Adipositas


Werden die neuen Therapien unsere Gesundheitssysteme ruinieren?

Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen

[Foto: privat]

Nach Erhebung des Robert Koch-Instituts liegt die Häufigkeit der Adipositas, definiert als ein BMI ≥ 30 kg/m2, in Deutschland bei etwa 20 % [2]. Das bedeutet, dass etwa 16 Millionen Menschen in Deutschland adipös sind. Die Adipositas ist nicht nur ein relevanter Risikofaktor für vaskuläre Erkrankungen und Diabetes mellitus, sondern erhöht auch das Risiko für chronisch-entzündliche Erkrankungen, maligne Tumoren und neurodegenerative Erkrankungen inklusive der Demenzen. Für sehr lange Zeit wurde die Adipositas als eine Charakterschwäche von Menschen betrachtet, die ihr Essverhalten nicht in den Griff bekommen. In der Zwischenzeit zeigen jedoch sowohl epidemiologische, klinische und genetische Studien als auch Studien zu Biomarkern, Neurotransmittern sowie morphologische und funktionelle kernspintomografische Untersuchungen, dass dem gestörten Essverhalten Mechanismen zugrunde liegen, wie sie für abhängiges Verhalten wie Zigarettenrauchen, Alkoholmissbrauch und Drogengebrauch eine Rolle spielen. Dies könnte auch erklären, warum die meisten Diäten und verhaltenstherapeutischen Ansätze nur einen geringen therapeutischen Nutzen haben.

Die Glucose-like-Peptide-1-(GLP-1-)Agonisten wurden initial zur Therapie des Diabetes mellitus entwickelt. In den Zulassungsstudien zeigte sich dann, dass nicht nur der Diabetes erfolgreich behandelt werden konnte, sondern dass es auch zu einer relevanten Gewichtsabnahme von bis zu 15 % kam. Weitere Studien zeigten, dass diese Substanzgruppe nicht nur bei Patienten mit Diabetes mellitus und Adipositas zu einer Gewichtsabnahme führten, sondern auch bei adipösen Personen ohne Diabetes mellitus. Die initial entwickelten und zugelassenen GLP-1-Agonisten mussten anfangs täglich subkutan appliziert werden. In der Folgezeit wurden Arzneimittel entwickelt, die nur noch einmal pro Woche injiziert werden müssen. Die neueste Entwicklung sind orale GLP-1-Agonisten, die allerdings etwas weniger wirksam sind als subkutan applizierte Substanzen. Eine weitergehende Entwicklung sind Arzneimittel, die über Glukose-abhängiges insulinotropes Polypeptid (GIP) wirken und inzwischen mit den GLP-1-Agonisten kombiniert werden. Diese Kombination ist in der Therapie der Adipositas noch wirksamer als reine GLP-1-Agonisten.

Mit der Anwendung der neuen Substanzen zur Gewichtsreduktion sind zahlreiche Probleme verknüpft. Es kommt relativ häufig zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen, am häufigsten gastrointestinalen Symptomen. Außerdem ist bei Beendigung der Therapie eine erneute Gewichtszunahme zu beobachten, sodass die Behandlung wahrscheinlich als Dauertherapie durchgeführt werden muss [1].

Neueste Studien mit Semaglutid zeigen, dass diese Substanz nicht nur zu einer Gewichtsreduktion führt, sondern in einem Zeitraum von fünf Jahren im Vergleich zu Placebo auch das Risiko schwerwiegender vaskulärer Ereignisse wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Tod um 20 % reduziert. Dies würde bedeuten, dass die GLP-1-Agonisten in Zukunft eine sehr wichtige Rolle in der Primär- und Sekundärprävention vaskulärer Ereignisse bei Menschen mit Adipositas spielen.

Das größte Problem für unser Gesundheitssystem ist jedoch die Häufigkeit der Adipositas und damit die Kosten, die auf das Gesundheitssystem zukämen, wenn die neuen Substanzen zur Gewichtsreduktion zugelassen und erstattet würden. Bei derzeitigen Behandlungskosten von 600 Euro im Monat würden die Behandlungskosten zulasten der Kostenträger 7,2 Milliarden Euro pro Jahr betragen, wenn nur 1 Million Menschen mit Adipositas behandelt wird. Dies führt zu der Frage, ob unser Gesundheitssystem sich diese Therapie leisten kann. Demgegenüber stehen allerdings die Folgekosten für das Gesundheitssystem, wenn die Folgen der Adipositas nicht verhindert würden.

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