
Verträglichkeit
In den klinischen Studien mit Larotrectinib wurde die Sicherheit an 125 Patienten beurteilt. Als häufigste Nebenwirkungen wurden Fatigue (32 %), erhöhte ALT (31 %) und AST (29 %), Schwindelgefühl (30 %), Obstipation (29 %), Übelkeit (26 %) und Erbrechen (20 %) sowie Anämie (24 %) beobachtet. Die meisten Nebenwirkungen waren vom Schweregrad 1 oder 2. Bei 3 % der Patienten musste Larotrectinib aufgrund behandlungsbedingter Nebenwirkungen dauerhaft abgesetzt werden. Schwerwiegende Nebenwirkungen von Grad 4 waren Leukozytopenie (1,6 %) und erhöhte ALT ( 1 %) [4].
Wechselwirkungen
Larotrectinib ist ein Substrat von Cytochrom P450 (CYP) 3A4, P-Glycoprotein (P-gp) und dem Brustkrebs-Resistenz-Protein (BCRP). Klinische Daten haben gezeigt, dass die Cmax und AUC von Larotrectinib bei Kombination mit Itraconazol, einem starken Inhibitor von CYP3A4, P-gp und BCRP, um das 1,8-Fache und 4,3-Fache stieg. In Kombination mit Rifampicin, einem starken Induktor von CYP3A4 und P-gp, fielen die Cmax um 71 % und die AUC um 81 %. Larotrectinib ist ein schwacher Inhibitor von CYP3A4. In-vitro-Studien deuten darauf hin, dass Larotrectinib außerdem OATP1B1 inhibiert und ein Induktor von CYP2B6 und der CYP2C-Familie mit CYP2C8, CYP2C9 und CYP2C19 ist [4].
Dosierung und Art der Anwendung
Vor der Behandlung mit Larotrectinib muss auf eine NTRK-Genfusion getestet werden. Die empfohlene Dosis bei Erwachsenen beträgt 100 mg zweimal täglich, bei Kindern und Jugendlichen 100 mg/m2 zweimal täglich (maximal 100 mg pro Dosis).
Vitrakvi® ist in Form von Kapseln oder als Lösung zum Einnehmen erhältlich. Die beiden Formulierungen können austauschbar eingesetzt werden. Bei Patienten mit mäßig bis stark eingeschränkter Leberfunktion (Child-Pugh B und C) sollte die Anfangsdosis um 50 % reduziert werden. Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist keine Dosisanpassung erforderlich. In Kombination mit anderen Arzneimitteln sind die CYP3A4- und P-gp-Interaktionen zu berücksichtigen. Die Lösung zum Einnehmen kann nach Verdünnen über eine Ernährungssonde verabreicht werden.
Zulassung und frühe Nutzenbewertung
Larotrectinib hat als erstes Arzneimittel eine tumorunabhängige Zulassung in der EU erhalten. Das Arzneimittel erhielt von der Europäischen Kommission eine bedingte Marktzulassung, da es einen ungedeckten medizinischen Bedarf abdeckt und der Vorteil der sofortigen Verfügbarkeit das Risiko aufgrund der unzureichenden Datenlage überwiegt. Die Zulassung ist zunächst auf ein Jahr begrenzt, in dem neue Daten zur Wirksamkeit des Arzneimittels erwartet werden [3]. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat das Arzneimittel bei der frühen Nutzenbewertung in die Kategorie „Ein Zusatznutzen ist nicht belegt“ eingeordnet, attestiert aber, dass es in Einzelfällen eine relevante Therapieoption darstellt [5].

Maximilian Günther hat an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg Pharmazie studiert. Als approbierter Apotheker beschäftigt er sich im Zuge seiner Promotion im Bereich der Klinischen Pharmazie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn mit der Arzneimitteltherapiesicherheit bei der Behandlung onkologischer Patienten.
Interessenkonflikterklärung
Maximilian Günther gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Literatur
1. Amatu A, Sartore-Bianchi A, Siena S. NTRK gene fusions as novel targets of cancer therapy across multiple tumour types. ESMO Open 2016;1:e000023.
2. Drilon A, Laetsch TW, Kummar S, et al. Efficacy of larotrectinib in TRK fusion-positive cancers in adults and children. N Engl J Med 2018;378:731–9.
3. European Medicines Agency. Vitrakvi. Verfügbar unter: https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/vitrakvi (Zugriff am 12.06.2020).
4. European Medicines Agency. Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels. Verfügbar unter: https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/vitrakvi-epar-product-information_de.pdf (Zugriff am 12.06.2020).
5. Gemeinsamer Bundesausschuss. Tragende Gründe zum Beschluss des GBA über eine Änderung der AM-RL: Anlage XII – Larotrectinib vom 02.04.2020. Verfügbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/40-268-6479/2020-04-02_AM-RL-XII_Larotrectinib_D-495_TrG.pdf (Zugriff am 12.06.2020).
Maximilian Günther, Pharmazeutisches Institut, Klinische Pharmazie, An der Immenburg 4, 53121 Bonn, E-Mail: m.guenther@uni-bonn.de
Larotrectinib: kinase inhibitor as a therapy in patients with TRK fusion positive tumors
Larotrectinib (Vitrakvi ®) is the first tropomyosin receptor kinase (TRK) inhibitor and can be used as monotherapy in adults and children with locally advanced or metastatic solid tumors that have a neurotrophic tyrosine receptor kinase (NTRK) gene fusion. This makes larotrectinib the first tumor therapy approved in the European Union that can be used independently of the type of tissue of the tumor. The approval is based on three pooled phase I/II studies with 102 patients showing a good overall response rate of 67 % (95%-CI 57–76) and a proportion of 75 % of patients having a response for more than twelve months.
Key words: Larotrectinib, Vitrakvi, NTRK gene fusion, TRK fusion protein
Arzneimitteltherapie 2020; 38(10):418-422